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Verfeindete Brüder

Hamas wirft der Fatah vor, Israel statt die Palästinenser zu schützen

Von Karin Leukefeld *

Die Spannungen zwischen der von der Fatah geführten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und der Hamas haben in den letzten Tagen zugenommen. Nach dem Anschlag auf israelische Siedler in der Westbank hatte die palästinensische Polizei massiven Druck gegen Hamas-Mitglieder und -Anhänger in den besetzten Gebieten aufgebaut und viele Personen verhaftet. Laut Angaben der PA sollen sieben Mitglieder der Kassam-Brigaden festgenommen worden sein, Hamas dagegen spricht von Hunderten. Die Kassam-Brigaden sind der bewaffnete Arm der Hamas und hatten die Verantwortung für die Anschläge übernommen, bei denen vier Personen getötet und zwei verletzt worden waren.

In einer scharfen Stellungnahme wies die Hamas das Vorgehen zurück. Sollte die PA und ihr Leiter Mahmud Abbas die Razzien gegen Hamas in der Westbank nicht stoppen, könnte sie selber zur Zielscheibe von Anschlägen werden, lautete die Warnung. Die Maßnahmen seien »nationaler Verrat« und Ergebnis einer engen Zusammenarbeit mit den israelischen Besatzern. Am Mittwoch forderte Hamas-Sprecher Fawzi Barhum in Gaza die Freilassung der Festgenommenen. Die PA habe eine »rote Linie« überschritten und werde damit »die Entschlossenheit der Hamas zum Widerstand und zu schmerzlichen Angriffen auf den zionistischen Feind« nur noch bestärken. Mahmud Abbas und die Fatah schützten Israel und nicht die Palästinenser, so Barhum weiter. Die Geduld der Hamas »gehe zu Ende«, man werde »nicht mehr lange ruhig bleiben können«. Die Fatah-Führung spiele »eine gefährliche Rolle als Sicherheitsagent zum Schutz des Feindes«, sagte Barhum. Ziel sei, »den Widerstand auszulöschen und die palästinensische Sache aufzukündigen«. Menschenrechtsgruppen rief er auf, die Situation der Gefangenen nicht aus dem Blick zu verlieren; es sei bekannt, daß in den Gefängnissen und Verhörzentren der PA gefoltert werde. Die PA solle sich hüten, die Festgenommenen an Israel auszuliefern.

Ein Mitarbeiter der palästinensischen Sicherheitsbehörden sagte derweil gegenüber der israelischen Tageszeitung Maariv, man werde die Festgenommenen weder ausliefern noch Informationen über sie an Israel weitergeben. »Wir werden sie anklagen«, betonte er. Die enge Zusammenarbeit zwischen der palästinensischen Polizei, die der PA untersteht sowie vom Westen ausgerüstet und ausgebildet wird, sorgt regelmäßig für Spannungen und Kritik auf palästinensischer Seite.

In Israel haben sich derweil die Gefängnistore für den Soldaten Tysir Hayb geöffnet, der im April 2003 den Briten Tom Hurndall gezielt mit einem Kopfschuß ermordet hatte. Hurndall war damals als 22jähriger Aktivist der Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM) im Flüchtlingslager Rafah und hatte versucht, zwei Kinder in Sicherheit zu bringen. Er starb neun Monate später in einem Krankenhaus in London, wo er im Koma gelegen hatte. Im gleichen Jahr starb auch die US-Amerikanerin Rachel Corrie, ebenfalls Aktivistin von ISM. Bei Protesten gegen illegale Hauszerstörungen wurde sie von einem israelischen Bulldozer überfahren.

Hayb wurde nun nach Verbüßen von drei Vierteln seiner achtjährigen Haftstrafe vom Militär freigelassen. Die Mutter von Tom Hurndall kritisierte die vorzeitige Entlassung, von der die Familie nicht informiert worden war. »Das ist eine Erinnerung daran, wie Israel internationale Rechtsstandards mißachtet«, so Jocelyn Hurndall.

* Aus: junge Welt, 10. September 2010


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