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Fatah-Erneuerung steht in Frage

Älteste Palästinenserpartei plant ihren ersten Kongress seit 18 Jahren

Von Rosso Vincenzo *

Die traditionsreiche Al Fatah (Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas) bereitet sich auf ihren ersten Kongress seit 1989 vor. Sie hat in jüngster Zeit herbe Niederlagen hinnehmen müssen.

Noch zu Jahresbeginn schien die Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas der einzige akzeptierte Ansprechpartner Israels und des Westens zu sein. Dank beträchtlicher Finanzhilfen schien sie ihre Vormachtstellung, die durch die Niederlage bei den Parlamentswahlen im Januar 2006 ins Wanken geraten war, zurückerobern zu können. Die islamische Widerstandsbewegung Hamas dagegen wirkte seit der Machtübernahme im Gaza-Streifen wegen der Blockade hoffnungslos isoliert und hatte mit wachsender Unzufriedenheit ihrer Basis zu kämpfen. Die gewaltsame Öffnung der Grenze zu Ägypten durch Hamas-Kämpfer, die Hunderttausenden Palästinensern den Weg nach Rafah öffnete, und der blutige Feldzug der israelischen Armee Anfang März brachten der Hamas jedoch einen Popularitätsschub. Mittlerweile werden auch Geheimverhandlungen der Hamas mit Israel und den USA über eine langfristige Waffenruhe nicht mehr ernsthaft dementiert. Da die Fatah bei den offiziellen Friedensgesprächen von Israel ein ums andere Mal düpiert wird, herrscht in der ältesten Palästinenserpartei erneut tiefe Depression.

»Alles ist gegen Al Fatah«, sagt Parteiaktivist Samir Sbeihat (53) aus Ramallah. »Auch die Geheimverhandlungen zwischen Israel und der Hamas untergraben das Wenige, was unserer Bewegung an Prestige noch geblieben war. Die Palästinenser fragen sich mit Recht, wozu die Fatah eigentlich nütze ist, wenn sie am Verhandlungstisch nichts erreicht.«

Sbeihat gehörte zur Führung der ersten Intifada (1987-93), wurde 1988 von den Israelis nach Libanon deportiert und arbeitet heute im Arbeitsministerium der Autonomiebehörde. Er gilt als Vertreter der jungen Fatah-Generation, die eine programmatische und personelle Erneuerung durchsetzen und die »Tunis-Clique« aufs Altenteil schicken will.

In dieser Situation bereitet die Organisation ihren 6. Parteitag vor, den ersten seit 18 Jahren! Der letzte Kongress fand 1989 statt. Damals existierten die UdSSR und der Warschauer Vertrag noch, die Fatah profitierte vom Charisma Yasser Arafats und ihrer Beteiligung an der ersten Intifada. Alles Geschichte. Ein Drittel der 21 Mitglieder des Fatah-Zentralkomitees ist tot oder abgetreten. Die verbliebenen Führungsmitglieder sind 65 Jahre und älter. Nicht sehr repräsentativ für eine Bevölkerung, deren Durchschnittsalter unter 30 Jahren liegt. Die Osloer Abkommen, mit denen die erste Intifada beendet wurde, erwiesen sich als Reinfall, was zum Aufstieg der Hamas führte. Die machte nach ihrem Wahlsieg 2006 der Fatah auch die Regierungsgewalt streitig.

Den Weg zur »Erneuerung« soll nun ausgerechnet der 74-jährige ehemalige Ministerpräsident Ahmed Kureia als Chef des Organisationskomitees weisen. Der Bauunternehmer erlangte vor einigen Jahren als Zementlieferant für den Bau des israelischen Apartheidwalls traurige Berühmtheit. Zwar versicherte Kureia: »Es wird kein falsches Spiel, keine Wahlmanipulation und keine Vereitelung des freien Willens unserer großen Bewegung geben.« Doch viele bezweifeln das, vor allem weil etliche bisherige Führungskräfte um ihre Wiederwahl fürchten müssen.

Ohnehin ist die Organisation eines demokratischen Kongresses angesichts der Fatah-Strukturen ein schwieriges Unterfangen. Wer hat das Recht, die Delegierten zu wählen? Die meisten Fatah- Mitglieder bezahlen nämlich keine Mitgliedsbeiträge. Zehntausende haben daher Probleme, ihre Mitgliedschaft zu belegen. Zudem gibt es mehrere tausend »Unabhängige«, die als Fatah-Mitglieder betrachtet werden und auch so agieren, formal aber nicht Mitglied sind. Noch nicht einmal die Zahl der Delegierten steht fest. Samir Sbeihat zufolge sprechen die Mitglieder des Zentralkomitees von 1000, vielleicht 1500 Delegierten. »Von Amts wegen am Kongress teilnehmen werden alle lokalen und nationalen Funktionäre, Bürgermeister, Abgeordnete, Minister und eine große Zahl von Mitgliedern der Sicherheitskräfte.« Marwan Barghuti, der in Israel inhaftierte Fatah-Generalsekretär für das Westjordanland, hat sich für eine sichtbare Beteiligung der Basis durch Wahlen nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch in Syrien, Libanon und anderen Ländern ausgesprochen. Doch nur an wenigen Orten konnten die Mitglieder ihre Delegierten schon frei wählen. Die meisten wurden von Familienclans ernannt, die sich der Fatah zugehörig fühlen.

Ungewiss bleiben auch Ort und Zeitpunkt des Kongresses. Die Führung um Abbas, Kureia und den ehemaligen Außenminister Nasser Kidwa würde ihn am liebsten im Ausland abhalten. Das käme einer Aussperrung vieler jüngerer Inlandskader gleich, deren Aus- und Wiedereinreise von Israels Gnade abhinge. Aufgrund dieser Probleme wurde der schon für den 21. März vorgesehene Kongress verschoben. Jetzt heißt es, im Juli könnte er stattfinden.

Diese Verschiebung könnte auch der »Abkühlung« dienen. Die ägyptische Wochenzeitung »Al- Ahram« mutmaßte bereits im Januar, dass die Fatah eine »extremistische« Führungsriege wählen könnte, die für Israel und die USA nicht akzeptabel wäre. »Die neue Führung könnte kompromisslose Positionen vertreten. So könnten am Ende die Gespräche zwischen Israel und der Autonomiebehörde dem kommenden Kongress zum Opfer fallen.«

* Aus: Neues Deutschland, 31. März 2008


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