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Palästina und der Traum vom eigenen Pass

Nach dem überwältigenden Abstimmungserfolg in der UNO kommt es nun auf die Übersetzung in praxistaugliche Resultate an

Von Oliver Eberhardt *

Palästina ist jetzt ein Staat, jedenfalls bei den Vereinten Nationen. Mit großer Mehrheit haben ihm die UNO-Mitgliedsländer den Status eines Beobachterstaats verliehen - ein Schritt, der theoretisch Folgen für den Alltag haben kann. Doch in Ramallah hat man sich noch nicht entschieden, ob man das auch umsetzen will.

»Doch, ja«, heißt es im palästinensischen Innenministerium in Ramallah. »Vielleicht«, sagen die Leute im Büro von Premierminister Salam Fajad. »Alles zu seiner Zeit«, heißt es im Umfeld von Präsident Mahmud Abbas, oder andersherum gesagt: Es herrscht Ratlosigkeit in Verwaltung und Politik, während in der Stadt am Morgen nach dem Votum Tausende feiern. Sie bejubeln, dass Palästina sich bei den Vereinten Nationen nun Staat nennen darf.

Werden sie künftig mit Pässen nach Frankreich, Spanien, Russland reisen können, die in der Nacht zuvor für den Staat Palästina gestimmt haben? Sprecher der dortigen Außenministerien sagen, dass man nun Pässe anerkennen würde, auf denen Palästina statt »The Palestinian Authority« steht - wenn die palästinensische Regierung sich dazu entscheidet, sie auszugeben.

Ja, es sind nur Pässe, und, ja, die allerwenigsten Palästinenser können sich in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit ebenso wie die Armut täglich neue Höchststände erreicht, eine Auslandsreise leisten. Doch der Pass, dieses kleine grüne Buch mit dem palästinensischen Nationaladler vorne drauf, war für viele Menschen ein Symbol für die durch die Osloer Verträge Anfang der 90er Jahre geschaffenen Autonomie, eines, auf dem die palästinensischen Verhandler damals bestanden und das die Gespräche fast zum Scheitern gebracht hätte. Und er ist ein Symbol geblieben.

Doch die Regierung ist sich noch nicht sicher, auch wenn das Innenministerium in der ersten Euphorie erklärte, dass das nun geschehen werde: »Wir müssten dafür einen Bestandteil der Osloer Verträge aufkündigen«, sagt ein Mitarbeiter von Präsident Abbas. Und da müsse man ganz genau darauf achten, ob das nicht kontraproduktiv sei - immerhin hänge ja auch das Steuerabkommen mit Israel daran.

Was am Tag nach der Abstimmung eine ausgesprochen wirre Situation erzeugt: Offiziell betrachtet Israels Regierung, aber auch die Vereinigten Staaten, die Osloer Übereinkünfte nun als Makulatur. Begründung: Die Palästinenser hätten mit ihrem Antrag einem Verhandlungsergebnis über den endgültigen Status vorgegriffen, wie es in den Übereinkünften vorgesehen ist. Doch hinter den Kulissen hatten sich beide Seiten bereits vor Wochen darauf geeinigt, die praktischen Teile der Vereinbarungen weiterlaufen zu lassen, so lange nicht eine Seite offiziell daran rührt. Neue Pässe, heißt es übereinstimmend in Ramallah und Jerusalem, wären ein solcher Schritt.

Überhaupt: Trotz der martialischen Töne und Vorwürfe an die Palästinenser, die der Vertreter Israels in der Nacht zum Freitag sprach, ist in Jerusalem heute so etwas wie Erleichterung zu verspüren. Aus gutem Grunde: Die sich zuspitzende soziale Lage, die chronische Finanzkrise, aber auch der Gaza-Krieg, aus dem die Hamas gestärkt hervorgegangen ist, bereiten Verwaltung und Politik einige Sorgen. Man hoffe darauf, dass die Palästinenser nun hurtig einen Antrag auf Zuwendungen des Internationalen Währungsfonds stellen werden, sagt ein Sprecher des israelischen Finanzministeriums - bislang war das nicht möglich, weil Palästina nicht als Staat galt. Aber der palästinensische Pass wird wohl vorerst ein Traum bleiben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 01. Dezember 2012


138:9

Palästina wurde am Donnerstag in der UNO-Vollversammlung zum Beobachterstaat aufgewertet. 138 der 193 Staaten stimmten dafür - das sind die anderen:

Gegenstimmen (9): Israel, Kanada, Palau, Panama, Nauru, Mikronesien, Marshallinseln, Tschechien, USA.

Enthaltungen (41): Albanien, Andorra, Australien, Bahamas, Barbados, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Deutschland, Estland, Fidschi, Großbritannien, Guatemala, Haiti, Kamerun, Kolumbien, DR Kongo, Kroatien, Lettland, Litauen, Malawi, Mazedonien, Moldau, Monaco, Mongolei, Montenegro, Niederlande, Papua-Neuguinea, Paraguay, Polen, Ruanda, Rumänien, Samoa, San Marino, Singapur, Slowakei, Slowenien, Südkorea, Togo, Tonga, Ungarn, Vanuatu

Abwesend (5): Äquatorialguinea, Kiribati, Liberia, Madagaskar, Ukraine



Jubel über UN-Votum

65 Jahre nach dem Teilungsplan: Vollversammlung nimmt mit großer Mehrheit Palästina als Mitglied der Vereinten Nationen auf. Staatsgebiet immer weiter verkleinert

Von Karin Leukefeld **


Palästina ist ab sofort ein Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen mit Beobachterstatus. Dafür hat sich die Mehrheit der 193 UN-Mitgliedsstaaten am Donnerstag in New York ausgesprochen. In den besetzten palästinensischen Gebieten und im Gazastreifen feierten Tausende die Entscheidung. Israel drohte dagegen mit neuer Gewalt.

Die Stimmung in der UN-Vollversammlung war eindeutig. Mit 138 Stimmen sprach sich die Mehrheit der Länder der Welt am 29. November 2012 für die Anerkennung eines palästinensischen Staates aus. Israel und die USA stimmten mit sieben weiteren Staaten dagegen, zu den 41 Staaten, die sich enthielten, gehörte auch Deutschland (siehe Spalte). Wie der Vatikan können die Palästinenser nun in allen UN-Ausschüssen mitarbeiten, haben allerdings kein Stimmrecht. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag können sie Klagen einreichen. Ein erster Anlauf der Palästinenser auf staatliche Anerkennung durch die UNO war 2011 an der Ankündigung eines US-Vetos vor dem Weltsicherheitsrat gescheitert.

Palästinenser in aller Welt begrüßten die Entscheidung. Palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen äußerten die Hoffnung, daß die Anerkennung eines Staates Palästinas dazu beitragen werde, die nationale Versöhnung zwischen Hamas und Fatah zu beschleunigen. PLO-Vertreterin Hanan Aschrawi bedankte sich bei den 138 Staaten, die Palästina unterstützt hatten. Sie hätten »Mut« bewiesen und sich nicht dem »Diktat von Macht und Einschüchterung« unterworfen. Israel und die USA hatten in den Wochen vor der Abstimmung eine massive Einschüchterungskampagne gestartet, um Verbündete weltweit und in der EU von einer Zustimmung zu dem palästinensischen Antrag abzuhalten. Washington drohte unter anderem damit, Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde einzustellen. Die Anerkennung des Staates Palästina sei »für alle Palästinenser ein Sieg«, betonte Ezzat Al-Rishk vom Politbüro der Hamas. Der im Exil lebende Hamas-Führer Khaled Meschal sagte, die Entscheidung vereine »die palästinensischen nationalen Anstrengungen« und stärke die innerpalästinensische Versöhnung.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stellte klar, daß sich für sein Land nichts ändern werde. Die Rede des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bezeichnete er als »feindselig und vergiftet« sowie »voller falscher Propaganda«. Keine »Macht der Welt werde ihn dazu bringen, Kompromisse für die Sicherheit Israels einzugehen«, so Netanjahu. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, rief Palästina und Israel zur Wiederaufnahme »direkter Gespräche ohne Vorbedingungen« auf. Ähnlich äußerte sich auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der das Votum als »Auftrag für direkte Friedensverhandlungen« bezeichnete. Westerwelle bedauerte zudem, daß die EU-Staaten nicht einheitlich abgestimmt hätten. Die europäischen Staaten hatten sich mehrheitlich für den Antrag der Palästinenser ausgesprochen.

Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Annette Groth, begrüßte am Freitag »die Aufwertung Palästinas durch die Vereinten Nationen ausdrücklich«. Deutschland und die USA müßten »endlich umdenken, wenn sie weiterhin als Vermittler ernst genommen werden wollen«. Die Gruppe »Jüdische Stimme für einen Gerechten Frieden in Nahost« wies darauf hin, daß 65 Jahre nach dem UN-Teilungsplan die Palästinenser die Anerkennung eines Staates in den Grenzen von 1967 gefordert hätten. Das aber sei nur noch ein Viertel von dem Land, das ihnen 1947 zugestanden worden war. Die Gruppe kritisierte die Enthaltung der Bundesregierung bei der Abstimmung und warf ihr »Heuchlerei« vor. Die anhaltenden Rüstungslieferungen an Israel machten deutlich, daß die Bundesregierung mehr vom Krieg profitieren wolle als von einem Frieden im Mittleren Osten.

Zentrales Hindernis für die Wiederaufnahme von israelisch-palästinensischen Gesprächen ist der massive Siedlungsaus- und -neubau in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. Die Palästinenser fordern eine Einstellung der Bautätigkeiten auf ihrem Land, Israel weigert sich. Die letzte Gesprächsrunde zwischen Israel und den Palästinensern war 2010 gescheitert, als die Regierung in Tel Aviv einen vereinbarten Baustopp für Siedlungen aufgehoben hatte.

Am 29. November 1947 entschied die Vollversammlung der gerade neu gegründeten Vereinten Nationen (56 Mitglieder) das unter britischem Mandat stehende historische Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat aufzuteilen. Jerusalem sollte unter UN-Mandat gestellt werden. Von den damals 56 Mitgliedern stimmten 33 für den Teilungsplan und 13 dagegen, zehn Staaten enthielten sich.

** Aus: junge Welt, Samstag, 01. Dezember 2012


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