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Blockaden in Palästina

Anhaltende Proteste gegen schlechte Lebensbedingungen. UN besorgt über prekäre Lage der Arbeiter in Gaza

Von Karin Leukefeld *

Mit Straßenblockaden und Streiks protestieren Palästinenser in der Westbank seit Tagen gegen Arbeitslosigkeit und Preiserhöhungen. Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News berichtete am Sonntag, daß der Verkehr auf der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung mit brennenden Autoreifen und Felsbrocken zum Erliegen gebracht wurde. Während der ersten Intifada Ende der achtziger Jahre sollten so die israelischen Besatzungstruppen gestoppt werden – in diesen Tagen aber richtet sich der brennende Protest gegen die Palästinensische Autonomiebehörde.

Unter Kritik steht insbesondere Ministerpräsident Salam Fayyad, der bis zum Frühjahr 2012 in Personalunion auch das Finanzministerium führte. Fayyad, ein früherer Beamter des Internationalen Währungsfonds (IWF), verteidigte seine Politik. Er habe seit Jahren darauf bestanden, die palästinensische Ökonomie von ausländischer Hilfe unabhängig zu machen, erklärte er am Sonntag im Palästinensischen Rundfunk. »Natürlich stünden wir heute besser da, wenn die Israelis die Blockade gegen Gaza aufheben würden und aufhörten, unsere Wirtschaft zu behindern und zu kontrollieren«, sagte Fayyad.

Für Montag haben die Bus-, Taxi- und Lastwagenfahrer ebenfalls einen Streik in der Westbank angekündigt. Sie protestieren gegen den Preis für Benzin, der in den letzten Wochen um fünf Prozent angestiegen ist.

Proteste nach Freitod

Ausgelöst worden waren die Proteste durch den Freitod des 20jährigen Ihab Abu Nada, der sich am 2. September in Gaza selbst verbrannt hatte. Monatelang hatte der junge Mann versucht, Arbeit zu finden, bevor er sich auf einem öffentlichen Platz in Gaza-Stadt mit Benzin überschüttete und anzündete. Seine Familie berichtete, er habe mit seinem Freitod gegen die unerträglichen Lebensbedingungen im Gazastreifen protestieren wollen. Ihab Abu Nada hatte die Schule im vergangenen Jahr verlassen, um seinem Vater zu helfen, die achtköpfige Familie zu ernähren. Mit Gelegenheitsjobs wie Teller waschen oder Straßenverkauf verdiente er aber nur wenig.

Die Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) äußerte sich am vergangenen Mittwoch besorgt über die »prekäre« Situation von palästinensischen Arbeitern. Besonders für jene im Gazastreifen sei die Lage »eine der schlimmsten in der Region und weltweit«, erklärte Nada Al-Nashif, die ILO-Beauftragte für die Arabischen Staaten. »Die ständig wachsende junge Bevölkerung in Gaza hat das Recht auf bessere Arbeitsbedingungen«, sagte die ILO-Vertreterin. »Sie brauchen vernünftige Arbeitsplätze, ein Minimum an sozialem Schutz und Respekt für ihre Grundrechte und ein Leben in Würde.« Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten sind jünger als 30 Jahre. Ein ILO-Bericht vom Juni 2012 gab für das Jahr 2011 die Zahl der Arbeitslosen dort mit 222000 an. 53 Prozent der jungen Frauen und 32,3 Prozent der jungen Männer zwischen 14 und 24 Jahren sind ohne Job. Im Gazastreifen ist die Arbeitslosenquote dreimal so hoch wie in anderen arabischen Staaten. Mehr als 80 Prozent der 1,6 Millionen Bewohner des Gazastreifen sind auf ausländische Hilfe angewiesen, mehr als 40 Prozent gelten als arm.

Obwohl die palästinensische Wirtschaft in den vergangenen Jahren um bis zu zehn Prozent gewachsen ist, bleibt die Lage durch Restriktionen der israelischen Besatzungsbehörden, Sparmaßnahmen, Rückgang der Landwirtschaft unter anderem aufgrund illegaler israelischer Landnahme und eben auch durch den Rückgang internationaler Hilfsgelder prekär. In einem am vergangenen Mittwoch vorgestellten Bericht der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) heißt es weiter, trotz Wirtschaftswachstums seien die Reallöhne gesunken, die Arbeitslosigkeit von 26 Prozent habe nicht abgebaut werden können. Während 1995 die Landwirtschaft noch zwölf Prozent der palästinensischen Ökonomie ausgemacht habe, sei sie 2011 auf 5,5 Prozent gesunken. Das größte Hindernis für die Wirtschaft sei die israelische Besatzung, heißt es in dem Bericht. Diese verhindere Handel und Investitionen, den Palästinensern werde der Zugang zu ihrem Land und zu ihren natürlichen Ressourcen wie etwa Wasser verwehrt.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. September 2012


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