Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Jerusalem sollte allen zugänglich sein

Mustafa Barghouti über das Ziel des "Globalen Marsches nach Jerusalem"

Von Elsa Rassbach *

Jedes Jahr am 30. März begehen die Palästinenser den »Tag des Bodens«. Sie erinnern damit an einen Generalstreik und an Demonstrationen im März 1976. Damals hatten die israelischen Behörden Tausende Hektar Land beschlagnahmt. In diesem Jahr ist der Tag Anlass für einen »Globalen Marsch nach Jerusalem«.

Dr. Mustafa Barghouti (58), unser Interviewpartner, ist einer der führenden palästinensischen Berater und Unterstützer des »Globalen Marsches nach Jerusalem«. Als Generalsekretär der Palästinensischen Nationalen Initiative spielte er eine Schlüsselrolle bei den jüngsten Versuchen, die rivalisierenden Parteien Hamas und Fatah an einen Tisch zu bringen. Der Arzt ist Gründer und Leiter der Palästinensischen Gesellschaft für Medizinische Hilfe, die im Westjordanland und im Gaza-Streifen tätig ist. Im Jahr 2005 kandidierte Barghouti für das Amt des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde und erhielt 19 Prozent der Stimmen. Er lebt in Ramallah und erläutert im nd-Interview die tatsächlichen Ziele dieses Marsches.

Die Marschvorbereitungen treffen auf ein widersprüchliches Echo. Teilnehmer des »Globalen Marsches nach Jerusalem« wollen am 30. März versuchen, sich der Stadt so weit zu nähern, wie es ihnen möglich ist: Sei es an den Grenzen Libanons und Jordaniens, an Kontrollposten im Westjordanland oder am Grenzübergang Erez in Gaza. Auch in Jerusalem selbst wird es eine Demonstration geben. Unterstützer von fünf Kontinenten wollen sich dem Marsch anschließen. Zu einem Beirat der Organisatoren gehören die Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu und Mairead Maguire. Geplant sind überdies Solidaritätsmahnwachen und -aktionen vor israelischen Botschaften und an anderen Orten im Ausland. In Israel selbst wurde bereits eine Kampagne gegen das Vorhaben in Gang gesetzt. Um Marschteilnehmer in die Irre zu führen, wird mit gefälschten Websites und Facebook-Seiten operiert. Nachdem Unterstützer aus Indien, Malaysia, Pakistan und anderen asiatischen Staaten auf ihrem Weg nach Libanon, wo sie sich dem Marsch anschließen wollen, in Iran Station gemacht hatten, behauptete die israelische Presse, der Marsch sei von Teheran gelenkt und gewalttätige »Zusammenstöße« mit israelischen Truppen seien geplant.

nd: Sie haben zusammen mit Palästinensern unterschiedlicher politischer Richtungen und aus unterschiedlichen Orten der Welt zum »Globalen Marsch nach Jerusalem« aufgerufen. Worum geht es Ihnen dabei?

Barghouti: Es ist ein Akt der Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Der Marsch wird am 30. März - dem »Tag des Bodens« - stattfinden, einem Tag, der die Einheit der Palästinenser im Kampf für Freiheit und Würde und gegen den Raub ihres Landes symbolisiert. Wir hoffen, dass wir die Aufmerksamkeit der Welt auf die sehr schweren Rechtsverletzungen lenken können, die Israel in Jerusalem begeht. Sowohl die Vereinten Nationen als auch der Internationale Gerichtshof haben erklärt, dass die Annexion Ostjerusalems, das ein Teil des besetzten palästinensischen Territoriums ist, einen Verstoß gegen das internationale Recht darstellt.

Illegale israelische Beschlagnahmungen palästinensischen Bodens gibt es überall in den besetzten Gebieten. Warum konzentrieren Sie sich auf Jerusalem?

Jerusalem ist das Herz der palästinensischen Sache. Ostjerusalem sollte die Hauptstadt des palästinensischen Staates sein. Wenn Jerusalem verloren geht, gehen das ganze Konzept und die Idee einer palästinensischen Staatlichkeit verloren - und damit die Möglichkeit für einen Frieden. Jerusalem ist ein bedeutender Ort für die ganze Menschheit, ein heiliger Ort für Muslime, Christen und das jüdische Volk. Jerusalem sollte der Ort sein, wo der Frieden beginnt.

In Jerusalem sieht man heute das israelische System der Segregation, der Apartheid und der ethnischen Säuberung in seiner extremsten Form. Wenn ein Palästinenser aus Jerusalem eine Frau aus Ramallah heiratet, das nur 16 Kilometer entfernt liegt, kann er nicht mit ihr zusammenleben. Die Israelis werden ihr niemals das Recht gewähren, nach Jerusalem zu ziehen. Wenn der Mann aber nach Ramallah zieht, verliert er seine Aufenthaltserlaubnis für Jerusalem.

Diese Erlaubnis kann auch aus politischen Gründen entzogen werden. Obwohl ich in Jerusalem geboren wurde und dort 15 Jahre als Arzt gearbeitet habe, hat mir die israelische Armee den Zutritt verweigert, nachdem ich 2005 für das Präsidentenamt kandidiert hatte. Die meisten Palästinenser, Christen wie Muslime, dürfen ebenfalls nicht nach Jerusalem.

Aber jüdische Menschen aus aller Welt, die nach Israel einwandern, ob aus Sibirien oder den USA, erhalten sofort die Erlaubnis, in Jerusalem wie überall in den besetzten Gebieten zu leben. Jerusalem ist für jede jüdische Person zugänglich. Es sollte für jeden zugänglich sein. Viele jüdische Menschen aus Israel und anderen Teilen der Welt stimmen dem zu und organisieren den Globalen Marsch mit oder nehmen sogar daran teil.

Zu den Forderungen des Marsches gehört die nach dem »Recht auf Rückkehr«. Warum unterstützen Palästinenser, die innerhalb der Grenzen des historischen Palästinas leben, eine solche Forderung?

Diese Forderung bedeutet auch uns sehr viel, weil es eine große Zahl von Flüchtlingen in Gaza und im Westjordanland gibt, denen der Zugang zu den Orten verwehrt wird, von denen sie vertrieben wurden. Nicht einmal Palästinensern, die in Israel leben und die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, ist es erlaubt, in ihre Dörfer in Israel wie Iqrit und Kafr Bir'im zurückzukehren. Das Recht auf Rückkehr ist international durch die UN-Resolution 194 anerkannt worden. Uns ist klar, dass deren Umsetzung verhandelt werden muss, aber das Recht selbst muss respektiert werden.

Am 15. Mai vergangenen Jahres, dem Nakba-Tag und zugleich dem israelischen Unabhängigkeitstag, haben israelische Soldaten Dutzende unbewaffneter Palästinenser getötet und Hunderte verwundet, die von Libanon und von Syrien aus die Grenze überschreiten wollten. Könnte der Globale Marsch zu einer Wiederholung derartiger Gewalt führen?

Der Marsch wird ein Akt des Friedens sein, ein Akt der Gewaltlosigkeit und aus diesem Grund haben sich Palästinenser überall zusammengetan, um ihn zu unterstützen. In dieser Initiative sieht man den Konsens heute, eine Politik der Gewaltlosigkeit anzunehmen. Wir wissen, dass Israel zu furchtbarer Gewalt fähig ist. Alle Organisatoren in Libanon, in Jordanien, Ägypten und in Israel/Palästina sind sich des Risikos bewusst. Wir hoffen, dass Deutschland und die europäischen Staaten Druck auf Israel ausüben werden, keine Gewalt gegen unsere Gewaltlosigkeit anzuwenden.

* Aus: neues deutschland, 26. März 2012

Dokumentiert: Im Wortlaut

Internationaler Aufruf, Amman, 12.12.2011

Globaler Marsch nach Jerusalem – Aufruf für die Freiheit

Die Teilnehmer des Globalen Marsches nach Jerusalem halten fest:
  • Jerusalem ist aus politischen, kulturellen und religiösen Gründen für das palästinensische Volk und die Menschheit als ganzer von größter Bedeutung. Alle Versuche den kulturellen Charakter und die arabische Identität der Stadt zu zerstören, betrachten wir daher als Verbrechen gegen die Menschheit. Wir setzen uns für den Schutz der Heiligen Stätten und archäologischen Schätze ein und rufen alle internationalen Institutionen dazu auf diesbezüglich ihre Pflicht zu tun.
  • Die Verteidigung und Befreiung Jerusalems sind Pflicht aller freien Menschen weltweit und wir rufen daher alle Institutionen, Organisationen und Individuen dazu auf dieser Pflicht nachzukommen.
  • Wir verurteilen die ethnische Säuberung Jerusalems und des Rests von Palästina wie sie von den Zionisten durchgeführt wird. Wir lehnen die Politik der Judaisierung ab, die darauf abzielt die demografischen und geografischen Verhältnisse zu verändern. Wir kämpfen gegen die anhaltenden Versuche der zionistischen Besatzung die Apartheid-Mauer aufzurichten, um so palästinensisches Land zu enteignen, es zu besetzen und die schrumpfenden palästinensischen Enklaven von einander zu isolieren.
  • Wir unterstützen das Recht der Palästinenser ihr Land zu befreien und in ihm in Freiheit und würde zu Leben, so wie es allen Völkern der Erde zukommt.
  • Wir unterstützen das unverhandelbare und unveräußerliche Recht des palästinensischen Volkes in ihre Heimat, in ihre Häuser, in ihr Land, aus dem sie vertrieben wurden, zurückzukehren.
  • Wir weisen alle rassistischen Gesetze, die zwischen Menschen aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit unterscheiden, zurück, und fordern ihre Aufhebung sowie ihr Verbot.
  • Der Globale Marsch nach Jerusalem repräsentiert keine politische Fraktion oder Partei, sondern ruft alle sozialen, politischen und ideologischen Richtungen zur Beteiligung auf.
  • Der Globale Marsch nach Jerusalem ist eine friedliche Bewegung, die Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele ablehnt.
Quelle: http://www.jerusalem-marsch.de




Zurück zur Palästina-Seite

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage