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Kein Recht auf Rückkehr

Präsident Abbas gibt im TV-Interview zentrale Forderung palästinensischer Flüchtlinge preis. Massive Kritik in Gaza. Israel sagt danke

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Im September beantragte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, bei den Vereinten Nationen die Anerkennung eines Staates Palästina als UN-Mitglied. Die USA drohten ihr Veto an, und Abbas stimmte zu, daß der Antrag in einer Warteschleife im UN-Sicherheitsrat geparkt wurde. Nun soll er erneut eingebracht werden. Eine Abstimmung wird für den 15. November erwartet. Bei den Palästinensern sorgt Abbas derweil mit Äußerungen zum Recht auf Rückkehr für Empörung. In einem Interview mit dem israelischen Fernsehsender Kanal 2, das am vergangenen Freitag (2. Nov.) ausgestrahlt wurde, fragte der israelische Reporter Abbas, ob er beabsichtige, wieder in seine Heimatstadt Safed zurückzukehren. Die ursprünglich palästinensische Stadt liegt heute im Norden Israels. Nach der gewaltsamen Gründung Israels 1948 floh der damals 14jährige Abbas mit Eltern und Geschwistern und Hunderttausenden anderen Palästinensern nach Damaskus in Syrien.

Er würde Safed gern sehen, sagte Abbas. »Es ist mein Recht, es zu sehen, aber nicht, dort zu leben.« Er akzeptiere den israelischen Staat in den Grenzen vor 1967. Palästina liege für ihn in den 1967er Grenzen und Ostjerusalem sei die Hauptstadt. »Ich bin ein Flüchtling, ich lebe in Ramallah«, fügte Abbas hinzu. »Und ich glaube, daß die Westbank und der Gazastreifen palästinensisch sind und die anderen Teile zu Israel gehören.«

Gemäß der UN-Resolution 194 haben die Palästinenser, die 1948 aus ihrer Heimat flohen oder vertrieben wurden, das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren. Rund fünf Millionen bei den Vereinten Nationen registrierte palästinensische Flüchtlinge leben heute in Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon – oft in großer Armut.

Lob für seine Äußerungen erhielt Abbas vom israelischen Präsidenten Schimon Peres, der ihm persönlich am Telefon dazu gratulierte. Man müsse die Worte »mit dem größten Respekt behandeln«, so Peres. »Diese Positionen stimmen genau mit denen Israels überein.« Abbas habe eine »mutige und wichtige öffentliche Erklärung« abgegeben. Regierungschef Benjamin Netanjahu äußerte sich skeptisch und forderte Abbas auf, an den Verhandlungstisch mit Israel zurückzukehren.

Im Gazastreifen, wo mehr als eine Million palästinensische Flüchtlinge leben, brach eine Welle der Kritik über Abbas herein. Tausende gingen in Gaza-Stadt und Chan Junis auf die Straße, um gegen die Äußerungen zu protestieren, die als Verzicht auf das Recht auf Rückkehr für die Palästinenser verstanden wurde. Kritik kam auch von der linksgerichteten Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Deren Vorsitzender Rabah Mhanna verwies auf die Verpflichtung der PLO, für das Recht auf Rückkehr ebenso zu kämpfen wie für die palästinensische Selbstbestimmung. Abbas lebe »in einer Traumwelt«, die PLO müsse dessen Äußerungen verurteilen.

Abbas-Sprecher Nabil Abu Rudeina versuchte, die provozierende Aussage zu relativieren. Es handele sich nicht um einen Politikwechsel, betonte er in einer Erklärung. Das Rückkehrrecht der Palästinenser aufzugeben wäre eine »Katastrophe für zukünftige Generationen von Palästinensern«. Das Fernsehinterview habe lediglich die israelische Meinung beeinflussen sollen.«

Der syrische Historiker George Jabbour verwies gegenüber junge Welt am Montag auf die systematische Verletzung der Rechte der Palästinenser seit mehr 90 Jahren. Am 2. November 1917 war die Erklärung des britischen Diplomaten Lord Arthur Balfour bekannt geworden, wonach seine Regierung die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina befürwortete. Am 24. Juli 1922 wurde die Erklärung vom Völkerbund bestätigt. Großbritannien wurde Mandatsmacht über Palästina und verhalf der zionistischen Bewegung schließlich mit Hilfe der Vereinten Nationen zu dem von den arabischen Nachbarn nicht gewollten Staat. Weder die Briten noch die UNO noch Israel hätten ihre Verpflichtungen gegenüber den Palästinensern eingehalten, so Jabbour.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 06. November 2012


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