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Feuertaufe für Versöhnungskurs

Die Bildung einer gemeinsamen palästinensischen Regierung kommt voran – trotz israelischer Störmanöver

Von Oliver Eberhardt *

Die israelische Armee hat seit Wochenbeginn mindestens 25 Mitglieder der Hamas im Westjordanland festgenommen. Damit soll der Prozess zur Bildung einer Einheitsregierung in Palästina torpediert werden – ein Prozess, der nun in die entscheidende Phase eingetreten ist.

In vielen Städten des Westjordanlandes führten israelische Soldaten und Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth mindestens 25 Personen ab – »zur Befragung«, so ein Sprecher der israelischen Regierung. Bei den Festgenommenen handele es sich um Mitglieder der Hamas, die die Strukturen der islamischen Organisation im Westjordanland neu aufbauen sollen. Verhaftet wurden auch mindestens vier Parlamentsabgeordnete, die der Wahlliste der Hamas angehören.

Für die palästinensische Regierung ist der Fall deshalb klar: Die Regierung unter Führung des Rechtskonservativen Benjamin Netanjahu versuche, die gerade in Fahrt kommenden Versöhnungsbemühungen zwischen Fatah und Hamas zu torpedieren und die Bildung einer Einheitsregierung zu verhindern, sagt ein Sprecher von Premierminister Salam Fajad (Fatah). Dieser Prozess ist gerade in die heiße Phase eingetreten: Zu Anfang dieses Monats hat die in Ramallah ansässige Wahlkommission mit der Registrierung von Wählern im Gaza-Streifen begonnen – eine Aktion, die ursprünglich bereits vor den Kommunalwahlen im Herbst vergangenen Jahres hatte stattfinden sollen, damals aber an gegenseitigen Vorwürfen der Wahlbeeinflussung scheiterten.

Dieses Mal soll dies anders enden. Im Verlauf einer neuen Gesprächsrunde in Kairo Anfang Januar einigten sich beide Seiten auf eine Reihe von Modalitäten, die solche Meinungsverschiedenheiten künftig verhindern sollen. So findet die Registrierung nach einem genau fest gelegten Prozedere und unter ständiger Begleitung von Vertretern der Hamas statt. Sobald die Wahllisten erstellt sind, soll die derzeitige Regierung zurücktreten und durch Technokraten ersetzt werden, die keiner der beiden Fraktionen nahe stehen. Parlamentswahlen müssen dann spätestens Mitte Mai abgehalten werden – so sehen es sowohl das Wahlgesetz als auch die in Kairo geschlossene Vereinbarung vor.

Ob es tatsächlich so weit kommt, kann zur Zeit niemand sagen, auch die beiden Konfliktparteien nicht. Man hoffe auf das Beste, sagen beiden Seiten übereinstimmend, und vermeiden zur Zeit alle Äußerungen, die die andere Seite verärgern könnten. Zum Beispiel verzichtete die Hamas darauf, die Fatah, die mit Israel offiziell in Sicherheitsfragen kooperiert (aber sagt, die Verhaftungsaktion am Montag sei nicht abgesprochen gewesen), für die Ereignisse zu kritisieren.

Insgesamt stünden die Chancen für eine erfolgreiche Versöhnung zwischen den beiden großen Palästinenserorganisationen aktuell so gut wie nie zuvor, sagen internationale Beobachter. »So weit wie dieses Mal sind die beiden Seiten bisher noch nicht gekommen«, meint ein westlicher Diplomat in Ramallah. Und zur Zeit scheine es, als seien sowohl Fatah als auch Hamas dazu bereit, sich ein Extrastück weit aufeinander zuzubewegen. So habe die Hamas die Wahl für das Politbüro, die eigentlich bereits im vergangenen Herbst hatte stattfinden sollen, zurückgestellt. Und beide Seiten erlaubten der jeweils anderen, ihre Strukturen im Gebiet unter Kontrolle der anderen neu zu ordnen.

Beide Parteien erklärten am Montagabend auch unabhängig voneinander, man werde sich keinesfalls durch Israel vom Kurs abbringen lassen.

»Wir haben ohnehin nichts zu verlieren«, so der Sprecher Fajads. Die Zahlungen aus dem Steuerabkommen mit Israel fließen seit der Aufwertung Palästinas zum Nichtmitgliedsstaat bei den Vereinten Nationen Ende November nur noch unregelmäßig, und auch die internationalen Geldgeber überweisen ihre Finanzhilfen eher Pi mal Daumen – was den Druck der Bevölkerung auf die politische Führung verstärkt hat: Man will endlich Ergebnisse sehen.

Besteht eine palästinensische Wiedervereinigung die Feuertaufe, so die Hoffnung beider Seiten, würde dies in der Öffentlichkeit, aber auch bei den Regierungen der arabischen Welt die Legitimität erhöhen und damit die Verhandlungsbasis für regelmäßigere Geldspritzen ausweiten.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 06. Februar 2013


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