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Das Wasser und die Palästinafrage

Von Klaus Polkehn

Der letzte Winter habe, schrieb die israelische Jerusalem Post, «schrecklichere Aspekte» gehabt als die palästinensische Intifada: «Wir befinden uns Mitte März und die Regenfälle dieses Winters lagen bedeutend unter dem Vieljahresdurchschnitt und sogar unter pessimistischen Vorhersagen des letzten Novembers. Der gesunkene und weiter sinkende Spiegel des Kinnereth, des Hauptreservoirs des Landes, ist der stille Beweis für die Tatsache, dass wir uns im dritten Jahr einer ernsthaften Trockenheit befinden.» (1) Der Tiberias-See (See Genezareth, hebräisch Kinnereth) ist an die «Rote Linie» geraten (213 m unter dem Meeresspiegel), unterhalb der die israelischen Behörden kein Wasser mehr entnehmen wollten. Jetzt denkt man sogar darüber nach, ein neues Pump-werk zu errichten, das den noch weiter gesunkenen Spiegel erreicht. Für Ende dieses Jahres befürchtet man einen Wasserspiegel von -216 Metern. Das Trinkwasserdefizit Israels für das Jahr 2001 wurde auf 475 Millionen mł geschätzt, zwanzig Prozent mehr, als man noch im Vorjahr angenommen hatte.(2)

Sorgen hinsichtlich der Wasserversorgung gibt es auch im benachbarten Jordanien. Nur wenige aktuelle Berichte befassen sich hingegen mit der Wassersituation der palästinensischen Gebiete. Doch auch hier droht zunehmender Wassermangel. Bereits vor zwei Jahren hieß es: «Da im vergan-genen Winter im Westjordanland nur ein Siebtel der durchschnittlichen jährlichen Regenmenge von 700 Millimetern gefallen sei, habe sich die bereits in normalen Jahren prekäre Lage weiter verschlimmert... Zur Zeit führten die Brunnen so wenig Wasser, dass die größeren Städte Cisjordaniens nur an einem Tag pro Woche versorgt werden könnten.»(3)

Im Palästina-Konflikt, so warnte das Londoner Nachrichtenmagazin The Middle East, könne am Ende das Wasser alle anderen Streitpunkte übertreffen.(4) Israel und die palästinensischen Gebiete - in einem Trockengürtel der Erde gelegen - können abgesehen von Regenfällen auf zwei Wasserressourcen zurückgreifen. Da ist einmal der Jordanfluss mit seinem Einzugsgebiet Hermon-Berg und Golan-Höhen und den Jordan-Quellflüssen Hasbani, Banias und Dan, dem Tiberias-See und dem Yarmuk, der in den unteren Jordan mündet. Da sind zum anderen drei wichtige Grundwasserbecken unter dem von Norden nach Süden verlaufenden Gebirgsrücken: das westliche, der Yarkon-Teaninim-Aquifer - so benannt nach den Flüssen, die er speist. Er produziert jährlich 350 Mio. m3. Da er unterirdisch in Richtung Küste fließt, ist er seit vielen Jahrzehnten Hauptversorger der Region Tel Aviv. Das nördliche Becken, das 140 Mio. m3 liefert, und dessen Wasser die Jesreel-Ebene (Marj Ibn al-Amr) und die Region Beth Shean versorgt. Nördliches und westliches Becken werden israelischen Experten zufolge voll genutzt. Das östliche Becken in den sogenannten Judäischen Bergen zieht sich bis an die Jordan-Senke. Es besitzt ein Potential von 170 Mio. m3, von denen gegenwärtig angeblich nur die Hälfte ausgeschöpft wird.

Da sich Palästina/Israel in einer von Natur aus wasserarmen Region befindet, haben das seit Beginn der zionistischen Besiedlung rapide Bevölkerungswachstum und forcierte Industrialisierung bereits vor einem dreiviertel Jahrhundert die Probleme der Wasserversorgung sichtbar gemacht. So stellte die britische Mandatsmacht 1945/46 fest: «In den letzten Jahren gab es eine bemerkenswerte Verschlechterung in der Untergrundwasser-Situation in mindestens drei Regionen. In den Sanddünen Haifas ... ist der Wasserspiegel um vier Meter gefallen... Wenn die gegenwärtige Weise des Abpumpens unkontrolliert fortgesetzt wird, gibt es die reale Gefahr, dass durch das dadurch entstehende Vakuum Salzwasser angezogen wird. Ein ähnliches Desaster bedroht Teile von Tel Aviv. An Stellen, die 1500 Meter vom Meer entfernt sind, ist das Grundwasser auf zwei Meter unterhalb des Meeresspiegels abgesunken... Zwischen Lydda und Rehovot ist ein Abfallen um bereits sieben Meter beobachtet worden.»(5)

1955 - 1967: Die erste Wasserkrise

Am 29. November 1947 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Teilung Palästinas und die Bildung eines jüdischen und eines arabischen Staates. Die entsprechende UNO-Resolution und ihre Annexe gingen mit keinem Wort auf die Wasserfrage ein. Nach dem Krieg von 1948/49 verfügte Israel zwar über 77 Prozent des Territoriums Palästinas (anstelle der von der UNO vorgesehenen 56,47 Prozent für den jüdischen Staat), jedoch lagen wichtige Wasserzuflüsse außerhalb seiner Grenzen. Einwanderung und ökonomische Entwicklung führten zu schnell wachsendem Wasserbedarf. In den 50er/60er Jahren sah die israelische Regierung im Zugriff auf das Jordan-Wasser den einzigen Ausweg. Bereits 1944 war ein Plan ausgearbeitet worden (Lowdermilk-Plan), die Negev-Wüste mit Wasser aus dem Jordan und dem Litani-Fluss (im Libanon) zu bewässern. Ähnliche Vorstellungen enthielt der Hays-Savage-Plan von 1948, der im Auftrag der Zionistischen Weltorganisation aufgestellt worden war.

Die USA waren angesichts wachsenden Einflusses der Sowjetunion im Nahen Osten daran interessiert, ihre dortigen strategischen und Erdöl-Interessen zu sichern. Sie orientierten deshalb Anfang der 50er Jahre auf einen israelisch-arabischen Friedensvertrag anstelle des damals existierenden Waffenstillstandes. Eine Regelung für die palästinensischen Flüchtlinge war nötig, um Konfliktstoff aus der Welt zu schaffen. Aber deren Ansiedlung und ökonomische Integration in den arabischen Nachbarstaaten Israels setzte die Verfügbarkeit entsprechender Wasservorräte voraus. Also erteilte USA-Präsident Eisenhower einem Persönlichen Beauf-tragten, Eric Johnston, 1953 den Auftrag, «ein Abkommen der Staaten Libanon, Syrien, Jordanien und Israel über die Teilung und Nutzung der Wasser des Jordan-Flussbeckens» auszuarbeiten. Nach zwei Jahren legte Johnston 1955 einen Plan über die Aufteilung der Wasservorräte vor. Die Konfliktparteien reagierten hinhaltend auf den Plan. Da 77 Prozent des Jordan-Wassers auf arabischem Territorium entsprangen, verlangten die arabischen Staaten einen entsprechenden Anteil. Schließlich lehnte die Arabische Liga den Johnston-Plan ab, weil die Wasserfrage isoliert von dem Flüchtlingsproblem angegangen werde. Israel forderte zunächst einen weitaus höheren Anteil («vorerst» 65 Prozent allen Wassers), verhielt sich dann aber zu den Johnston-Vorschlägen ambivalent, stimmte ihnen nicht zu, ohne sie explizit abzulehnen.

Anstelle einer einvernehmlichen Regelung kam es zu einseitigen Maßnahmen. Jordanien errichtete nach einem vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNWRA 1952 ausgearbeiteten Plan einen Staudamm am Yarmuk und den East-Ghor-Kanal in der Jordan-Senke. Zugleich einigten sich Jordanien und Syrien über die Aufteilung des Yarmuk-Wassers.

Israel baute zur gleichen Zeit den National Water Carrier, eine gigantische Wasserleitung, deren ersten Abschnitt man 1955 eröffnete. Aus dem Tiberias-See wurde das Wasser 350 Meter hoch gepumpt und nach Süden geleitet. Diese Wasserentnahme ohne Übereinkunft wurde von den arabischen Staaten als Eingriff in eigene Rechte gesehen. Entsprechende Proteste wurden mit israelischen «Kriegserklärungen» beantwortet: Israels damaliger Verteidigungsminister General Moshe Dayan drohte im Oktober 1959: «Wenn die Araber nicht mit uns bei der Lösung der Jordan-Wasser-Angelegenheit zusammenarbeiten, werden wir ... das Wasser mit Gewalt nehmen.»

Jordanien verlangte eine konzertierte arabische Antwort auf die Wasserentnahme aus dem Tiberias-See. Nach langen Debatten beschloss 1964 eine Arabische Gipfelkonferenz ein Projekt zur Ableitung der Jordan-Zuflüsse. Der aus dem Libanon kommende Hasbani sollte in den Banias in Syrien und von dort in den Yarmuk umgeleitet werden. Es waren 24 Monate Bauzeit am Hasbani vorgesehen, 36 Monate für den Banias-Yarmuk-Kanal; 1968 sollte das Projekt fertiggestellt sein. Am 14. Juli 1966 bombardierte die israelische Luftwaffe die Hasbani-Baustelle. Damit endete das Projekt. Die Araber stellten alle Arbeiten ein, zumal auch das Geld alle war. So endete die erste Wasserkrise mit einem eindeutigen Sieg Israels. Die erste militärische Aktion der damals neu gegründeten palästinensischen Guerilla-Organisation Al-Fatah hatte sich am 1. Januar 1965 übrigens nicht zufällig gegen Pumpanlagen des National Water Carrier in Israel gerichtet.

Wasser unter Besatzung: Das Westjordanland

Im Juni 1967 eroberte Israel im «Sechstagekrieg» das bis dahin von Jordanien verwaltete Westjor-danland (und den Gaza-Streifen). Damit kontrollierte es alle Grundwasserspeicher westlich des Jordan und weitgehend auch das Jordanbecken. Dank der gleichzeitigen Besetzung der syrischen Golan-Höhen war es war nun auch in der Lage, die Entnahme von Wasser aus dem Tiberias-See zu steigern, und hatte zugleich Zugang zum Yarmuk. Die Genfer Konventionen und die Haager Landkriegsordnung verbieten einer Besatzungsmacht, in Besitzverhältnisse und Infrastruktur des besetzten Gebiets einzugreifen. Dazu zählen auch Wasservorkommen. Deshalb wurde in einem UNO-Bericht von 1992 Kritik an Israel geübt: «Da die Wasserverwaltungs-Praktiken Israels administrative, politische und hydrologische Grenzen ignorieren, sind die israelischen Behörden in der Lage, Wasser von einem Bassin oder Grundwasserspeicher zu einem anderen zu transferieren, sowohl innerhalb der Westbank oder von der Westbank in andere Gebiete.»

Mit dem Sechstagekrieg war die Ausbeutung der Westbank-Speicher faktisch nicht mehr «grenzüberschreitend», sondern die gesamte Wasserwirtschaft der besetzten Gebiete wurde nunmehr von Israel reguliert und dirigiert. Im okkupierten Gebieten wurden seit 1967 zahlreiche Rechtsfragen durch Anweisungen der Militärregierung (Military Orders - MO) neu geregelt - auch die Wasserrechte. Hier bedeutete dies u.a. die Überstülpung der israelischen Wasser-Gesetzgebung über die bis dahin gültige jordanischen Gesetze. Alte - in den ariden Gebieten der arabischen Welt bewährte - Prinzipien wurden abgeschafft. Gewohnheitsrechte wie «das Recht, den Durst zu stillen» (arab. Chafa) und «das Recht, zu bewässern» (Chirb) hob man auf. Beispiele: Durch die Military Order (MO) 92 vom 15. August 1967 wurde die alleinige Verfü-gungsgewalt in Wasserangelegenheiten der israelischen Militärverwaltung übertragen. Alle Wasserressourcen wurden zu Staatseigentum erklärt, gemäß dem israelischen Wassergesetz von 1959. Die MO 158 vom 19. November 1967 verbot den Bau jedweder Wasser-Einrichtungen ohne Genehmigung der Militärverwaltung. Die MO 291/68 machte jegliche Grundwassernutzung von staatlicher (das heißt israelischer) Erlaubnis abhängig, damit wurde die jordanischen Regelung der quasi-automatischen Bohrerlaubnis im Falle des Austrock-nens eines Brunnens oder Quelle abgeschafft. Die Schaffung eines Netzes von «Schutzzonen», «Rationierungsgebieten», «Entwässerungsdistrikten», «Bodenschutzgebieten» etc. erschwerten der palästinensischen Bevölkerung den Zugang zu Wasser.

Die Aufsicht über die Wassergewinnung und -versorgung in den palästinensischen Gebieten übernahm die israelische Wassergesellschaft Mekorot. Seit 1982 begann sie auch, palästinensische Orte mit dem israelischen Wassernetz zu verbinden. Was als eine Verbesserung der Versorgung für die Palästinenser annonciert wurde, war tatsächlich die Schaffung neuer Abhängigkeiten und eine Form «effektiver Annexion».

Die Zahlenangaben darüber, in welchem Maße Israels Wasserversorgung von den Vorkommen außerhalb seiner Grenzen (von 1967) abhängig ist, und wie sich die Wassernutzung zwischen Israelis und Palästinensern aufteilt, differieren. Sie stimmen aber stets darin überein: Der Großteil der Grundwasservorkommen der Westbank wird von Israel bzw. den jüdischen Siedlungen auf der Westbank genutzt. Einer Statistik des US-Informationsdienstes (USIS) zufolge stammen nur 45 Prozent der von Israel verbrauchten 1,7 Milliarden m3 aus dem eigenen Land, wohingegen 80 Prozent der Wasservorräte von Westbank und Golan nach Israel geleitet werden. Ein Bericht der Weltbank von 1993 konstatierte, die Palästinenser auf der Westbank könnten nur 15 bis 20 Prozent des auf ihrem Gebiet zur Verfügung stehenden Wassers nutzen, der Rest werde von israelischen Siedlern und in Israel selbst verbraucht.(6) Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzte, dass Israel den Palästinensern nur 14 Prozent der Wasservorräte der Region überlässt.(7) Die palästinensische Jerusalem Times meinte, Israel entnehme 83 Prozent des Wassers der Westbank und bestreite damit 40 Prozent seines Verbrauchs.(8) Die Jerusalem Post hingegen schrieb, Israel entnehme 30 Prozent seines jährlichen Verbrauchs (= 600 Mio. mł) aus den Grundwasserspeichern der Westbank, ein weiteres Drittel aus den Jordan-Zuflüssen und nur 30 Prozent aus Grundwasservorkommen der Küstenre-gion.(9) Nach einer jüngsten palästinensischen Studie «nutzt Israel 90 Prozent aller unterirdischen Wasservorräte in Palästina» und dazu den Jordan «und verwehrt den Palästinensern das Recht, ihr eigenes Wasser zu nutzen». Aus den Grundwasserspeichern der besetzten Gebiete würden von Israel jährlich 483 Mio. mł gepumpt, einschließlich 40 Mio. mł, die an die Siedlungen im Jordantal geliefert werden, während den Palästinensern nur erlaubt sei, 188 Mio. mł aus den gleichen Speichern zu fördern.(10) Dem Jahrbuch der Jerusalemer Studiengesellschaft Passia zufolge wird das jährliche (durch Regenfälle) erneuerbare Grundwasser in den Westbank-Speichern auf 630 Millionen mł und im Küstenspeicher in Gaza auf 42 Millionen mł geschätzt. «Die Palästinenser der Westbank haben einen Anteil von nur 110 Millionen mł (19 Prozent), während die israelischen Siedler 30 Millionen mł haben, der Rest (81 Prozent oder 460 Millionen mł) wird direkt nach Israel geleitet.(11)

Als Wasserverbraucher kam also auch die wachsende Zahl der (völkerrechtlich illegalen) israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten hinzu. Sie zeichnen sich durch besonders hohen Wasserverbrauch aus. 1986 lag in ihnen der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch bei 90 mł (in Europa werden durchschnittlich 83 mł verbraucht; den Palästinensern auf der Westbank standen seinerzeit 20 mł zur Verfügung). Von 1967 bis 1995 bohrte die israelische Wassergesellschaft Mekorot auf der Westbank 32 neue Brunnen für die Siedlungen - 100 bis 600 m tief. (Die Brunnen der Palästinenser dürfen laut MO nur 60 - 150 m tief sein; mehr als sechs Brunnen und elf Quellen arabischer Dörfer seien infolge dieser neuen Nutzung ausgetrocknet; von 1967 bis 1995 wurden übrigens von der Militärverwaltung an Palästinenser nur 23 Genehmigungen zum Brunnenbau erteilt; anders herum nach damaligen Zahlen: 32 neue Brunnen für 140.000 israelische Siedler; 23 neue Brunnen für über eine Million Palästinenser).(12) All diese Angaben sind insofern unvollständig, als sich die Zahl von Siedlungen und Siedlern in den letzten Jahren geradezu explosionsartig erhöht hat. Die Swimmingpools und die sattgrünen Rasenflächen in den Siedlungen neben den darbenden palästinensischen Dörfern sind inzwischen fast sprichwörtlich und werden in zahlreichen Berichten als Ursache für die Frustrationen der palästinensischen Bevölkerung zitiert.

Das Westjordanland ist vom Grundwasser völlig abhängig. Seinen Zugang zum Jordan darf es so lange nicht nutzen, bis der endgültige Status der palästinensischen Gebiete ausgehandelt ist. Aber das Grundwasser wird zugeteilt. Durch die knappe Zuteilung hat die palästinensische Landwirtschaft kaum die Möglichkeit, sich zu entwickeln, und große Flächen bewässerbaren Landes, insbesondere im Jordantal, liegen brach. Als Folge der Beschränkungen ist der Umfang der bewässerten Flächen der palästinensischen Landwirtschaft von 32200 ha im Jahre 1970 auf 10130 ha im Jahr 1984 zurückgegangen.(13) Einer neueren Untersuchung der israelischen Friedensbewegung Peace Now zufolge ist übrigens die bewässerte Fläche in den Westbank-Siedlungen pro Kopf auf der Westbank dreizehnmal größer als die der palästinensischen Bewohner.(14)

Ein extensives «Überpumpen» der Quellen hatte ein Sinken des Grundwassersspiegels auf der Westbank zur Folge, im Distrikt Jenin um 10 Meter. Auch im Jordan-Tal sank der Grundwasserspiegel von 1967 bis 1991 um 16 Meter. Außerdem stieg die Salzkonzentration im Jordantal von 1982 bis 1991 um ca. 130 Prozent. Die Grundwasservorkommen der Westbank (wie auch des Gaza-Streifens) sind zudem akut durch ungelöste Umweltprobleme bedroht. Wie teilweise auch in Israel gibt es auf der Westbank keine befriedigende Abwasserbehandlung. Auch werden beispielsweise 88 Prozent der Abwässer von Jerusalem ungeklärt in den Wadi Sorek und in den Wadi Kidron geleitet. Das Fehlen von Mülldeponien und die «wilde» Abfallentsorgung haben zur Folge, dass große Mengen von Schadstoffen in die Täler gespült werden bzw. das Grundwasser kontaminieren. So besaßen zahlreiche israelische Siedlungen auf der Westbank undichte Klärgruben, aus denen Abwässer ins Grundwasser sickerten.(15) Der Hydrologe Prof. Arnon Sofer von der Universität Haifa hat mit Nachdruck darauf aufmerksam gemacht, dass ohne eine ausreichende Abwasser-Wirtschaft das Wachstum der Bevölkerung in den besetzten Gebieten auch «der israelischen Küste mit Schmutzwasser, Ruhr und Typhus den Rest geben wird».(16)

Erfreulicherweise hat sich die Bundesrepublik Deutschland bei ihren Entwicklungshilfeprojekten für die palästinensischen Gebiete auf Vorhaben der Wasserversorgung und der Abwasserbehandlung konzentriert. Die eingesetzten bzw. bewilligten Mittel seit 1994 belaufen sich auf mehr als 318 Millionen DM und reichen u.a. von der Einrichtung einer Abwasserentsorgung für den Mittleren Gaza-Streifen über den Bau von zwei Brunnen in Hebron bis zu Maßnahmen zur Reduzierung von Wasserverlusten im Verteilungsnetz von Nablus.(17)

Wasser unter Besatzung: Der Gaza-Streifen

Im Gazastreifen lebten 1948 rund 50 000 Menschen. Durch den Zustrom der Flüchtlinge und durch das nachfolgende natürliche Wachstum erhöhte sich die Einwohnerzahl bis heute auf 1,2 Millionen, d.h. auf das 24fache. Die Wasser-Ressourcen aber sind gleich geblieben! Die erneu-er-baren Vorräte (durch Regenfälle) belaufen sich günstigenfalls auf 40 Mio. mł jährlich. Dazu kommen jährlich 20 Mio. mł aus jenen Grundwasserbecken, die wiederum auf dem Territorium Israels liegen. Diesen 60 Mio. mł steht jedoch ein Bedarf von 100 Mio. mł gegenüber. Zum Brunnenwasser kommen allerdings jährlich 5 Mio. mł, die Israel dem Gazastreifen über den National Water Carrier zukommen lässt.(18)

«Nach den Berechnungen der palästinensischen Hydrologen», schrieb die Neue Zürcher Zeitung, «beträgt das Wasserangebot im Gazastreifen für 1,2 Millionen Einwohner pro Jahr 144 Millionen Kubikmeter. Das bedeutet einen rund sechsmal geringeren Pro- Kopf-Verbrauch als in Mitteleuropa oder Israel. Die geringe Menge habe zudem einen viel zu hohen Salzgehalt ... Studien wie die der Europäischen Kommission über integrierte Wasserplanung im Mittelmeerraum kommen ebenfalls zum Schluss, dass die Wasserqualität im Gazastreifen sehr zu wünschen übrig lässt. Die Studie der Europäischen Kommission macht die jahrelange Übernutzung des Küsten-Aquifers vor allem durch Israel, aber auch durch die palästinensische Wasserbehörde dafür verantwortlich, dass Meer- und landwirtschaftliches Drainagewasser in die wasserführenden Schichten gedrungen ist. Letzteres hat zur massiven Erhöhung gesundheitsschädlicher Chlorid- und Nitratkonzentrationen im Aquifer geführt.»(19) Die Diskrepanz zwischen Verbrauch und Ressourcen bewirkt, dass der Grundwasserspiegel im Gaza-Streifen jährlich um 15 - 20 Zentimeter sinkt. Der Gehalt des Trinkwassers an Nitraten ist mancherorts zehnmal höher, als nach internationalen Standards zulässig. Die Folge sind Krankheiten. Ärzte in Gaza nennen die schlechte Wasserqualität als Ursache einer hohen Zahl von Nieren- und Lebererkrankungen.

Israels Wasserprobleme

Israels hoher und steigender Wasserverbrauch ist bedingt durch ein hohes Bevölkerungswachstum - vornehmlich durch forcierte Einwanderung (in den letzten zehn Jahren ist die Einwohnerzahl um eine Million gestiegen). Der Hauptwasserverbraucher ist die israelische Landwirtschaft. Der Umfang bewässerter landwirtschaftlicher Flächen in Israel stieg wie folgt: 1949 = 30 000 ha; 1968 = 161 600 ha; 1987 = 215 300 ha. Israels Landwirtschaft - international hoch gelobt für die Innovation der Tröpfchenbewässerung - nutzt das Wasser allerdings vor allem für wasserintensive Kulturen, die für den Export bestimmt sind. In einer trockenen Region benötigt man für die Produktion von einem Kilo Tomaten ca. 120 Liter Wasser; für ein Kilo Orangen 450 Liter. Avocados, Baumwolle und Melonen sind noch schlimmere Wasserschlucker. Der Jahresverbrauch israelischer Haushalte beträgt 600 Mio. mł, die Industrie benötigt 100 Mio. mł Trinkwasser, aber die Landwirtschaft 800 Mio. mł. «Mit anderen Worten», schrieb die israelische Zeitung Ha'aretz, «der landwirtschaftliche Sektor verbraucht 53 Prozent von Israels Trinkwasser, aber er produziert nur drei Prozent des Bruttosozialprodukts.»(20) Und, so ist zu ergänzen, er beschäftigt nur sechs Prozent der Arbeitskräfte. Ein Grund für diese Vergeudung sei, monierten israelische Medien, dass die israelische Landwirtschaft über den Wasserpreis subventioniert werde. Sie zahle gegenwärtig 0,92 Schekel für den mł Trinkwasser, dessen Produktionskosten sich auf 1,35 Schekel belaufen, wohingegen der private Verbraucher vier Schekel hinblättern muss. Ha'aretz meinte weiter, der offensichtliche Wahnwitz der Erzeugung von Kartoffeln und Avocados «in einem wüstenähnlichen Land» führe letztlich dazu, «dass wir teures Wasser nach Europa exportieren». Auch hier liegt also ein Schlüssel zur gegenwärtigen Wasserkrise.

Der Friedensprozess und das Wasser

Eine Regelung des Wasserproblems kann nur im Rahmen eines abschließenden israelisch-palästinensischen Abkommens erreicht werden. Dabei muss man den Vorgaben des Völkerrechts folgen. Allerdings gibt es hinsichtlich der Nutzung von Wasser bislang keine international verbindliche Regelung, die von allen Staaten anerkannt würde. Die sogenannten «Regeln von Helsinki» von 1966 über die Nutzung des Wassers grenzüberschreitender Flüsse (die auf den Jordan zutreffen) legen fest, jeder Anliegerstaat solle einen «angemessenen Anteil» am Wasser erhalten. Wenn die israelische Regierung in letzter Zeit mehrfach erklärt hat, sie wolle den Jordangraben nicht an einen Palästinenserstaat übergeben, sondern (als «Sicherheitszone») unter eigener Kontrolle behalten, so könnte dies bedeuten, dass ein künftiger Palästina-Staat als Flussanrainer ausscheidet und demzufolge auch keinen Anspruch auf Jordan-Wasser hat.

Die in Anlehnung an die Regeln von Helsinki im Jahre 1986 formulierten «Regeln von Seoul», die ebenfalls nicht von allen Staaten anerkannt werden, legen fest, jeder Anliegerstaat grenzüberschreitender Grundwasservorkommen solle einen «angemessenen Anteil» am Wasser erhalten. Sowohl die Regeln von Helsinki wie die von Seoul bleiben vage, was den Begriff «angemessen» anbetrifft, und sie messen dem Gewohnheitsrecht große Bedeutung bei. Das aber gibt den Palästinensern angesichts der oben aufgeführten «Gewohnheiten» seit 1967 schlechte Karten.

Die Wasserfrage hat die israelische Haltung bei den Verhandlungen mit den Palästinensern nachhaltig bestimmt. Es ist vielleicht nicht einmal übertrieben zu behaupten, dass sie möglicherweise ein größeres Gewicht hatte als die sogenannte Sicherheitsproblematik, bei der sich ja Israel auf seine militärische Überlegenheit verlassen kann.

Bereits 1989 hatte der israelische State Comptroller (so etwas wie eine Mischung zwischen Ombudsman und Rechnungshof) in seinem Jahresbericht gewarnt: «Es existiert die physische Möglichkeit, das Abpumpen (von Wasser) in Judäa und Samaria (also auf der Westbank) bis zu einem Grade zu steigern, der das Pumpen in Israel komplett unmöglich macht.» Diese Gefahr, so kommentierte Jahre später die Jerusalem Post, könnte man nur ignorieren, wenn die Palästinenser «keinen Anspruch auf dieses Wasser erheben würden - aber unglücklicherweise tun sie das.»(21) Der Wasserexperte Joyce Starr warnte in seinem Buch «Covenant Over Middle Eastern Waters» ein «Überpumpen» auf der Westbank könne den Grundwasserspiegel in ganz Israel unter den Meeresspiegel absenken und zum Einströmen von Salzwasser (wie bereits in Gaza) führen. Der Vorsitzende der israelischen Bewegung zum Schutz des Wassers schrieb 1994: «Wer die Pumpen in Judäa und Samaria (so der israelische Sprachgebrauch für die Westbank; K.P.) kontrolliert, bestimmt die Menge des Wassers, das über die Grüne Linie (die Grenze Israels von 1967; K.P.) fließen kann...» Wie das Leben in Israel sein würde, wenn man auf das Westbank-Wasser verzichten müsste, sei «jenseits aller Vorstellung. Es würde nicht nur unseren Lebensstil beeinflussen, sondern auch unsere Psyche als Nation. Ökologisch wären die Bewohner der Küstenebene der Gnade der Bewohner des Hochlandes von Judäa und Samaria ausgeliefert.»(22)

Die israelisch-palästinensischen Vereinbarungen von Oslo, die Basisdokumente des Friedensprozesses, sind hinsichtlich der Wasserfrage unbestimmt. Sie wurden so formuliert, dass sie den israelischen Vorstellungen entsprachen. Die Palästinenser sind offenkundig benachteiligt. Die Prinzipienerklärung (Document of Principles - DOP) vom 13. September 1993 erwähnte lediglich, die zu schaffende palästinensische Selbstverwaltungs-Autorität werde unter anderem eine Palästinensische Wasser-Verwaltungsbehörde grün-den.(23) In Annex III dieser Vereinbarung («Protokoll über israelisch-palästinensische Zusammenarbeit in wirtschaftlichen und Entwicklungsprogrammen») hieß es dann ergänzend, ein zu bildendes Gemeinsames Komitee solle sich unter anderem bemühen um die «Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Wassers, einschließlich eines Wasser-Entwicklungsprogramms, das von Experten beider Seiten vorbereitet wird, und das die Art der Kooperation in der Verwaltung der Wasserressourcen in der Westbank und im Gazastreifen festlegt, und das Vorschläge für Studien und Pläne über die Wasserrechte jeder Seite einschließt, genau so wie die gleichzeitige Nutzung gemeinsamer Wasserressourcen während der Einführung und nach der Interimsperiode.»(24) Mit den Formulierungen «Was-ser-rechte beider Seiten» und «gemeinsame Ressourcen» erkannte die palästinensische Seite a priori Ansprüche Israels auf palästinensische Wasservorräte an. Das Gaza-Jericho-Abkommen vom 4. Mai 1994 (mit dem die Palästinensische Nationalbehörde installiert wurde) enthielt ebenfalls einen Annex zur Wasserproblematik. Er schien für die Palästinenser günstig zu sein, legte er doch in Artikel II.B.31.a fest, alle Wasser- und Abwasser-Einrichtungen im Gaza-Streifen und im Gebiet Jericho würden der Palästinensischen Behörde unterstellt. Doch Unterpunkt B.31.b formulierte eine Einschränkung: «... die bestehenden Wassersysteme, die die Siedlungen und die Gebiete von Militäreinrichtungen mit Wasser versorgen, und die Wassersysteme und Ressourcen in ihnen werden weiterhin von der Mekorot Wasser Gesellschaft betrieben und verwaltet.» Unterpunkt B.31.f legte fest, die Beziehungen zwischen Palästinensischer Behörde und Mekorot seien als Wirtschaftsbeziehungen zu behandeln, die Politik wurde ausgeklammert. Das Gaza-Jericho-Abkommen, so betonte ein palästinensischer Rechtsexperte, bestätigte also den bestehenden Zustand: «Mekorot hat seit 1979 die Verantwortung für die Wasservorräte.»(25) Das am 28. September 1995 unterzeichnete Oslo-II-Abkommen hat die Ambivalenz der Vereinbarungen von Oslo I hinsichtlich der Wasserfrage bestätigt. Nicht umsonst war das Wasserproblem einer der Gründe für die stetige Verzögerung einer Einigung. Dabei brachte Israel das Argument vor, man befürchte, «dass die Palästinenser durch unkontrollierte und unkoordinierte Bohrungen die Grundwasserreserven in Cisjordanien zerstören».(26) Das Oslo-II-Abkommen enthielt die Verpflichtung Israels, «die den Palästinensern zugewiesene Wasserquote um 128 Millionen mł zu erhöhen».(27) In Annex III, Artikel 40 heißt es dann: «1. Israel erkennt die palästinensischen Wasserrechte auf der Westbank an. Diese werden in den Verhandlungen über den endgültigen Status ausgehandelt und in dem Abkommen über den endgültigen Status hinsichtlich der verschiedenen Wasserressourcen festgelegt. 2. Beide Seiten erkennen die Notwendigkeit an, zusätzliche Wasserressourcen für verschiedene Nutzung zu entwickeln.» Damit akzeptierte Israel prinzipiell, dass die Palästinenser Rechte auf Wasser haben, aber welche Rechte, das müsse eben noch ausgehandelt werden. Entscheidend ist das Beharren der israelischen Regierung (gleichgültig welcher) darauf, auch bei einer endgültigen Lösung auf keinen Fall zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren. Denn in den von Israel beanspruchten Gebieten liegen «die günstigsten Bohrgebiete für Brunnen. Durch die Eingliederung dieses Gebietsstreifens in das eigene Staatsgebiet will Israel auch die alleinige Verfügungsgewalt über den größten Teil des Grundwassers behalten.»(28) Joyce Starr schrieb: «In praktischen Begriffen könnte Israel seine Wasserzukunft sichern, indem es die ständige Kontrolle über drei Westbank-Regionen behält, wo das Pumpen den Wasserzufluss zu israelischen Brunnen beeinflusst. Diese Regionen umfassen 20 Prozent des Landes (der Westbank) und liegen direkt an der Grünen Linie im nördlichen und westlichen Samaria und schließen das Bergland um Jerusalem bis südlich nach Gush Etzion ein.»(29) Diese Gebiete gehören zur «Zone C», die Israel bis zu einer endgültigen Regelung voll weiter kontrolliert, und genau diese Gebiete sind von Israel für eine Annexion bei der sogenannten «permanenten Lösung» vorgesehen.

Die Intifada: (Noch) kein Bürgerkrieg um Wasser

Wasser ist ein so lebenswichtiges und kostbares Gut, dass die Konfliktparteien selbst in der schärfsten Auseinandersetzung hier um Schadensbegrenzung bemüht sind. Das durch die Oslo-Abkommen gebildete Gemeinsame israelisch-palästinensische Wasserkomitee arbeitet trotz der Intifada nach wie vor zusammen. Es erließ am 31. Januar 2001 einen Aufruf, jede Beschädigung von Wasser-Infrastruktur zu verhindern: «Die beiden Seiten möchten die öffentliche Aufmerksamkeit darauf richten, dass die palästinensische und israelische Wasser- und Abwasser-Infrastruktur weitgehend miteinander verbunden sind und beiden Bevölkerungen dienen. Jede Beschädigung solcher Systeme schadet sowohl Palästinensern wie Israelis.(30)

So weit, so gut. Israels Infrastrukturminister Avig-dor Lieberman, ein ausgewiesener Rechtsextremist, warnte hingegen, «dass die Wasserversorgung für palästinensische Wohnungen vollständig ... abgeschnitten werden könnte, wenn die Intifada andauert».(31)

Wasserprobleme mit den anderen Nachbarn

Das Wasser spielt - wie schon oben erwähnt - auch im Verhältnis Israels zu den arabischen Nachbarstaaten eine wichtige Rolle.

Libanon: Die lange Zeit geäußerten Befürchtungen, Israel könne versuchen, Wasser vom Litani-Fluss nach Israel zu leiten, haben sich mit dem Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon erledigt. Dennoch hat sich im März 2001 gezeigt, dass andere Streitfälle in der Luft liegen. Als Libanon am Oberlauf des Hasbani eine kleine Pumpstation für die Versorgung des Dorfes Al Wa-za-ni in Betrieb nahm (der UNO-Überwachungstruppe UNIFIL zufolge eine Zehn-Zentimeter-Leitung), sprach Israel sofort eine «scharfe Warnung» aus und erinnerte an die Bombardierungen des Jahres 1966 im Jordan-Quellgebiet. Der Warner war der Leiter der schon mehrmals erwähnten israelischen Wassergesellschaft Mekorot, Uri Saguy. Der Ex-General Saguy war sehr lange Zeit Chef des israelischen Armee-Geheimdienstes, was den Stellenwert von Mekorot in Israel unterstreicht.(32)

Syrien: Die nachdrückliche Weigerung der israelischen Regierung, die 1967 eroberten syrischen Golanhöhen zu räumen, wird sicherlich davon bestimmt, dass sich auf dem Golan Jordan-Zuflüsse befinden (der Banias - neun Prozent des Jordan-Wassers - entspringt auf dem Golan; eine Nutzung des Wassers von Banias und Hasbani durch Syrien würde nicht nur Israel Wassermangel bescheren, sondern auch die Gefahr einer Versalzung des Tiberias-Sees mit sich bringen). Nach einem Rückzug vom Golan würde Israel nur noch den Dan völlig kontrollieren, d.h. nur noch 50 Prozent des Wassers des oberen Jordanzuflusses. Auf dem Golan-Plateau gibt es außerdem ca. 100 örtliche Quellen mit einer Leistung von 20 Mio. mł. Die jüdischen Siedlungen auf dem Golan, die u.a. die bewässerungsintensive Baumwolle anbauen, werden übrigens zu 80 Prozent mit Wasser aus dem Tiberiassee versorgt, das zu enormen Kosten hochgepumpt werden muss (1978 = 1 Mio. m3). Lediglich der Yarmuk, der unterhalb des Sees Genezareth in den Jordan mündet (wobei er die Grenze zwischen Syrien, Jordanien und dem besetzten Golan bildet), entzieht sich der vollständigen israelischen Kontrolle. Aber: Ohne Golan-Abzug kein Frieden mit Syrien.

Jordanien: Da Israel und Syrien Jordan-Wasser nutzen, blieben für Jordanien lediglich 30 Prozent des nutzbaren Wassers übrig. Das Land ist deshalb gegenwärtig gezwungen, jährlich bis zu 15 Prozent seiner nichterneuerbaren Vorräte zu verbrauchen. Immerhin konnte im israelisch-jordanischen Friedensvertrag vom 26. Oktober 1994 eine Vereinbarung über die Nutzung des Wasser von Yarmuk und Jordan sowie der grenzüberschreitenden Grundwasserspeicher im Wadi Araba erzielt werden. Man einigte sich, nicht die bisher genutzten Vorkommen neu aufzuteilen, sondern «neue Wasserquellen zu erschließen» (u.a. durch Entsalzung von Brackwasser im Tiberias-See und den Bau von weiteren Dämmen an Yarmuk und Jordan). Seit die anhaltende Trockenheit im Vorjahr die Lage weiter zugespitzt hat, beschuldigt Jordanien die Israelis, sich nicht an die Vereinbarungen zu halten. Der Wasser-Annex des Friedensvertrages von 1994 sagte Jordanien eine zusätzliche Versorgung mit jährlich 215 Mio. mł zu. Im Jahr 2000 habe man nicht einmal die Hälfte davon erhalten.(33)

Krieg um Wasser oder gütliche Einigung?

Wasser ist knapp im Nahen Osten. Das Wasser wird noch knapper werden. Für das Jahr 2040 wird im Gebiet von Israel, Jordanien und Palästina mit einem Bedarf von jährlich 6,5 Milliarden mł gerechnet. Aber die bislang genutzten Quellen könnten dann nur drei Milliarden mł liefern.(34) Das Problem drängt. Der nächste Krieg im Nahen Osten, so prophezeite man schon 1990, werde nicht ein Krieg um die Erdölquellen sein, sondern einer um den Zugang zu Wasser (das Wort wird dem verstorbenen König Hussein von Jordanien zugeschrieben).

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Es wird nicht, aber es sollte möglich sein. Die Sache hat zwei Aspekte: einen technischen und einen politischen. Man diskutiert seit geraumer Zeit über israelische Großprojekte zur Meerwasserentsalzung, möglicherweise mit einer neuen Technologie. Vier solcher Anlagen sind in Israel projektiert, sie sollen bis zum Jahr 2010 unter europäischer und japanischer Mitwirkung gebaut werden. Angesichts der aktuellen Lage hat man im April 2001 mit dem Bau einer Meerwasserentsalzungsanlage in Ashdod begonnen. Ihre Kapazität beträgt 45 Mio. mł jährlich, sie soll in 24 Monaten fertiggestellt sein. Für die Meerwasserentsalzung müssten innerhalb von 10 Jahren 15 Milliarden Dollar investiert werden. Kanäle vom Mittelmeer und vom Golf von Aqaba zum Toten Meer mit einem großen Gefälle könnten einen Teil der benötigten Energie liefern. Ein Beamter des israelischen Außenministeriums sagte dazu voller Optimismus: «Wir werden Wasser in strategischen Mengen produzieren. Im 21. Jahrhundert wird es keine Spannungen zwischen Ländern wegen Wasser geben.»(35)

Israel will Trinkwasser aus der Türkei importieren - zunächst in Tankern. Verhandelt wird über einen Zehnjahreskontrakt über die Lieferung von jährlich 50 Mio. mł. Der Transport wird teuer, sei aber angeblich billiger als die Entsalzung. Der Bau einer Wasserpipeline (was ökonomischer wäre) setzt allerdings einen Friedensvertrag mit Syrien voraus. Zu bedenken sind stets die ökologische Konsequenzen von Eingriffen in den Wasserhaushalt. Früher pflegte man so etwas (weltweit) zu ignorieren. So hatte die Trockenlegung der Huleh-Ebene in den 50er Jahren, in Israel als ein Sieg über Sumpf und Malaria gefeiert, ungünstige Folgen für die Grundwassersituation am Jordan-Oberlauf. Deshalb werden gegenwärtig damalige Maßnahmen schrittweise wieder rückgängig gemacht. Die Yarmuk-Ableitung und die starke Wasserentnahme aus dem Tiberias-See hatten zur Folge, dass der Jordan-Unterlauf «zu einer Kloake wurde, ... gefüttert durch brackiges Sickerwasser und ungeklärte Abwässer aus Dörfern und Kibbutzim». Das Absinken des Spiegels des Toten Meeres in 30 Jahren um 17 Meter und die Verringerung seiner Oberfläche seit 1976 um ein Viertel hatten zur Folge, dass zwar weniger Wasser verdunstet, dass aber das Klima in der Jordan-Senke trockener geworden ist.

An erster Stelle aber muss ein sparsamer Umgang mit Wasser stehen. Ein Weltbank-Bericht vom März 1996 enthielt die Feststellung, das Wasserangebot ließe sich um 50 Prozent allein dadurch erhöhen, dass man Verluste in veralteten, fehlerhaften und undicht gewordenen Leitungsnetzen vermindert. Um die Wasserversorgungsnetze auf den neusten Stand zu bringen, wären in den nächsten Jahren Investitionen von mindestens 50 - 60 Mrd. Dollar nötig. Die Weltbank ist der Auffassung, den größten Teil dieser Kosten müssten die Länder selbst durch erhöhte Nutzergebühren aufbringen. Ob dies möglich ist, darf bezweifelt werden. Einer Studie der Universität Bersheva zufolge könne man durch die Aufbereitung von Abwasser ab 2010 jährlich 870 Mio. m3 einsparen.(36)

Technisch ist also vieles denkbar - die entscheidende Frage aber ist die nach der politischen Lösung. Diese politische Lösung setzt - auch beim Wasserproblem - Anerkennung der Rechte des anderen voraus. Der Chef der palästinensischen Was-serbehörde, Abdel Rahman Tamami, sagte: «Ich glaube, dass das Hinausschieben der Wasserfrage sowohl Israel als auch den Palästinensern schadet. Die Palästinenser werden nicht in der Lage sein, ohne Wasser eine wirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen. Auch die Israelis werden verlieren, weil auf längere Sicht die Palästinenser den Friedensprozess nach der Verbesserung ihres täglichen Lebens beurteilen werden. Sie werden ihre Führer fragen: ‹Warum haben wir kein Wasser in unseren Wohnungen? Warum können wir nicht mehr Felder bewässern? Fabriken bauen?› Sie werden nicht nur der israelischen Seite die Schuld geben. Wasser ist für die Palästinenser eine der grundlegenden Sorgen des täglichen Lebens.»

Bei der gegenwärtigen israelischen Regierung ist nur wenig Kompromissbereitschaft zu erkennen. Premier Ariel Scharon sagte in einem Interview: «Es ist notwendig, die Sicherheitszonen auf der Westbank und im Osten zu halten, die Straßen zwischen ihnen ... und natürlich den Grundwasserspiegel zu kontrollieren, aus dem ein Drittel unseres Wassers kommt.»(37)

Anmerkungen
  1. The Jerusalem Post, 20.3.2001
  2. Ha'aretz, 25.3.2001
  3. Neue Zürcher Zeitung, 18.8.1999
  4. The Middle East, London, No. 311, April 2001
  5. A Survey of Palestine. Prepared in December 1945 and January 1946 for the Information of the Anglo-American Committee of Inquiry. Jerusalem 1946/47. Volume I, Seite 399.
  6. World Bank. Developing the Occupied Territories: An Investment in Peace, Vol. 4, Agriculture. Washington D.C. 1993, Seite 54
  7. Frankfurter Rundschau, 10.8.1995
  8. Biladi - The Jerusalem Times, 25.8.1995
  9. The Jerusalem Post, 29.7.1995
  10. Biladi - The Jerusalem Times, 27.4.2001
  11. PASSIA - Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs, Jerusalem, Yearbook 1998, Seite 237
  12. Middle East International, London, 3.11.1995
  13. Allegra Pacheco, Anwalt eines Rechtsberatungsbüros in Jerusalem, erklärte: «Die Beschlagnahme von mehr als 65 Prozent des Westbank-Bodens, verbunden mit der Austrocknung von Tausenden von Hektaren durch die Ableitung des Wasser hat tatsächlich einen großen Sektor der palästinensischen Wirtschaft zerstört. Die palästinensische Landwirtschaft steht im Grunde auf dem gleichen Stand wie 1967.» Middle East International, London, 3.11.1995
  14. Foundation for Middle East Peace: Report on Israeli Settlement in the Occupied Territories; July-August 1998, Volume 8 Number 4
  15. Lt. Jerusalem Report, 1.8.1991
  16. The Jerusalem Post, 19.7.1995
  17. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Palästinensische Gebiete, Länderbericht; Juni 2000
  18. Middle East International, London, 3.11.1995
  19. Neue Zürcher Zeitung, 18.8.1999
  20. Ha'aretz, 20.3.2001
  21. The Jerusalem Post, 16.7.1994
  22. The Jerusalem Post, 19.7.1995
  23. Israeli-PLO Declaration of Principles, Washington D.C., 13 September 1993; Article VII, 4.: «In order to enable the Council to promote economic growth, upon its inauguration, the Council will establish, among other things, a Palestinian Electricity Authority, a Gaza Sea Port Authority, a Palestinian Development Bank, a Palestinian Export Promotion Board, a Palestinian Environmental Authority, a Palestinian Land Authority an a Palestinian Water Administration Authority, and any other authorities agreed upon, in accordance with the Interim Agreement that will specify their powers and responsi-bilities.» Zitiert aus Journal of Palestine Studies, Vol. XXIII, Number 1, Autumn 1993; Seite 117
  24. ebenda Seite 119
  25. Raja Shehadeh: Questions of Jurisdiction: A Legal Analysis of the Gaza-Jericho Agreement. In: Journal of Palestine Studies,Vol. XXIII, Number 4, Summer 1994, Seite 22
  26. Neue Zürcher Zeitung, 19.7.1995
  27. Siehe Angelika Volle und Werner Weidenfeld (Hrsg.): Frieden im Nahen Osten? Chancen, Gefahren, Perspektiven. Bonn 1997, Seite 262
  28. Stephan Libiszewski von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, in Neue Zürcher Zeitung, 10.10.1995
  29. The Jerusalem Post, 19.7.1995
  30. Information Division, Israel Foreign Ministry - Jerusalem; February 1, 2001
  31. Dr. Sadanand Nanjundiah, Central Connecticut State University, zitiert in: Media Monitors Network 11.4.2001
  32. Neue Zürcher Zeitung, 16.3.2001: «Der Mekorot-Chef bezeichnete das libanesische Unternehmen in einer Radiosendung hingegen als illegal. Er sprach von eigenmächtigem Vorgehen der Libanesen, weshalb diese mit ‹eigenmächtiger› Reaktion Israels rechnen müssten. Er hielt es für angebracht, an den Junikrieg von 1967 zu erinnern, der unter anderem wegen Streitigkeiten um Wasser ausgebrochen sei. Wasser rühre direkt an Israels Sicherheit.»
  33. Jordan Times, 25.12.2000
  34. Avishay Braverman: Wasser: Elemente des Friedens und des Konflikts. In: Angelika Volle und Werner Weidenfeld (Hrsg.): Frieden im Nahen Osten? Chancen, Gefahren, Perspektiven. Bonn 1997, Seite 107
  35. The Jerusalem Post, 16.9.1995
  36. Davar, 18.3.1995
  37. International Herald Tribune, 3.5.2001

Aus: Marxistische Blätter, Heft 4/2001-Sonderheft (erscheint am 22. Juni 2001). Bezug über:
Marxistische Blätter, Hoffnungstr. 18, 45127 Essen.
Per e-mail: MarxBlaetter@compuserve.de


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