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Wie die Hamas umetikettiert wird

Von Karin Leukefeld *

Der Mittlere und Nahe Osten ist für Journalisten ein Minenfeld. Nicht nur, weil die Arbeit in Irak, Palästina, Libanon tödlich sein kann, sondern auch, weil es schwer ist, zwischen allseitiger Propaganda, Falschmeldungen, Nachrichtensperren und extremem Zeitdruck ein Stückchen Wahrheit zu finden. Nicht zu vergessen der politische Druck. Reporter, besonders die vom Fernsehen, haben keine Zeit, Zusammenhänge zu erläutern. Sie werden von ihren Redaktionen geradezu gedrängt, eher vorschnelle Antworten zu geben, als weiterführende Fragen zu stellen. Dabei verstehen sie in vielen Fällen selber nicht, was um sie herum geschieht.

Beispiel Irak. Wenn dort eine Bombe explodiert, wird fast schon reflexartig nach einer sunnitischen oder schiitischen Einrichtung in der Nähe gesucht, um die Explosion zu erklären. Die Nachricht lautet dann, der Anschlag galt (zum Beispiel) der schiitischen Gailani Moschee im Zentrum Bagdads und geht vermutlich auf das Konto »sunnitischer Extremisten«. Fazit: Im Irak töten sich Sunniten und Schiiten gegenseitig und stecken die Moscheen in Brand. Beweis? »Erkenntnisse« der irakischen und US-Streitkräfte.

Die Gailani Moschee ist allerdings seit Hunderten von Jahren Heimat eines als sehr tolerant bekannten Sufiordens, den Qadariten, und liegt in direkter Nachbarschaft des christlichen Armenierviertels in Bagdad. Die wunderbare, alte Bibliothek der Moschee wurde von irakischen Wissenschaftlern und Religionsgelehrten aller Glaubensrichtungen oft besucht. Doch das macht die Nachricht zu kompliziert. Man müsste sich fragen, warum explodiert dort eine Bombe, wer steckt dahinter? Die Iraker fragen sich das täglich.

Das Unverständnis zwischen West und Ost werde immer größer, beklagte kürzlich der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günther Gloser, bei der Eröffnung einer Medienkonferenz in Berlin. Die Medien sollten eine Brücke der Verständigung schlagen. Nur wenig später ergriff die Bundesregierung Partei für die Fatah in Palästina. Die großen Medien schwenkten auf den Kurs ein und innerhalb weniger Stunden wurden aus der bis dahin »radikal-islamischen Hamas« »islamistische Extremisten«. Brücken der Verständigung?

Die Wortwahl etikettiert ebenso wie die Auswahl von Bildern. Angesichts der hiesigen Berichterstattung muss man sich nicht wundern, wenn 78 Prozent der Deutschen der Meinung sind, Muslime seien fanatisch und 52 Prozent meinen, Muslime seien gewalttätig. Das ergab eine Umfrage des amerikanischen Pew Instituts, bei der 14 000 Menschen in 13 Ländern befragt wurden. Die Deutschen und Spanier zeigten dabei weit mehr Antipathie gegenüber Muslimen und Arabern als Franzosen, Briten und Amerikaner.

Nicht nur die Politik, auch die Medien polarisieren seit dem 11. September 2001 gegenüber der islamischen Welt. Sie tragen mehr zum Krieg bei als zum Frieden. Frieden macht man mit einem – wirklichen oder vermeintlichen – Feind, mit ihm muss man reden, seine Stimme muss man hören. Gebraucht werden Dialog, Kommunikation, keine dekorativen Appelle. Wo bleibt die Stimme des anderen?

In Deutschland hat dieser andere, der meist als »Terrorist« oder »islamistischer Extremist« abgestempelt wird, keine Stimme. Seine Medien werden verboten, Einreisevisa verweigert, der Kontakt zur Bevölkerung kriminalisiert. Das gilt für die Hamas wie für die Taliban, für Hisbollah wie für irakische Besatzungsgegner. Warum das – aus Sicht der anderen – so ist, erklärte mir kürzlich Said Khodor Nour Eldeen von der libanesischen Hisbollah. »Die strategischen Interessen des Westens in unserer Region sind so wichtig, dass sie keine Partei akzeptieren, die sich nicht ihren Interessen beugt.« Und er fügte hinzu: »Die Interessen unseres Volkes, unsere Werte, spielen für Euch keine Rolle.« Ist dieser Standpunkt keine Nachricht wert?

* Unsere Autorin hat den Nahen und Mittleren Osten vielfach als Korrespondentin bereist.

Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2007 (Kolumne)



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