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"Israel hat nie ernsthaft verhandelt"

Palästinenser reden nicht mit Netanjahu, solange er die Zwei-Staaten-Lösung nicht akzeptiert

Tayseer Khaled ist Mitglied des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)



Neues Deutschland: Sie kommen aus Nablus. Wie schwer war es, aus dem Westjordanland auszureisen?

Tayseer Khaled: Die Palästinenser haben allgemein eine sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit. 640 Checkpoints, über das nur 5000 Quadratkilometer große palästinensische Gebiet verteilt, behindern uns sowohl bei Reisen innerhalb unserer Heimat als auch ins Ausland. Ich habe die meisten Probleme, wenn ich nach Gaza reise.

Wie beurteilen Sie die Forderung nach einer Einheitsregierung von Fatah und Hamas?

Es herrscht eine falsche Vorstellung über die Situation der Palästinenser. Da wird die Konfrontation nur auf die zwei Komponenten Fatah und Hamas beschränkt. Es gibt aber noch andere politische Gruppierungen wie die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas, die Volkspartei oder die Volksfront zur Befreiung Palästinas. Die Auseinandersetzungen finden eher zwischen Hamas und den verschiedenen PLO-Fraktionen statt. Hamas neigt dazu, die Gesellschaft als Dualismus zu formulieren. Wir wollen aber nicht zugunsten von zwei Stämmen auf das Mehrparteiensystem verzichten, auf das wir sehr stolz sind.

Wäre es denkbar, dass Hamas und PLO zusammenarbeiten?

Natürlich. Wir sind ein Volk unter Besetzung. Es gibt viele Punkte, die uns einen: der Siedlungsbau, die abscheuliche Mauer der Israelis, der Jerusalemstatus, die Aggressionen Israels gegenüber Gaza. Das sind gemeinsame Ziele von PLO und Hamas.

Konzentriert sich die Politik derzeit auf diese Ziele oder auf das, was sie trennt?

Diese Ziele sollten uns einen. Hamas hat ein politisches Programm, das sich von dem der PLO stark unterscheidet. Hamas gehört einer internationalen islamischen Bruderschaft an, die ein islamisches Emirat schaffen will. Die PLO hingegen zielt auf einen demokratischen Staat, in dem die Menschenrechte bewahrt werden.

Israel forderte kürzlich die Anerkennung als jüdischen Staat ...

... schon von USA-Präsident Harry Truman wurde das gefordert. In seinem Schreiben vom 14. Mai 1948 hat er das Wort »jüdisch« jedoch durchgestrichen und nur den »neuen Staat Israel« anerkannt. Auch wir können niemals Israel als jüdischen Staat anerkennen. 20 Prozent der dort lebenden Menschen sind Palästinenser. Das sind die ursprünglichen Bewohner des Landes. Und was machen wir mit den fünf Millionen palästinensischen Flüchtlingen in Israel?

Wollen Sie mit der neuen Regierung Israels verhandeln?

Die vorherigen Regierungen Israels haben seit 1991 nie ernsthaft verhandelt. Die Gespräche fangen immer nur an, enden aber nie. Das hat Barack Obama auch erkannt und gefordert, dass Verhandlungen unbedingt zu einem Ziel führen müssen. Israel verhandelt nur Details, aber keine substanziellen Kernpunkte. So besprechen sie den Stopp des Baus weiterer Siedlungen, ohne die vorhandenen illegalen Siedlungen zu erwähnen.

Es gibt mehrere Gründe, die wirkliche Verhandlungen derzeit unmöglich machen. So lehnt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Zwei-Staaten-Lösung ab. Er will nur ein ökonomisches Friedensabkommen. Jerusalem wäre kein Punkt in den Verhandlungen, die Siedlungen auch nicht, die 20 Prozent unseres Landes gestohlen haben. Und über den Außenminister Lieberman brauchen wir gar nicht erst zu reden. Der ist ein Rechtsradikaler, wie Jörg Haider es war. Er ist ein Siedler, dessen Ziel es ist, die Grundlagen eines zukünftigen Palästinenserstaates zu vernichten: die Infrastruktur, die Verwaltungsgebäude, Tankstellen, das Bankensystem. So soll aus unserem Gebiet ein Fleckenteppich werden, damit nie ein gemeinsamer Staat entstehen könnte.

Auf wen richten sich Ihre Hoffnungen zur Lösung des Konflikts?

Die Weltgemeinschaft akzeptiert die Zwei-Staaten-Lösung. Wir haben die EU darum gebeten, dass die Verhandlungen des Nahostquartetts gestoppt werden, so lange Israel nicht über diese Lösung verhandeln will. Das wurde leider abgelehnt. Die starre Haltung der Israelis ist nur durch die uneingeschränkte Unterstützung der USA möglich. Das Nahostquartett muss Druck auf Israel ausüben, die Zwei-Staaten-Lösung anzuerkennen und die Jerusalemfrage anzugehen. So lange die Israelis weiter Siedlungen und diese Mauer baut, setzen wir uns nicht mit ihnen an einen Tisch, besonders nicht mit dieser Regierung.

Wer unterstützt derzeit Ihre politischen Forderungen am stärksten? Eher Barack Obama oder doch Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad?

Die Weltgemeinschaft sollte nicht andere Probleme in der Region auf das palästinensische Problem umwälzen. Außerdem hat Ahmadinedschad erklärt, dass Iran jede Lösung akzeptieren wird, die die Palästinenser akzeptieren. Wir bauen derzeit darauf, dass das Nahostquartett uns unterstützt. Das Problem ist nicht Iran, sondern Israel.

Das sieht Israel anders. Dort heißt es, es wäre der palästinensische Terror ...

Wir verurteilen solche Aktivitäten gegen Zivilisten. Die hat es auch seit Jahren nicht mehr gegeben. Dafür führt Israel einen Krieg in Gaza, bei dem 1400 Menschen getötet wurden, davon 20 Prozent Kinder und zehn Prozent Frauen. Das ist in unseren Augen Terror.

Fragen: Oliver Händler

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2009


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