Russland, Hamas und das Nahost-Quartett:
Schwierige Beziehungen - aus russischer und palästinensischer Sicht
Moskau fordert Einhaltung von Verträgen - Maschaal lehnt Anerkennung Israels ab
Von Alexej Dubatow, Moskau
Auf drei Tage ist der Besuch einer Hamas-Delegation in Moskau angelegt. Zu einem Treffen mit
Präsident Wladimir Putin, der im Februar die Einladung ausgesprochen hatte, wird es aber wohl
nicht kommen. Zu weit sind die politischen Positionen im Nahost-Konflikt voneinander entfernt.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aus Kreisen der Hamas hieß es, der Aufsehen erregende Besuch in
Moskau werde »zirka drei Tage« in Anspruch nehmen. Diese Formulierung schien anzudeuten, dass
der Delegationsleiter, der Politbürochef der radikal-islamischen Bewegung, Chaled Maschaal, die
Hoffnung auf ein Treffen mit dem russischen Präsidenten nicht aufgibt. Dafür gab es freilich keinerlei Voraussetzungen. Als erstes hatte er nach der Landung in Moskau erklärt, die Anerkennung Israels komme nicht in Frage. Zum Friedensplan »Road Map« des Nahost-Quartetts (UNO, USA, Russland, EU) sagte Maschaal, Israel habe ihn durch den Scharon-Plan ersetzt, das heißt umgekrempelt.
Trotzdem forderte der russische Außenminister Sergej Lawrow die künftige palästinensische
Regierung auf, alle Abkommen einzuhalten, die die Vorgängerregierung abgeschlossen hat. Chaled
Maschaal sagte, er wünsche sich eine »Sonderrolle Russlands« bei der »Regelung der
Palästinenserfrage«.
Nach den Worten des neuen palästinensischen Botschafters in Moskau, Baker Abdel Monem, war
der Hamas-Besuch von Anfang an nur als Meinungsaustausch gedacht. Gleichwohl werde die Visite
eine »sehr große Bedeutung haben, handle es sich doch um den ersten Hamas-Besuch in einem
nichtarabischen und nichtmuslimischen Land. Laut Botschafter Monem unterscheidet sich »die
heutige Hamas von der von vor einem Monat«. In einem weiteren Monat werde sie sich von der
heutigen unterscheiden. Die Situation ändere sich rapide und mit ihr änderten sich die Menschen.
Vor der palästinensischen Botschaft wurden am Freitag sechs Teilnehmer einer Anti-Hamas-
Demonstration festgenommen. Junge Leute, die sich als Anhänger der »hyperzionistischen
Bewegung Bead Arzejnu« vorstellten, entrollten Plakate mit Protesttexten. Eines davon enthielt das Putin-Zitat »Russland verhandelt nicht mit Terroristen. Es tötet sie.« Der Spruch war seinerzeit gegen die Tschetschenen gerichtet. Die ganze Aktion dauerte eine knappe Minute. Die Polizei hatte darauf gewartet und lud die Demonstranten sofort in bereit stehende Busse ein.
Unterdessen hat der Sprecher der tschetschensichen Separatisten Mowladi Udugow den Besuch
der Palästinenserdelegation in Moskau »zutiefst bedauert«. Palästinensische Mudschahedin seien
Brüder der Tschetschenen, sagte er. Sie hätten Putin nicht die Hand reichen sollen. Kurz vor dem Abflug nach Moskau war Maschaal Behauptungen entgegengetreten, seine Organisation arbeite mit tschetschenischen Rebellen zusammen. Er sei bereit, darüber in Moskau zu sprechen, allerdings nur mit der höchsten russischen Führung. Keine andere Ebene komme dafür in Frage.
Am kommenden Montag reist der russische Außenminister Sergej Lawrow nach Washington. Er
habe keine leichten Gespräche vor sich, heißt es in einem von der Tageszeitung »Kommersant« am
Freitag veröffentlichten Artikel des führenden Russland-Experten der Heritage Foundation, Ariel
Cohen. Er werde den US-amerikanischen Gastgebern erklären müssen, was Moskau mit seiner
umstrittenen Iran-Politik und der Einladung an Hamas-Terroristen erreichen will. Man könne noch so lange von Vermittlungsversuchen sprechen. In den letzten Wochen habe der Kreml die
Bemühungen des Nahost-Quartetts faktisch zunichte gemacht, behauptete Cohen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2006
Moskau-Besuch von Hamas hebt deren internationalen Status
MOSKAU, 06. März (RIA Novosti). Eines der Hauptergebnisse des Besuchs der Hamas-Führungsspitze in Moskau ist die Überwindung der internationalen Isolation der Bewegung und ihre Positionierung auf dem internationalen Schauplatz als Partner für internationale Verhandlungen.
Diese Auffassung vertrat der Chefberater des Forschungszentrums der Länder des Persischen Golfes (Gulf Research Center) in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), Mustafa al-Aani, in einem telefonischen Interview für RIA Novosti.
"Dieser Besuch hat sowohl direkte als auch indirekte Ergebnisse gezeitigt. Ein indirektes Ergebnis dieses Treffens besteht darin, dass die Hamas-Bewegung jetzt auf dem internationalen Schauplatz als Partner für internationale Verhandlungen positioniert ist", sagte al-Aani.
Dem Experten zufolge hat die russische Führung "einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der internationalen Isolation der Hamas-Bewegung geleistet".
Das Zusammenwirken mit der Bewegung Hamas, die nach dem Sieg im Januar dieses Jahres bei den Parlamentswahlen die Macht in Palästina und nicht die revolutionäre Opposition vertritt, wie das früher der Fall war, muss jetzt als Zusammenwirken mit einem internationalen Partner betrachtet werden, so der Experte. "Von diesem Standpunkt aus ist die Initiative der russischen Führung, direkte Kontakte mit der Leitung der Bewegung zu unterhalten, ein richtiger und, was besonders wichtig ist, zeitgemäßer Schritt", bemerkte al-Aani. "Die Unveränderlichkeit der Positionen von Hamas und Russland in den Schlüsselfragen der Verhandlungen ist eine gesetzmäßige und natürliche Erscheinung", so der Experte.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Moskauer Treffens war der Austausch von Meinungen, wobei "die Seiten ihre Positionen dargelegt haben". "Niemand hat erwartet, dass sich die Position von Hamas oder von Russland bei den Verhandlungen drastisch verändern kann. Die Seiten haben nicht einmal bedeutende gegenseitige Forderungen in Bezug auf eine Änderung ihrer Standpunkte gestellt", sagte al-Aani.
Diese Verhandlungen haben ferner einen Versuch bedeutet, gemeinsame Berührungspunkte zu finden und Wege des Zusammenwirkens in Zukunft zu bestimmen, so Al-Aani. "Das Ergebnis der Verhandlungen der Palästinenser mit der russischen Seite werden wir nach einiger Zeit einschätzen können", sagte Al-Aani abschließend.
Am Sonntag [5. März] ist der dreitägige Besuch einer Hamas-Delegation unter Leitung des Chefs des Politbüros der Bewegung, Chaled Maschaal, beendet worden. Während des Besuches waren die Mitglieder der Delegation vom russischen Außenminister Sergej Lawrow empfangen worden. Im Außenministerium fanden Verhandlungen statt. Die russische Seite war vom Vizeaußenminister Alexander Saltanow vertreten. Die Palästinenser trafen sich auch mit dem Vorsitzenden des Rates der Muftis Russlands, Rawil Gainutdin, und mit Patriarch Alexi II. von Moskau und ganz Russland.
Quelle: Ria Nowosti, http://de.rian.ru
Russland soll in Nahost ein Vakuum füllen
RIA-Nowosti interviewte den führenden Hamas-Politiker Mussa Abu Mursak
Über die Erwartungen der Hamas an den Moskau-Besuch führte die russische Agentur RIA-Nowosti ein Interview mit Mussa Abu Marsuk, dem stellvertretenden Leiter des Politischen Büros von Hamas.
Wie haben Sie die russische Einladung an die Hamas-Führung aufgenommen?
Wir begrüßen die kühne Haltung Russlands, die über die gemeinsame Position des Nahost-Quartetts hinausgeht. Sie zeugt von einer Abkehr von der Blockade gegen Hamas und von einem Übergang zu offenen Beziehungen. Auch davon, dass Hamas nicht mehr als Terrororganisation
aufgefasst wird, sondern als Widerstandsbewegung, die vom palästinensischen Volk bei freien und fairen Wahlen gewählt worden ist.
Die politischen Wandlungen der letzten 20 Jahre in der Welt haben vor allem dem Nahen Osten geschadet. Am schwersten betroffen wurden die Palästinenser, denn die USA begannen, Entscheidungen zur Regelung des Palästina-Problems im Alleingang zu treffen. Fehlentscheidungen, die Recht und Gerechtigkeit widersprechen, führten dazu, dass die US-amerikanische Nahostpolitik in Verfall geraten ist. Der Einfall in Irak brachte den USA eine Niederlage: Nach der Besetzung des Landes erreichten sie keines ihrer Ziele. Eine weitere Niederlage erlitt Washington beim Versuch, der Region eigene Demokratiestandards gewaltsam
aufzuzwingen und Leute auf führende Posten zu setzen, die USA-Interessen dienen. Der Hamas-Wahlsieg machte das Fiasko der US-amerikanischen Palästina-Politik deutlich. Als Folge dieser Fehlschläge entstand ein Vakuum im Nahen Osten, das ausgefüllt werden muss. Wir wollen, dass
Russland dies tut. Es ist unzulässig, dass eine einzige internationale Kraft im Nahen Osten dominiert. Das Palästina-Problem kann Moskau zur Umsetzung seiner Interessen verhelfen. Waren die USA über Israel in die Region gekommen, so müssen andere Kräfte über Palästina, über Hamas
und andere vom palästinensischen Volk gewählte Widerstandsgruppen kommen.
Es heißt, Russland werde Hamas an den Verhandlungstisch mit Israel treiben. Würden Sie einem solchen Vorschlag zustimmen?
Russlands Herangehen muss nicht unbedingt mit dem Ansatz von Hamas identisch sein. Letztendlich sind vor allem die Belange des palästinensischen Volkes vom »palästinensischen
Dossier« betroffen. Deshalb muss unser Standpunkt nicht hundertprozentig mit der Meinung Europas und anderer übereinstimmen. Der Beginn eines Dialogs, bei dem die Positionen geklärt und
einander näher gebracht werden können, wird ohne Zweifel positive Ergebnisse zeitigen. Hamas
kann diese Ergebnisse zugunsten des palästinensischen Volkes nutzen. Natürlich wird man uns
hohe Forderungen stellen – entsprechend der Position des Quartetts. Aber der Dialog an sich ist
schon ein Erfolg. Wir begrüßen den Dialog als eine Form der Kommunikation mit allen Mitgliedern
des Quartetts. In meinen Augen wird der Vorstoß Russlands zu einem guten Beginn für weitere
Durchbrüche in der europäischen Arena, sowohl für öffentliche als auch für nichtöffentliche.
In welcher Atmosphäre verlief die internationale Tour der Hamas-Delegation bisher, welche Übereinkünfte wurden erzielt?
Unsere Reise begann mit einem Treffen mit Syriens Präsident Baschar al Assad. Es unterschied
sich von allen vorigen, weil unsere Bewegung diesmal nicht als Opposition, sondern als legitimer
Vertreter des palästinensischen Volkes auftrat. Ferner reisten wir zu Gesprächen nach Ägypten,
Sudan, Katar, Iran und in die Türkei. Das Ziel bestand darin, arabische und islamische Staaten auf
die Seite des palästinensischen Volkes zu ziehen, das unter dem Joch der Besatzung leidet. Die
Reise war erfolgreich: Unsere Delegation wurde würdig empfangen. Man sicherte der künftigen
palästinensischen Regierung und dem palästinensischen Volk Beistand zu.
Die Bewegung Fatah hat prinzipiell eingewilligt, an der Hamas-Regierung teilzunehmen, stellt jedoch
Bedingungen. Warum besteht Hamas auf der Einbindung anderer palästinensischer Fraktionen in
die zukünftige Regierung?
Ich erinnere daran, dass wir als Oppositionspartei die Fatah-Bewegung aufgerufen hatten, von der
»Macht einer Partei« zur »Macht aller Palästinenser« überzugehen. Unser Programm setzt eine
breite Mitwirkung des Volkes an der Beschlussfassung voraus. Wir können nicht auf unsere
Prinzipien verzichten. Unsere Regierung braucht ein Programm des nationalen Einvernehmens, in
dem die Positionen aller Parteien ihren Niederschlag finden, sofern sie einander nicht
widersprechen.
Die Fatah fordert aber Verhandlungen mit Israel.
Unser Volk leidet unter der Okkupation. Deshalb kann die künftige Regierung weder unabhängig
noch souverän vorgehen. Wir können uns nicht völlig gegen Israel abschirmen, weil dieses Land als
Besatzungsmacht das palästinensische Territorium, den Luftraum und die Grenzübergangsstellen
kontrolliert. Deshalb sieht sich die palästinensische Verwaltung gezwungen, Kontakte zur
Besatzungsmacht aufrechtzuerhalten. Eine ganz andere Sache sind politische Verhandlungen. Sie
müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Eine davon ist die Orientierung auf das Endziel.
Bisher verliefen die Gespräche mit Israel unter dem Diktat aus Tel Aviv. Man sagte sogar, dass
Israel mit sich selbst verhandele. Eine weitere Bedingung ist die Bereitschaft Israels, sich aus den
Palästinensergebieten zurückzuziehen, die es seit 1967 besetzt, und das Heimkehrrecht der
Flüchtlinge anzuerkennen. In diesen Fragen muss Klarheit geschaffen werden, bevor die
Verhandlungen beginnen. Alle müssen zudem verstehen, dass Ariel Scharons Programm von
Anfang an auf Alleingang und auf Einstellung der Kontakte mit den Palästinensern ausgerichtet war.
* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2006
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