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"Bethlehem ist ein großes Gefängnis geworden"

Dennoch haben die Einwohner der Stadt ihre Hoffnung auf Frieden und das Ende der Besatzung nicht aufgegeben. Ein Gespräch mit Victor Batarseh

Der römisch-katholische Arzt Victor Batarseh ist Bürgermeister der palästinensischen Stadt Bethlehem, die 32000 Einwohner zählt und vor den Toren der ­israelischen Hauptstadt Jerusalem liegt. Im Stadtrat regieren acht Christen und sieben Moslems.



Christen in aller Welt feiern zu Weihnachten die Geburt von Jesus Christus, der in Bethlehem, dessen Bürgermeister Sie sind, zur Welt gekommen sein soll. Wie begeht Ihre Stadt das »Friedensfest«?

Die Lage ist sehr gut, Bethlehem ist sicher und ruhig. Wir haben alle Vorbereitungen für Weihnachten getroffen, seit dem 29. November hat es zur Einstimmung auf das Fest schon mehrere Veranstaltungen gegeben. Unsere Straßen sind ebenso wie der große Christbaum festlich geschmückt. Rafiq Husseini, der Gesandte unseres Präsidenten Mahmoud Abbas, wird zusammen mit mir die Kerzen an dem Baum auf dem Krippenplatz entzünden.

Hat Bethlehem auch so etwas wie eine Weihnachtsbotschaft an die Welt?

Die haben wir: Wir hoffen auf Frieden, nicht nur in unserer Stadt, in ganz Palästina oder im gesamten Nahen Osten, sondern auf der ganzen Welt. Das ist die Botschaft von Bethlehem, die Botschaft von Jesus Christus, der hier geboren wurde.

Ihre Stadt ist aber von einer acht Meter hohen Betonmauer umgeben, der Zugang wird von schwerbewaffneten israelischen Soldaten kontrolliert, ringsum gibt es illegale israelische Siedlungen. Muß es den Einwohner Bethlehems da nicht schwerfallen, an Friedensversprechungen und Weihnachtsbotschaften zu glauben?

Das ist schon richtig, die Mauer hat uns von all unseren landwirtschaftlichen Flächen getrennt, sie beeinträchtigt die Wirtschaft der Stadt genauso wie unser tägliches Leben. Bethlehem ist zu einem großen Gefängnis für seine Bewohner geworden.

Trotzdem hoffen wir weiterhin, daß unsere Stadt eines Tages in Frieden leben wird. Auf lange Sicht werden alle trennenden Mauern fallen - nicht nur die sichtbare um Bethlehem herum, sondern auch die unsichtbaren zwischen den Völkern und zwischen den ethnischen Gruppen. Aus den Trümmern dieser Mauern sollten Brücken der Liebe und Verständigung gebaut werden, die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben sind. Das ist unsere Hoffnung.

Im Herbst 2000 begann der zweite Palästinenseraufstand, die Intifada. Das war zugleich der Beginn einer Auswanderungswelle von Christen - ist sie mittlerweile zum Stillstand gekommen?

Die Zahl der Auswanderer hat stark nachgelassen. Aber solange Israel unser Land besetzt hält, solange palästinensische Städte im Westjordanland voneinander abgeschnitten sind, solange wir jeden Tag Angst vor dem Krieg haben - solange wird es immer Menschen geben, die es vorziehen, woanders zu leben. Wir brauchen Frieden, damit die meisten der ausgewanderten christlichen Familien nach Bethlehem und Palästina zurückkehren.

Wieviele Christen sind denn während der zweiten Intifada aus Bethlehem nach Europa, Australien und Nordamerika emigriert?

Ich schätze, daß es zwischen 200 und 250 Familien sind. 1948 waren noch 90 bis 92 Prozent aller Bürger Bethlehems Christen, heute dürften es noch zwischen 35 und 40 Prozent sein.

Manche westliche Medien versuchen, die Auswanderung der Christen darauf zurückzuführen, daß sie der Verfolgung durch Muslime entgehen wollen. Gibt es Probleme im Zusammenleben von Bürgern dieser beiden Glaubensrichtungen?

Es gibt in meiner Stadt keinerlei Probleme damit, Christen und Muslime leben in Bethlehem harmonisch zusammen. Wir sind so etwas wie ein Modell für das friedliche Miteinander beider Religionen.

Im vergangenen Jahr wurden die Weihnachtsfeiern im »Heiligen Land« durch den Überfall Israels auf Gaza überschattet ...

Wir hoffen, daß Israel in diesem Jahr keinen Krieg gegen unser Volk führt. Die Botschaft von Jesus Christus war eine der Liebe und des Friedens - und dennoch müssen nicht nur Bethlehem, sondern auch ganz Palästina immer noch darum ringen, Freiheit, Unabhängigkeit sowie wirtschaftliche und soziale Stabilität zu erreichen

Interview: Johannes Zang

* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2009


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