Terror und Gegenterror in Nahost: Wie die Menschlichkeit bewahren?
Amal Khreishe vom feministischen israelisch-palästinensischen Friedenszentrum im Gespräch
Es muss unendlich schwer sein, unter den gegenwärtigen Bedingungen im Nahen Osten nach gewaltlosen Wegen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu suchen. Umso wichtiger sind jene Initiativen, die das versuchen. Zu ihnen gehört Bat Shalom, das feministische israelisch-palästinensische Friedenszentrum in Jerusalem. Die junge Welt brachte am 16. Juli 2002 ein Interviwe mit Amal Khreishe, das wir im Folgenden dokumentieren. Das Gespräch führte Wolfgang Pomrehn.
Frage: Sie sollten am 8. Juli in Athen auf einer
internationalen
Menschenrechtskonferenz sprechen, konnten aber
Ramallah
nicht verlassen. Weshalb nicht?
Das israelische Militär hat seit dem 23. Juni
über Ramallah eine
ganztägige Ausgangssperre verhängt. Außerdem
wird schon
seit Monaten jedem verboten, Ramallah zu
verlassen oder zu
betreten. Viele versuchen, diese Belagerung auf
verschlungenen Pfaden zu umgehen. Viele wurden
dabei
bereits getötet. Es wird auf alles geschossen,
was sich
bewegt. Überall in der Stadt sind Panzer. Nicht
einmal
Krankenwagen können sich frei bewegen, sondern
werden
mitunter für Stunden durch Kontrollen
aufgehalten. Ab und zu
wird die Ausgangssperre für einige Stunden
aufgehoben, so
daß ich für die nächsten fünf oder sechs Tage
Lebensmittel für
meine Kinder kaufen kann.
F: Wie wirken sich die jüngsten militärischen
Operationen auf
die Schüler und Studenten aus?
Die Studenten können ihre Universitäten nicht
erreichen, weil
man sich in der Westbank kaum noch von Stadt zu
Stadt
bewegen kann. Auch die Schüler der
Sekundarstufe (Tawjihi)
können nicht an ihren Abschlußprüfungen
teilnehmen. Die
Kinder leiden sehr. Eigentlich haben sie jetzt
Sommerferien,
aber wegen der Ausgangssperre sitzen sie alle
Zuhause und
werden zudem noch Zeugen, wie unschuldige
Menschen
getötet werden. Sie können nicht einmal auf die
Spielplätze,
geschweige denn, daß sie in Sommerlager fahren
oder
schwimmen gehen könnten.
F: Wie könnte eine Lösung des Konflikts
aussehen?
Aus unserer Sicht kann das nur ein gerechter
Frieden auf der
Grundlage zweier Staaten für zwei Völker sein
mit Jerusalem
als Hauptstadt beider Staaten. Wie andere auch,
glaube ich,
daß es ohne eine politische Lösung des
Konflikts für Frauen
keinen sozialen und demokratischen Fortschritt,
keine
Gleichberechtigung geben kann. In Palästina gab
es vor dem
Ausbruch der jetzigen Intifada vielerlei
Versuche, ein modernes
Familienrecht durchzusetzen. Es gab in dieser
Frage einen
deutlichen Konflikt zwischen demokratischen und
fundamentalistischen Bewegungen, aber wir
müssen heute
diesen Konflikt hinausstellen, um ums Überleben
zu kämpfen.
Die israelische Besatzung zerstört systematisch
die
Infrastruktur der palästinensischen Wirtschaft.
Hinzu kommen
die Erniedrigungen, die jeder von uns ertragen
muß. Unser
spirituelles Leben wird Schritt für Schritt
abgetötet.
F: Es gab einen Aufruf palästinensischer
Intellektueller, die
Selbstmordattentate einzustellen. Hat Ihre
Organisation
diesen unterstützt?
Meiner Ansicht nach ist die anhaltende tägliche
israelische
Gewalt, die in alle Lebensaspekte jedes
einzelnen hier
eingreift, der Hauptgrund für die
Selbstmordanschläge. Die
Regierungen Baraks und Scharons haben die
Palästinenser
gelehrt, so zu denken, indem sie Hunderte von
ihnen töteten,
indem sie auf Demonstranten schossen, indem sie
uns
belagerten und unsere Städte abriegelten und
uns an den
Kontrollpunkten beleidigten und erniedrigten.
Diese Anschläge
werden aufhören, sobald man uns eine klare
Aussicht auf eine
Lösung des Konfliktes gibt, und zwar zusammen
mit einem
Zeitrahmen und einem neutralen internationalen
Ansprechpartner, eine Rolle, die die
Europäische Union
übernehmen müßte.
Aus ethischer Sicht bin ich gegen jedes Töten
von Zivilisten. Ich
weinte, als ich nach dem Anschlag in der Jafa
Street sah, wie
eine israelische Mutter im Krankenhaus mit
ihrem verletzten
Sohn sprach. Aber mein 16jähriger Sohn wurde
ernsthaft
wütend mit mir und meinte: "Mama, wie kannst du
sie
bedauern? Hast du vergessen, wie sie das kleine
Kind unserer
Nachbarn umgebracht haben, als es in seinem
Zimmer
spielte?" Ich habe ihm geantwortet: "Sie können
töten und
zerstören, aber die eigentliche Katastrophe ist
es, wenn sie
unsere Menschlichkeit abtöten. Ich bin eine
Mutter, und sie ist
eine Mutter und wir müssen zusammenarbeiten, um
gemeinsam unsere Menschlichkeit, die uns
verbindet, zu
verteidigen."
Aus: junge Welt, 16. Juli 2002
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