Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Palästinensische humanitäre Katastrophe / Palestinian Humanitarian Disaster

US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) legt beunruhigende Zahlen vor / An assessment by the U.S. Agency for International Development

10. Juli 2002: Eine vor kurzem erschienene Untersuchung der US-Agentur für Internationale Entwicklung, die sich auf Daten der Weltbank, der Vereinten Nationen und anderer Organisationen stützt, unterstreicht die humanitäre Ernährungs- und Gesundheitskrise, die im Westjordanland droht. Gleichzeitig berät der US-Kongress Vorschläge zur Begrenzung der Hilfslieferungen an die Palästinenser und der Leistungen an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten-UNRWA. Anstatt die Hilfe zu reduzieren, so heißt es in der Untersuchung, sollte die Hilfe dringend erhöht werden, damit der zunehmenden humanitären Krise unter den Palästinensern entgegengewirkt werden kann. Die folgenden Punkte sollten dabei gegenüber der Öffentlichkeit und der Presse hervorgehoben werden:

Chronische und akute Mangelernährung unter den Kindern unter fünf Jahren ist weit verbreitet und wächst schnell an. 30 Prozent der untersuchten Kinder leiden unter chronischer Mangelernährung und 21 Prozent unter akutem Hunger. Diese Zahlen sind seit 2000 auffallend gestiegen; damals waren nur 7,5 Prozent der Kinder von chronischer und 2,5 Prozent von akuter Mangelernährung betroffen.

Mittlere bis leichte Anaemie (Blutarmut) ist ebenfalls offensichtlich. 45 Prozent der Kinder unter fün Jahren und 48 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter leiden darunter.

Mehr als 30 Prozent der 3,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen sind abhängig von den Lebensmittellieferungen des Welternährungsprogramms, des ICRC und anderer Nichtregierungsorganisationen. Die Zahl der Palästinenser, die Lebensmittelhilfe benötigen, nimmt von Tag zu Tag zu. Laut einer Analyse der US-amerikanischen Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) benötigen fast 50 Prozent aller Palästinenser (einschließlich Flüchtlinge) Lebensmittelhilfe von Außen, um ihren täglichen Kalorienmindestbedarf zu decken.

50 Prozent der untersuchten 320 Haushalte gaben an, Geld leihen zu müssen, um Grundnahrungsmittel kaufen zu können. 16 Prozent der Haushalte verkaufen zu diesem Zweck ihren persönlichen Besitz.

Infolge der Militäreinsätze im März und April 2002 hat die Zahl der Hauszerstörungen seit Beginn der Intifada um mindestens 50 Prozent zugenommen.

Das palästinensische Wohnungsministerium berichtet, dass zwischen September 2000 und Februar 2000 nahezu 720 Häuser von der israelischen Armee (IDF) vollständig zerstört und 11.553 Häuser beschädigt wurden. 73.600 Menschen waren betroffen.

Allein im März und April 2002 wurden in Flüchtlingslagern noch einmal 881 Häuser zerstört und 2.883 beschädigt; betroffen waren davon schätzungsweise 22.500 Bewohner.

Das Risiko, dass ansteckende Krankheiten ausbrechen, nimmt zu. Aufgrund des erschwerten Zugangs zu Trinkwasser, Überbelegung von Wohnungen und unzureichendem Schutz wird der Ausbruch möglicher Krankheiten wie z.B. Cholera zu einer großen Gefahr.

Die ärztliche Behandlung von Palästinensern, die auf dem Land leben und solchen, die unter chronischen Krankheiten leiden wie Nierenleiden, Diabetes, Krebs oder Hypertonie (Bluthochdruck), wurde unterbrochen aufgrund mangelnder Erreichbarkeit bzw. mangelnder Verfügbarkeit von ärztlichen Leistungen.

Schätzungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums zufolge hat der Anteil der unter fachlicher Aufsicht stattfindenden Geburten von 97,4 Prozent vor der Intifada auf zur Zeit 67 Prozent abgenommen. Hausgeburten nahmen im selben Zeitraum von drei auf 30 Prozent zu.

Die Möglichkeiten des vorbeugenden Gesundheitsschutzes sind geschwunden. Unterbrechungen der Stromversorgung verhindern, dass Medizinstationen Impfstoffe gekühlt aufbewahren können, sodass sie verderben. Dies erhöht die Gesundheitsrisiken. Das Kinderschutzimpfungssystem ist zusammengebrochen.

Nach Angaben der Weltbank leben 70 Prozent der Palästinenser im Wetsjordanland und im Gazastreifen unter der Armutsgrenze von weniger als 2 Dollar pro Tag. Vor 90 Tagen, im April 2002, schätzte die Weltbank diese Zahl noch auf "nur" 50 Prozent. Die Vereinten Nationen bezeichnen 62 Prozent der Palästinenser als bedürftig ("vulnerable"); sie ´benötigen Nahrung, Obdach und/oder Zugang zu Gesundheitsdiensten.

Ein Umweltgesundheits-Team von USAID fand heraus, dass von 300 untersuchten Haushalten in Nablus keiner darunter war, der über Trinkwasser verfügte, das internationalen Standards entspricht. Häufig sei das Wasser von Kotbakterien verunreinigt.

Fälle von Diarrhö (Durchfall) nehmen zu. Dies liegt an den schlechten hygienischen Zuständen und an der kritischen Wasserversorgung. Von den 320 von USAID befragten Haushalten bestätigten 30 Prozent, dass in den ersten zwei Wochen des Juni 2002 jeweils mindestens ein Mitglied der Familie Symptome von Diarrhö aufwies.

Das palästinensische Gesundheitsministerium berichtet, dass infolge der Abriegelungen und Ausgangssperren die medizinischen Einrichtungen nur zu 30 Prozent ihrer Kapazität arbeiten konnten. Der palästinensische Rote Halbmond (vergleichbar unserem Roten Kreuz) berichtete, dass 25 von insgesamt 121 Rettungsfahrzeugen von der israelischen Armee zerstört wurden. Ausgangssperren und Abriegelungen sei auch zu verdanken, dass die Ambulanzfahrzeuge sechs bis acht Stunden für jeden Krankentransport bräuchten - wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichen.

USAID fand heraus, dass von den 320 Haushalten 28 Prozent jeweils mindestens ein Familienmitglied hatten, das keinen benötigten medizinischen Notdienst erreichte. In 67 Prozent der Haushalte waren medizinische Dienste auch jenen versperrt, die auf dauerhafte Behandlung angewiesen sind (z.B. Dialysepatienten, Krebspatienten, Diabetiker).

Gemäß einer Untersuchung der Bir Zeit Universität unter 764 Haushalten sind seelische Erkrankungen weit verbreitet. Psychische Erkrankungen oder Auffälligkeiten bei jeweils einem oder mehreren Familienmitgliedern wurden in 87 Prozent aller Haushalte festgestellt.

Übersetzung aus d. Englischen: P. Strutynski


Palestinian Humanitarian Disaster
July 10, 2002
By U.S. Agency for International Development

A recent assessment by the U.S. Agency for International Development incorporating data from the World Bank, the UN, and other organizations outlines the humanitarian crisis of hunger and disease looming in the West Bank. At the same time, Congress is considering proposals to limit assistance to the Palestinians and contributions to the U.N. Works and Relief Agency (UNWRA). Rather than limiting assistance, the assessment calls for urgently increasing aid in order to respond to the emerging humanitarian crisis among Palestinians. The following points should be used in briefing the press on the looming crisis.
The key findings are as follows:

Chronic and acute malnutrition is widespread among children under five years of age and increasing rapidly. 30% of children screened suffered from chronic malnutrition and 21% from acute malnutrition. These numbers have increased significantly since 2000 when only 7.5% and 2.5% of children suffered from chronic and acute malnutrition respectively.

Moderate to mild anemia is also evident. 45% of children under 5 years of age and 48% of women of childbearing age suffer from moderate to mild anemia.

More than 30% of the 3.5 million Palestinians in the West Bank and Gaza are dependant upon food handouts from the World Food Program and the ICRC or other NGOs. The number of Palestinians requiring food assistance is increasing daily. According to USAID analysis, approximately 50% of all Palestinians (refugee and non-refugee) require external food assistance to help meet their minimum daily caloric intake.

Of 320 households surveyed, 50% stated their need to borrow money to purchase basic foodstuffs, with 16% selling assets for the same purpose. The March – April 2002 incursions brought at least a 50% increase in the number of Palestinian home demolitions since the beginning of the intifada.

The Palestinian Ministry of Housing reports that approximately 720 homes were destroyed by the IDF and another 11,553 damaged from September 2000 – February 2002. 73,600 people were affected. The March – April 2002 incursions destroyed another 881 homes and damaged some 2,883 houses in refugee camps. An estimated 22,500 people were residents of these homes.

There is increasing risk of communicable disease outbreak. Due to diminished access to potable water, residence overcrowding, and inadequate shelter, possible disease outbreak, such as cholera, is a growing concern.

The medical treatment of Palestinians living in rural communities, and those with chronic diseases such as renal failure, diabetes, cancer, and hypertension, has been interrupted due to access, affordability, and availability-related issues.

According to Palestinian Ministry of Health estimates, births attended by skilled health workers have decreased from 97.4%, pre-intifada, to 67% currently. Home deliveries have increased from 3% pre-intifada, to 30%, at present.

Availability of immunization has decreased. Interruptions in electricity supply make medical facilities unable to maintain cold storage and cause vaccines to spoil, further aggravating growing health concerns. The child immunization program is breaking down.

According to the World Bank, 70% of Palestinians in the West Bank and Gaza live below the poverty line of less than $2 per day. Only 90 days ago, in April 2002, the World Bank estimated 50% of Palestinians were below the poverty level. The UN defines 62% of Palestinians in the West Bank and Gaza as “vulnerable,” or in need of food, shelter, and/or access to health services.

A USAID environmental health assessment team found that of 300 households surveyed in Nablus, NONE were found to have drinking water acceptable to international standards. Fecal bacteria often contaminated water.

The incidence of diarrhea is increasing. This is indicative of unsanitary living conditions and questionable water supply. USAID preliminary findings indicate that 30% of the 320 households interviewed throughout the West Bank and Gaza reported diarrheal characteristics among at least one of its members during the first two weeks of June.

The Palestinian Ministry of Health reports that because of closures and curfews, its facilities operate at about 30% capacity. The Palestinian Red Crescent Society reported that 25 of its 121 ambulance fleet were damaged beyond repair by the Israeli defense forces. Curfews and closures cause ambulances to require 6 – 8 hours on average to transport patients to hospitals, if they obtain access at all.

In June 2002 USAID found that 28% of the 320 households interviewed had at least one family member who was not granted access to needed emergency medical services while 67% of households reported that access was not granted to at least one family member who required long-term treatment such as dialysis, chemotherapy, or diabetes management.

A Bir Ziet University study surveyed 764 households and found widespread psychological illness. 87% of households reported psychological difficulties in one or more family members.


Zurück zur Palästina-Seite

Zurück zur Homepage