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Es rumort an der Basis der Fatah

Palästinenser enttäuscht und wütend über fruchtlose Gespräche mit Israel

Von Martin Lejeune *

In der nächsten Woche will sich die Fatah, die stärkste Palästinenserorganisation, auf die sich Präsident Abbas stützt, zu Versöhnungsgesprächen mit der im Gaza-Streifen herrschenden Hamas treffen. Entscheidend für das Ergebnis könnte sein, ob die Fatah zuvor ihr Herangehen an die Verhandlungen mit Israel korrigiert. Entsprechenden Druck der Basis gibt es.

Die Palästinenserführung will künftig nicht mehr wie bisher direkt mit Israel verhandeln. Dies sagte Fatah-Führungsmitglied Mohammed Shtayyeh am Mittwoch der Londoner »Financial Times«. Die von den jüngst ins Stocken geratenen Friedensgesprächen mit Israel enttäuschte palästinensische Führung will in Zukunft von der internationalen Gemeinschaft eine Lösung ihres Problems verlangen. Shtayyeh sagte, wenn Israel nicht bis zum 8. November einen totalen Siedlungsstopp beschließe, wolle man zuerst die USA und dann den UNO-Sicherheitsrat auffordern, »einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 anzuerkennen«.

Bilaterale Gespräche würden bereits seit zwei Jahrzehnten mit Israel geführt, ohne dass sie jemals zu einem Erfolg geführt hätten. Die Lage habe sich im Gegenteil sogar verschlechtert. Daher könne man Israel nicht mehr vertrauen und sei gezwungen, sich direkt an die UNO zu wenden.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu warnte daraufhin in Jerusalem die Palästinenserführung eindringlich davor, »unilaterale Schritte zu unternehmen«. Diese würden den Palästinensern keinen eigenen Staat geben können.

Auch Nasser al-Qudwa, Beobachter der Palästinensischen Autonomiebehörde bei der UNO in New York von 1987 bis 2005, sieht im Unilateralismus eine Möglichkeit, sich von den Fesseln der unproduktiven Verhandlungen mit Israel zu befreien. Außerdem kritisierte er Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Dieser habe bei den gescheiterten Verhandlungen mit Netanjahu »völlig versagt«. Qudwa, dem Ambitionen als Nachfolger von Abbas nachgesagt werden, verlangt ein »offensiveres und aggressiveres Vorgehen als bisher«, um palästinensische Forderungen endlich durchzusetzen.

Tatsächlich verfügt der nach Ablauf seiner Amtszeit seit 2009 ohne reguläres Mandat regierende Abbas über eine geschwächte Position, seit die Palästinensische Autonomiebehörde nur mehr über das Westjordanland regiert und die Hamas im Gaza-Streifen eine Neben- bzw. Gegenregierung aufgebaut hat. »Gewalt wird aber nicht wieder Teil unserer Strategie werden«, ist sich Qudwa gewiss.

Salah Abdel Schafi, seit August Generaldelegierter Palästinas in Deutschland, bestätigte gegenüber ND die neue politische Strategie der Palästinenser und stimmte Shtayyeh zu: »Eine neue Strategie ist bitter nötig, denn wir verhandeln mit Israel seit über 19 Jahren ohne voranzukommen.« Aus dieser Sackgasse führe kein Weg, solange Israel darauf beharre, den Siedlungsbau fortzuführen.

»Es geht in diesem Konflikt um Land«, so Schafi. »Und solange Israel weiterhin durch den Siedlungsbau unser Land raubt, bleibt dieser sogenannte Friedensprozess ohne Glaubwürdigkeit.«

Nach Schafis Aussagen haben die Palästinenser alle Verpflichtungen erfüllt, die einer Einigung mit Israel einst im Wege standen. Israel hingegen habe mit seinem fortwährenden Siedlungsbau gegen die Roadmap verstoßen, gegen den vom Nahostquartett (UNO, USA, EU und Russland) festgelegten Handlungsplan für die beiden Konfliktparteien.

»Wenn die internationale Gemeinschaft es nicht schafft, Israel zu zwingen, die Roadmap einzuhalten, dann muss sich eben der UNO-Sicherheitsrat mit unserem Fall beschäftigten«, fordert Schafi. Neu daran ist, dass jetzt der Sicherheitsrat ins Spiel gebracht wird, um endlich Handlungsmöglichkeiten zu erlangen. US-Präsident Barack Obama indes hat mit seiner jüngsten Rede vor der UN-Vollversammlung, in der er einen Palästinenserstaat forderte, keinen Palästinenser begeistern können. Sie vermissen eine klare Aussage zu Jerusalem als Hauptstadt zweier Staaten, zur Lösung des Flüchtlingsproblems und zur Notwendigkeit der Aufgabe der jüdischen Siedlungen auf der Westbank.

»Was bleibt da übrig?«, fragt Schafi. »Es geht uns um einen lebensfähigen palästinensischen Staat, und das ist nicht der Staat, wie ihn Obama umrissen hat. Wenn Israel weiterhin Landraub betreibt, wird objektiv kein Platz sein für einen lebensfähigen Staat.«

Das Ringen um eine neue Strategie für die erfolglosen Friedensverhandlungen ist nicht die einzige Baustelle, um die sich Abbas derzeit kümmern muss. Das »Wall Street Journal« aus New York berichtete unlängst ausführlich über einen Block um den Fatah-Oppositionellen Mohammad Dahlan, der »in ungewöhnlich kampfeslustigen Worten Abbas gegeißelt« habe. Eine jüngere Riege benutze Abbas' glückloses Taktieren, um offen gegen ihn aufzubegehren.

Gegenüber ND widerspricht Schafi der Zeitung: »In der palästinensischen Gesellschaft hat es schon immer Generationenkonflikte gegeben. Diese sind so wenig neu wie die Diskussionen in Bezug auf die Verhandlungen mit Israel. Es gibt immer eine Seite, die dafür und eine, die dagegen ist.« In der Tat wurde auf dem Fatah-Kongress im August 2009 eine neue Führung gewählt, die sowohl die alte und als auch die neue Garde repräsentiert – bis in die höchsten Gremien wie dem Zentralkomitee und dem Revolutionsrat. »Die Fatah war schon immer eine heterogene Befreiungsbewegung«, unterstreicht Schafi.

Am Montag (8. Nov.) läuft das palästinensische Ultimatum ab, das auf dem Treffen der Arabischen Liga in Libyen vor dann genau einem Monat beschlossen worden war. Sollte das Siedlungsbau-Moratorium bis dahin von Israel nicht verlängert werden, gehe man einen neuen Weg. »Unsere Zeit für eine Zweistaatenlösung läuft ab«, warnt Schafi. »Wenn Israel weiterhin auf seinen Siedlungen im Westjordanland beharrt, dann soll es auch die volle Verantwortung tragen und zum Beispiel nicht von den Besetzten verlangen, die Sicherheit der Besatzer zu garantieren.«

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2010


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