Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Terror und Gegenterror in Nahost: Wie die Menschlichkeit bewahren?

Amal Khreishe vom feministischen israelisch-palästinensischen Friedenszentrum im Gespräch

Es muss unendlich schwer sein, unter den gegenwärtigen Bedingungen im Nahen Osten nach gewaltlosen Wegen im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu suchen. Umso wichtiger sind jene Initiativen, die das versuchen. Zu ihnen gehört Bat Shalom, das feministische israelisch-palästinensische Friedenszentrum in Jerusalem. Die junge Welt brachte am 16. Juli 2002 ein Interviwe mit Amal Khreishe, das wir im Folgenden dokumentieren. Das Gespräch führte Wolfgang Pomrehn.


Frage: Sie sollten am 8. Juli in Athen auf einer internationalen Menschenrechtskonferenz sprechen, konnten aber Ramallah nicht verlassen. Weshalb nicht?

Das israelische Militär hat seit dem 23. Juni über Ramallah eine ganztägige Ausgangssperre verhängt. Außerdem wird schon seit Monaten jedem verboten, Ramallah zu verlassen oder zu betreten. Viele versuchen, diese Belagerung auf verschlungenen Pfaden zu umgehen. Viele wurden dabei bereits getötet. Es wird auf alles geschossen, was sich bewegt. Überall in der Stadt sind Panzer. Nicht einmal Krankenwagen können sich frei bewegen, sondern werden mitunter für Stunden durch Kontrollen aufgehalten. Ab und zu wird die Ausgangssperre für einige Stunden aufgehoben, so daß ich für die nächsten fünf oder sechs Tage Lebensmittel für meine Kinder kaufen kann.

F: Wie wirken sich die jüngsten militärischen Operationen auf die Schüler und Studenten aus?

Die Studenten können ihre Universitäten nicht erreichen, weil man sich in der Westbank kaum noch von Stadt zu Stadt bewegen kann. Auch die Schüler der Sekundarstufe (Tawjihi) können nicht an ihren Abschlußprüfungen teilnehmen. Die Kinder leiden sehr. Eigentlich haben sie jetzt Sommerferien, aber wegen der Ausgangssperre sitzen sie alle Zuhause und werden zudem noch Zeugen, wie unschuldige Menschen getötet werden. Sie können nicht einmal auf die Spielplätze, geschweige denn, daß sie in Sommerlager fahren oder schwimmen gehen könnten.

F: Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

Aus unserer Sicht kann das nur ein gerechter Frieden auf der Grundlage zweier Staaten für zwei Völker sein mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten. Wie andere auch, glaube ich, daß es ohne eine politische Lösung des Konflikts für Frauen keinen sozialen und demokratischen Fortschritt, keine Gleichberechtigung geben kann. In Palästina gab es vor dem Ausbruch der jetzigen Intifada vielerlei Versuche, ein modernes Familienrecht durchzusetzen. Es gab in dieser Frage einen deutlichen Konflikt zwischen demokratischen und fundamentalistischen Bewegungen, aber wir müssen heute diesen Konflikt hinausstellen, um ums Überleben zu kämpfen. Die israelische Besatzung zerstört systematisch die Infrastruktur der palästinensischen Wirtschaft. Hinzu kommen die Erniedrigungen, die jeder von uns ertragen muß. Unser spirituelles Leben wird Schritt für Schritt abgetötet.

F: Es gab einen Aufruf palästinensischer Intellektueller, die Selbstmordattentate einzustellen. Hat Ihre Organisation diesen unterstützt?

Meiner Ansicht nach ist die anhaltende tägliche israelische Gewalt, die in alle Lebensaspekte jedes einzelnen hier eingreift, der Hauptgrund für die Selbstmordanschläge. Die Regierungen Baraks und Scharons haben die Palästinenser gelehrt, so zu denken, indem sie Hunderte von ihnen töteten, indem sie auf Demonstranten schossen, indem sie uns belagerten und unsere Städte abriegelten und uns an den Kontrollpunkten beleidigten und erniedrigten. Diese Anschläge werden aufhören, sobald man uns eine klare Aussicht auf eine Lösung des Konfliktes gibt, und zwar zusammen mit einem Zeitrahmen und einem neutralen internationalen Ansprechpartner, eine Rolle, die die Europäische Union übernehmen müßte.
Aus ethischer Sicht bin ich gegen jedes Töten von Zivilisten. Ich weinte, als ich nach dem Anschlag in der Jafa Street sah, wie eine israelische Mutter im Krankenhaus mit ihrem verletzten Sohn sprach. Aber mein 16jähriger Sohn wurde ernsthaft wütend mit mir und meinte: "Mama, wie kannst du sie bedauern? Hast du vergessen, wie sie das kleine Kind unserer Nachbarn umgebracht haben, als es in seinem Zimmer spielte?" Ich habe ihm geantwortet: "Sie können töten und zerstören, aber die eigentliche Katastrophe ist es, wenn sie unsere Menschlichkeit abtöten. Ich bin eine Mutter, und sie ist eine Mutter und wir müssen zusammenarbeiten, um gemeinsam unsere Menschlichkeit, die uns verbindet, zu verteidigen."

Aus: junge Welt, 16. Juli 2002


Zurück zur Palästina-Seite

Zur Nahost-Seite

Zurück zur Homepage