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Machtpoker in Palästina

"Würde morgen gewählt, würden wir so wie 2006 wieder gewinnen."" Hamas-Vertreter Mahmud Ramahi benennt Bedingungen für eine Versöhnung mit der Fatah

Von Mel Frykberg (IPS), Ramallah *

Die palästinensische Politik steckt in der Sackgasse. Am 25. Januar endete die vierjährige Legislaturperiode des Parlaments (Palästinensischer Legislativrat PLC), aber Neuwahlen sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch für die Präsidentschaftswahlen, die schon im vergangenen Jahr hätten stattfinden sollen, steht noch kein neuer Termin fest. Vor diesem Hintergrund sieht PLC-Generalsekretär Mahmud Ramahi den Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas und dessen Fatah-Partei in der Pflicht, auf die Hamas zuzugehen. Auch Israel und die Vereinigten Staaten müßten sich bewegen.

Präsident Abbas weigert sich, Parlamentswahlen abzuhalten, solange die Hamas nicht ein unter ägyptischer Ägide ausgehandeltes Versöhnungsabkommen mit der Fatah unterschreibt. Für den PLC-Chef sind dafür aber drei Vorbedingungen zu erfüllen. »Die politisch motivierten Verhaftungen von Hamas-Mitgliedern im Westjordanland müssen aufhören, alle Hamas-Mitglieder, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft ihre Arbeitsplätze verloren haben, wieder eingestellt werden und planmäßig Neuwahlen stattfinden.«

Dem habe die Autonomiebehörde bei den Gesprächen im vergangenen Jahr bereits zugestimmt, so der studierte Neurochirurg Ramahi in einem Exklusivinterview mit IPS. Sie sei aber unter dem Druck der Vereinigten Staaten eingeknickt. Später habe sie behauptet, finanziell nicht in der Lage zu sein, um die entlassenen Hamas-Mitglieder wieder einzustellen. Auch habe sie angekündigt, daß in den Wahlausschüssen nur noch Fatah-Mitglieder sitzen sollten. »Das jedoch ist für uns völlig unakzeptabel. Wir haben schließlich die letzten Wahlen gewonnen.« Unter Yassir Arafat »haben wir die Fatah als erste revolutionäre Organisation der Palästinenser respektiert«. Jetzt aber, so Ramahi, mache die Partei und damit die von ihr dominierte Autonomiebehörde einen großen Fehler, wenn sie gegen Hamas-Mitglieder vorgehe und das Recht auf Widerstand gegen die israelische Besatzung verneine.

Für den PLC-Generalsekretär steht fest, daß Präsident Abbas aus Angst vor der Popularität der Hamas im Westjordanland Neuwahlen unterbindet. »Würde morgen gewählt, würden wir so wie 2006 wieder gewinnen.« Die Hamas wirft der Abbas-Regierung vor, ein undemokratisches Regime errichtet zu haben, wo politische Verhaftungen, Menschenrechtsverstöße und Gängelung der Medien an der Tagesordnung seien. Konfrontiert mit der Frage, ob es Hamas im Gazastreifen nicht genauso halte, beruft sich Mahmud Ramahi auf völlig unterschiedliche Größenordnungen und das Recht auf Vergeltung. »Die Autonomiebehörde hat 500 politische Gefangene im Westjordanland, die Hamas lediglich 50, von denen einige unter Mordverdacht stehen. Viele unserer Verhaftungen waren außerdem Vergeltungsmaßnahmen für Festnahmen unserer Leute im Westjordanland.«

Die häufig angeprangerte Folter von Hamas-Gefangenen hat die Autonomiebehörde zugegeben und nach eigenen Angaben inzwischen unterbunden. Ramahi kann das teilweise bestätigen. »Die besonders harten Schläge und das Fesseln in schmerzhaften Stellungen haben weitgehend aufgehört. Andere Formen werden aber noch weiter praktiziert. So müssen Häftlinge im Winter ohne Matratzen oder Decken auf dem kalten Betonboden schlafen. Oder die Zellenböden werden geflutet, so daß sie sich nicht hinsetzen können.«

Ramahi beschreibt die Hamas als eine gemäßigte islamische Bewegung. »Der Einfluß des Islam in der Region wächst, ob das dem Westen paßt oder nicht. Uns moderate islamische Gruppierungen weiter zu boykottieren, hieße den wirklichen islamischen Extremismus à la Al-Qaida anzuheizen«, so Ramahi. Vor allem die Vereinigten Staaten weigerten sich, mit der Hamas an den Verhandlungstisch zu gehen, solange die Organisation das Existenzrecht Israels nicht anerkenne. Das sei seltsam, so Ramahi. »Wir haben oft genug gesagt, daß wird das Recht Israels auf Existenz in den Grenzen von 1967 als politische Realität akzeptieren, auch wenn wir dem Staat die moralische Legitimität absprechen.«

Israel habe hingegen diesen Schritt noch nicht gemacht. Die israelische Regierung habe niemals das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkannt, auch nicht unter der Autonomiebehörde, die das Existenzrecht Israels bestätigt habe. »Alles, was Israel bisher anerkannt hat, ist die Legitimität der PLO als alleinige Vertretung des palästinensischen Volkes.«

* Aus: junge Welt, 8. Februar 2010


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