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Schüsse am Tag der Nakba

Palästinenser gedachten ihrer Vertreibung *

Beim gewaltsamen Vorgehen israelischer Soldaten gegen Proteste zum Jahrestag der Staatsgründung Israels sind mehrere Palästinenser getötet worden. Bei dem schwersten Vorfall wurden zwei Menschen auf der libanesischen Seite der Grenze von israelischen Soldaten erschossen, wie am Sonntag (15. Mai) aus libanesischen Sicherheitskreisen zu erfahren war. Auch auf den Golanhöhen wurde Medienberichten zufolge ein Palästinenser getötet.

Im libanesischen Grenzort Marun el-Ras hatten sich Tausende palästinensische Flüchtlinge versammelt, um mit einem »Marsch für die Rückkehr nach Palästina« ihrer Vertreibung aus Israel zu gedenken. Dutzenden Jugendlichen gelang es, die Absperrungen der libanesischen Armee zu durchbrechen. Als sie Steine in Richtung der israelischen Posten auf der anderen Seite der Grenze warfen, schossen die Posten auf sie. Ein Sprecher der libanesischen Armee sagte, zwei Palästinenser seien getötet und zehn weitere verletzt worden.

In den Golanhöhen gelang es zahlreichen Palästinensern, aus Syrien über die Grenzabsperrung und ein früheres Minenfeld zu gelangen. Sie wollten dort der palästinensischen »Nakba« (Katastrophe) gedenken, wie die Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 und die folgende Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser in der arabischen Welt genannt wird. Israelische Medien berichteten, ein Demonstrant sei in der Ortschaft Madsch el-Schams getötet worden.

Auch im Gazastreifen wurden Krankenhausmitarbeitern zufolge rund 50 Demonstranten durch Schüsse verletzt. Rund tausend Palästinenser seien zum Grenzübergang Eres marschiert und hätten sich auch von Warnschüssen nicht aufhalten lassen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2011


Marsch auf die Grenzen

Israelisches Feuer auf Palästinenser am 63. Nakba-Jahrestag

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Hunderttausende Palästinenser haben am Sonntag (15. Mai) mit einem Marsch auf die israelischen Grenzen ihr Recht auf Rückkehr in ihre palästinensische Heimat manifestiert. Anlaß der Massenmärsche, die in Libanon und Ägypten organisiert worden waren, war der 63. Jahrestag der Nakba, der Katastrophe, am 15. Mai 1948. 760000 Palästinenser flohen nach der Gründungserklärung Israels (14. Mai 1948) aus ihrer Heimat nach Jordanien, Syrien, in den Libanon, nach Ägypten und in den Gazastreifen, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern leben. Das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge, UNRWA, gibt die Zahl der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen heute mit 4,7 Millionen an. Die israelische Regierung hatte Sondereinheiten von Polizei und Militär aufmarschieren lassen. Die Grenze zum Westjordanland war abgeriegelt und für Palästinenser eine Einreisesperre verhängt worden.

Sowohl auf dem Golan als auch an der Grenze zum Libanon bei Marun Al-Ras kam es zu Toten, als israelisches Militär in die Menschenmenge schoß. Im Libanon waren bis zu 50000 Palästinenser zu den Grenzposten Naqoura und Marun Al-Ras marschiert. Bei Marun Al-Ras wurden vier Demonstranten erschossen, bis Redaktionsschluß wurde die Zahl der Verletzten dort mit 40 Personen angegeben. Auf den Golan-Höhen wurden unbestätigten Berichten zufolge vier Palästinenser erschossen. Nach israelischer Darstellung sollen die Demonstranten bei Ain Al-Tina die Grenze von Syrien aus in den besetzten Golan überwunden haben, woraufhin das Militär das Feuer auf sie eröffnete. Mindestens zehn Personen sollen verletzt worden sein, israelische Quellen sprechen von einem Toten und drei Verletzten. An verschiedenen Grenzübergängen in den Gazastreifen wurden bis zu 45 Palästinenser verletzt, als das israelische Militär Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten einsetzte. Zu Auseinandersetzungen kam es auch am Kalandia-Grenzübergang zwischen Jerusalem und Ramallah.

Bereits am Freitag 813. Mai) war es bei Protesten in Bi’lin, Ni’lin und anderen Orten gegen die israelische Besatzung und die Sperrmauer zu Verletzten gekommen. Bei Nabi Saleh wurde ein US-Amerikaner schwer verletzt, als er aus nächster Nähe von einem Gummigeschoß am Kopf getroffen wurde, einem Israeli, der mit den Palästinensern demonstrierte, wurde der Arm gebrochen. In Ostjerusalem war ein 16jähriger Palästinenser bei Protesten anläßlich der Nakba offenbar von Siedlern erschossen worden.

Ein von progressiven und linken ägyptischen Organisationen geplanter Solidaritätsmarsch mit den Palästinensern wurde von der ägyptischen Armee bei der Stadt Ismailia gestoppt. Das ägyptische Innenministerium hatte am Vortag die Veranstalter aufgefordert, den Marsch aus »Gründen der nationalen Sicherheit« abzusagen. Unter Umgehung von Absperrungen gelangten dennoch rund 3000 Demonstranten nach Arisch, das etwa 50 Kilomter von Gaza entfernt ist. In Kairo und Alexandria demonstrierten am Wochenende Tausende Menschen ihre Solidarität mit den Palästinensern.

** Aus: junge Welt, 16. Mai 2011


Lob des Gescheiterten

Von Roland Etzel **

Die Israelis feiern, die Palästinenser trauern, und einer, der angetreten war, den seit über sechs Jahrzehnten todesträchtigen Konflikt im Nahen Osten aufzulösen, verlässt als gescheiterter Mann dieses politische Kampffeld. Ein Menetekel. Dass der Tag der israelischen Staatsgründung für die Palästinenser zum Tag der »Nakba«, der Katastrophe, wurde, ist mehr als ein in der Geschichte verblassendes Datum. Noch immer dauert die nationale Tragödie der Palästinenser an. Sie ist eine Folge multipler Interessenverwicklungen aller Großmächte dieser Welt, aber nicht zum wenigsten Ergebnis einer israelischen Staatspolitik, in der Anspruch und Recht der Palästinenser auf einen eigenen lebensfähigen Staat nach wie vor keinen Stellenwert haben.

Selbst die über jeden Zweifel erhabenen Bemühungen des krisenerprobten US-Diplomaten und Ex-Senators Mitchell zerschellten an der Härte der nahöstlichen Fronten. Der Konflikt wäre vermutlich nicht gelöst, aber sicher auch nicht so ernüchternd festgefahren wie heute, hätte Mitchells Parteifreund und Präsident Obama auch nur halb so viel an einst versprochenem Durchsetzungswillen zur friedlichen Lösung des Konflikts an den Tag gelegt, wie er jetzt an plattem Lob über Mitchell ausschüttete. Es kann nicht verdecken, dass der Friedensnobelpreisträger aus dem Weißen Haus auch diesen Teil seiner Vorschusslorbeeren bisher nicht zurückzuzahlen vermochte.

*** Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2011 (Kommentar)


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