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"Wir sind erst am Anfang des Weges"

Pakt zwischen Hamas und Fatah entspricht den Erwartungen der palästinensischen Bevölkerung. Ein Gespräch mit Nabil Shaat


Nabil Shaat (72) ist Fatah-Mitglied, Parlamentsabgeordneter und diplomatischer Berater des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Von 2003 bis 2005 war er erster Außenminister und PLO-Chefunterhändler.

Der vor wenigen Tagen zwischen Hamas und Fatah geschlossene Einheitspakt sei »ein harter Schlag für den Frieden und ein großer Sieg für den Terrorismus«, kommentierte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Was würden Sie ihm antworten?

Das ist nicht nur Propaganda, sondern auch noch schlechte Propaganda. Netanjahu sollte der Welt erklären, warum er alle in den vergangenen Jahren von der Palästinensischen Autonomiebehörde gemachten Kompromißangebote abgelehnt hat und darüber selbst mit der US-Regierung aneinander geraten ist. Israel sollte lieber die Gelegenheit wahrnehmen, die dieses nationale Versöhnungsabkommen für die Wiederaufnahme ernsthafter Friedensverhandlungen bieten kann.

Netanjahu hält es aber für unmöglich, mit einer Gegenseite zu verhandeln, zu der mit Hamas eine Fraktion gehört, die die Anerkennung des Staates Israel ablehnt … Diese Vorbedingung zu stellen, ist der beste Weg, um den Status quo zu verewigen. Wem wirklich das Ende der Gewalt und die Wiederbelebung des Friedensprozesses am Herzen liegen, der sollte die Integration der Hamas in diesen Prozeß positiv sehen, weil das die Übernahme von Verantwortung seitens der Hamas-Führung im In- und Ausland bedeutet. Die Frage, vor der wir alle standen, die wir eine große oder kleine Rolle beim Erreichen dieser Übereinkunft gespielt haben, war aber eine andere.

Und welche?

Stärkt die Übereinkunft die palästinensische Sache oder nicht?

Und wie lautet die Antwort?

Ja, sie wird dadurch gestärkt! Vor allem, weil sie auf jene Einheitserwartung reagiert, die in den vergangenen Monaten in der palästinensischen Gesellschaft geäußert wurde, insbesondere unter den Jugendlichen, die mit dem Wind der Veränderung, der in der gesamten arabischen Welt wehte und weht, am stärksten in Einklang stehen. Die Spaltungen aufrechtzuerhalten, wäre für alle politischer Selbstmord gewesen. Dieses Abkommen nährt wieder eine kollektive Hoffnung und gibt dem Volk neue Motivation. Genau das zählt heute am meisten.

Als die Unterzeichnung angekündigt wurde, gingen Tausende in Gaza und im Westjordanland auf die Straße und schwenkten Fahnen mit den palästinensischen Nationalfarben. Das ist der Beleg für eine Erwartung, der wir entsprochen haben. Wir wissen allerdings, daß wir uns erst am Anfang des Weges befinden.

Die internationale Gemeinschaft scheint eine abwartende, mitunter gar besorgte Haltung einzunehmen. Sehen Sie das auch so?

Es liegt an uns, dieses Abwarten in eine positive Einstellung und Unterstützung zu verwandeln. Wichtig ist, daß man keine von Vorurteilen geprägten Positionen bezieht, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Hamas-Führer Khaled Meshaal sagte, seine Organisation sei bereit, »dem Text des Abkommens Fakten folgen zu lassen. Unser Kampf zielt darauf ab, den israelischen Feind zu besiegen und nicht die palästinensischen Fraktionen.« Was meinen Sie dazu?

Das ist eine wichtige Stellungnahme, die sich jetzt in konsequente Taten verwandeln muß. Die Einheit ist ein kostbares Gut, deren Ziel jedoch eine Politik sein muß, die zur Verwirklichung eines kollektiven Traums führt: der Schaffung eines unabhängigen Staates Palästina in den 1967 besetzten Gebieten, mit Ostjerusalem als seiner Hauptstadt. Die neue Regierung, die auf der Grundlage des erreichten Abkommens gebildet wird, muß genau darauf hinarbeiten. Und die Hamas wird Teil dieses Planes sein.

Ist das nicht etwas zu optimistisch gedacht?

Nein, dafür bin ich nicht der Typ. Ab heute werden diejenigen umdenken müssen, die auf die internen Spaltungen des palästinensischen Lagers gesetzt haben – und damit meine ich nicht nur Israel. Die Einheit stärkt auf jeden Fall die Eigenständigkeit der Palästinenser.

(Übersetzung: Andreas Schuchardt )

Interview: Umberto De Giovannangeli

Das Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung l’Unità am 5. Mai 2011.

* Aus: junge Welt, 9. Mai 2011


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