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Palästinensischer Regierungschef zurückgetreten

Fajad gibt Amt nach Streit mit Abbas auf / Hamas begrüßt Entscheidung / Westen lobt Fajad *

Der international angesehene palästinensische Ministerpräsident Salam Fajad ist nach längerem Streit mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zurückgetreten. Bei einem Treffen in Ramallah übergab Fajad am Samstag offiziell sein Rücktrittsgesuch, wie ein Palästinenservertreter der Nachrichtenagentur AFP sagte. Die USA würdigten den Finanzfachmann als »starken Partner« für die internationale Gemeinschaft.

Der Palästinenserpräsident habe Fajad gebeten, die Amtsgeschäfte solange weiterzuführen, bis eine neue Regierung gebildet worden sei, sagte ein Berater von Abbas. Über einen Rücktritt Fajads war bereits spekuliert worden. Im März war ein offener Dissens zwischen Abbas und Fajad zutage getreten, als der Regierungschef den Rücktritt seines Finanzministers Nabil Kassis annahm, während sich der Präsident dagegen aussprach. Daraufhin soll sich Fajad zum Rücktritt entschlossen haben. Nach Angaben eines ranghohen Palästinenservertreters hatte der 61-jährige Regierungschef sein Rücktrittsgesuch bereits am 23. März aufgesetzt, dieses aber noch nicht übergeben, weil Abbas auf Auslandsreise war und US-Präsident Barack Obama zu seinem ersten Besuch in die Region kam.

Die US-Regierung würdigte Fajad für dessen Leistungen. Der in den USA promovierte Wirtschaftswissenschaftler sei ein »starker Partner« für die internationale Gemeinschaft gewesen und habe sich sehr für Wirtschaftswachstum, die Bildung eines Palästinenserstaates und die Sicherheit der Palästinenser eingesetzt, erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Caitlin Hayden, am Samstag (Ortszeit) in Washington. »Wir erkennen die wichtigen Rollen an, die sowohl Präsident Abbas als auch Regierungschef Fajad gespielt haben, und schätzen ihre Bemühungen, während wir und andere daran arbeiten, die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaats zu fördern«, fügte Hayden hinzu.

Die USA hatten bis zuletzt auf eine Einigung der zerstrittenen Politiker gedrängt. Noch am Freitagabend hatte US-Außenminister John Kerry nach palästinensischen Angaben Abbas in einem Telefonat darum gebeten, die Differenzen mit Fajad beizulegen. Auch der kanadische Außenminister John Baird äußerte sich »betrübt und enttäuscht« über den Rücktritt Fajads. Die israelische Regierung wollte den Schritt zunächst nicht kommentieren.

Fajad genießt im Ausland hohes Ansehen, vielen Palästinensern aber als zu USA- und Israel-freundlich gilt. Am Freitag vergangener Woche hatte der Revolutionsrat von Abbas' Fatah-Partei erstmals öffentlich die Amtsführung Fajads kritisiert. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Autonomiebehörde wirke »in vielen Bereichen improvisiert und konfus«, hieß es in einer Erklärung.

Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas erklärte, der Rücktritt sei Folge von »Streitigkeiten innerhalb der Fatah«. Fajad habe die Regierung verlassen, nachdem er »unser Volk mit Schulden« beladen habe, sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri AFP.

Fajad war im Juni 2007 als Chef der bis heute amtierenden Notstandsregierung von Abbas eingesetzt worden. Entschieden sagte er der Korruption den Kampf an, die sich in den Jahren unter Jassir Arafat in der Palästinenserverwaltung breitgemacht hatte. Das half der danach von Abbas geführten Autonomiebehörde, das Vertrauen der internationalen Staatengemeinschaft zu gewinnen, von deren Finanzhilfen die Palästinensergebiete wesentlich abhängen. Allerdings steckt die Autonomiebehörde derzeit in einer tiefen finanziellen Krise.

* Aus: neues deutschland (Online), Sonntag, 14. April 2013


Rücktritt in Ramallah

Von Oliver Eberhardt **

Der palästinensische Regierungschef Salam Fajad ist zurückgetreten, die Krise wird andauern: Finanziell dürfte für die Palästinenser nun alles noch schwieriger werden, schon im Entwurf ist nur ein Teil des 3,5-Milliarden-Euro-Haushalts für das kommende Jahr gedeckt. Und das Ausland wird, so viel ist schon jetzt klar, zurückhaltender mit Finanzhilfen werden. Zu oft landeten sie bisher auf den Bankkonten von Funktionären der Fatah, jener PLO-Fraktion, die seit Jahrzehnten im Westjordanland die palästinensische Politik dominiert. Fajad hatte dafür gesorgt, dass die Korruption eingedämmt wird – und sich damit eine Vielzahl von Feinden gemacht.

Auch politisch ist der Rücktritt keine Lösung. Fajad sorgte wenigstens für ein bisschen Transparenz in einem kaum durchschaubaren Machtgefüge, dem bereits seit Jahren die demokratische Legitimation fehlt. Die überfälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werden immer wieder verschoben. Dafür wird zwar stets der Streit mit der im Gaza-Streifen regierenden Hamas verantwortlich gemacht, tatsächlich aber ist die Ursache eine andere: Präsident Mahmud Abbas würde sein Amt verlieren, wenn es Wahlen gäbe. Er hat die Zustimmung der Fatah-Funktionäre, aber kaum Unterstützung in der Wählerschaft.

An Wahlen bei den Palästinensern hat indessen auch Israel kein Interesse. Denn solange alles so bleibt, wie es ist, hat man dort einen Grund, so weiterzumachen wie bisher.

** Aus: neues deutschland, Montag, 15. April 2013 (Kommentar)


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