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Was kam nach Annapolis?

Jerusalem/Westbank: Wenn der Bulldozer zur Moschee rollt

Von Nadia Harhash *

Dieser 10. Dezember war für die israelische Regierung ein sehr engagierter Tag: Es ging darum, die beim Gipfel in Annapolis gegebenen Versprechen zu erfüllen. Und wir wollten uns davon überzeugen, ob das wirklich geschah.

Also eilten wir nach Sur Baher, einem palästinensischen Dorf an der südöstlichen Peripherie von Jerusalem, das in jeder Himmelsrichtung von Siedlungen umgeben ist - die neueste und größte heißt übrigens Har Homa und soll gerade um 300 Wohneinheiten ergänzt werden. So will es die Regierung. Annapolis in der Praxis.

Wir wussten, dass wir an diesem Vormittag schon eine Hauszerstörung versäumt hatten, die vorher in Zaayyem, einem anderen der östlichen Vororte Jerusalems auf dem Gebiet der Westbank, stattgefunden hatte. Wir fuhren weiter und offenbar ins Nirgendwo hinein, immer wieder von Neuem überrascht, dass es Stadtteile gibt, die jenseits der Zivilisation zu liegen scheinen. Wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, in eine vorgeschichtliche Ära einzutauchen, von der uns nur Straßenzüge trennen und nicht die Zeit.

Unser Abenteuer begann ...

... als wir einen der Bulldozer entdeckten, der von israelischen Armeejeeps eskortiert offenkundig zu seinem Zerstörungswerk unterwegs war. Wir schauten uns nach allen Seiten um im Hummos-Tal. Niemals hätte man hier eine so weite und offene Landschaft erwartet. Bald trafen wir dort ein, wo an diesem Tag ein weiteres palästinensisches Haus von der Erde geschluckt werden sollte. Dutzende von Leuten schauten schweigend zu, als die riesigen Kinnladen des stählernen Ungeheuers mit ihrer Arbeit begannen. Der Besitzer des Hauses ließ sich nicht blicken, er sei bei der Arbeit, erzählten die Nachbarn, habe anscheinend mit einem ganz normalen Tag gerechnet.

Während wir zusahen, kamen immer mehr Bewohner des Ortes und sahen, dass in kürzester Zeit kein Stein mehr auf dem anderen war. Die Armee konnte nach erfüllter Mission den Rückzug antreten, es hatte nur Minuten gedauert - mit dem Bulldozer in der Mitte, flankiert von mehreren Fahrzeugen, mit Pferden im Tross und einer Vielzahl Soldaten rechts und links der Straße, ging es zurück. Während alle andern hilf- und sprachlos dabei standen, fragten wir noch einmal nach dem Hausbesitzer. Einer der Männer zeigte schließlich auf einen jungen Mann, der gerade ankam. Er lächelte. Alle zeigten ihm ihr Mitgefühl und sagten, Gott sei mit dir, wir werden dir helfen, verzweifeln musst du nicht. Der um sein Haus Gebrachte ging auf die Trümmer zu, sprang dann plötzlich einem der israelischen Militärpolizisten vor die Füße und versuchte, den Fahrer des Bulldozers zu ergreifen. Von der lähmenden Stille, die bis dahin geherrscht hatte, war nichts mehr zu spüren - es entstand lärmende Unruhe, fast wie ein Aufruhr, auch wenn jeder versuchte, den anderen zu besänftigen.

Geschwunden war die anfangs so erstaunliche Gleichgültigkeit und Apathie, als man glauben konnte, für die meisten ist es alltäglich und nicht weiter aufregend, dass hier Häuser zerrieben und Menschen vertrieben werden. Wen kümmert das schon? Die Leute hatten der Zerstörung zugesehen, als würde die niemanden sonst als den Hausbesitzer etwas angehen. Freilich kursierte in diesem Augenblick des kurz aufflammenden Aufbegehrens das Gerücht, der Bulldozer fahre weiter, weil für eine in der Nähe befindliche Moschee die Tage gezählt seien.

Plötzlich hörte man aus der Ferne ...

... auch den Lautsprecher des Gotteshauses. Der Muezzin rief die Leute, sie sollten kommen und die Moschee verteidigen. Und alle Bewohner des Dorfes eilten davon. Wir wunderten uns, wenn ein Haus nach dem anderen eingerissen wird, stehen sie wie angewurzelt herum und wollen dagegen nichts tun. Gibt es nur einen einzigen Ruf aus der Moschee, sind alle nicht mehr zu halten.

Gewiss, die Besatzungsarmee kann auf vielerlei Art gewalttätig sein, doch gibt es eine schlimmere Aggression, als den Menschen ihr Zuhause zu nehmen? Aber jeder eilt nur, um das Haus Gottes zu retten, der unseren Schutz gar nicht braucht und es vielleicht lieber sähe, wollten die Palästinenser zusammen um ihre Häuser kämpfen und einer für den anderen einstehen. Doch sie willigen lieber ein, ihren Verstand nicht zu gebrauchen und in das Loch der Demut und der Verzweiflung zu fallen, das zu ihrem Friedhof geworden ist.

* Nadia Harhash ist eine palästinensische Journalistin, die für verschiedene Zeitungen aus dem Westjordanland berichtet.

Aus: Freitag 51, 21. Dezember 2007


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