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Einen Spaltbreit offen

Israel droht nach Einigung der Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas mit Strafmaßnahmen. Fortsetzung der "Friedensgespräche" aber nicht explizit ausgeschlossen

Von Knut Mellenthin *

Hat Israel die »Friedensgespräche« mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unterbrochen oder für beendet erklärt? Beide Lesarten sind zwar weit verbreitet, aber zumindest ungenau. Wörtlich lautet der Beschluß, den das israelische Sicherheitskabinett am Donnerstag verabschiedete, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt: »Das Kabinett hat heute einstimmig beschlossen, daß Israel nicht mit einer palästinensischen Regierung verhandeln wird, die von Hamas – einer Terrororganisation, die zur Vernichtung Israels aufruft – unterstützt wird. Darüber hinaus wird Israel die einseitigen palästinensischen Aktionen mit einer Reihe von Maßnahmen beantworten.«

Das Sicherheitskabinett ist eine verkleinerte Tagungsform der Regierung, bei der nur die wichtigsten Ministerien vertreten sind und zusätzlich die Chefs der Sicherheitsorgane hinzugezogen werden. Anlaß der kurzfristig einberufenen Sitzung war die Ankündigung der Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas vom Vortag, in spätestens fünf Wochen eine gemeinsam getragene Regierung zu bilden. Da dieser Schritt aber noch in der Zukunft liegt und nicht einmal sicher ist, ob es wirklich dazu kommt, schließt die israelische Entscheidung, wörtlich und genaugenommen, bis auf weiteres die Fortsetzung der Gespräche mit der Palästinenserregierung nicht explizit aus.

Dieser Formelkompromiß kam, israelischen Medien zufolge, zustande, weil mehrere Teilnehmer des Sicherheitskabinetts dafür plädierten, die Tür nicht definitiv zuzuknallen, sondern sie einen Spaltbreit offen zu lassen. Diese Minderheitsposition sei von Justizministerin Tzipi Liwni, die offiziell auch Verhandlungsleiterin gegenüber der PA ist, und führenden Vertretern der Streitkräfte und Geheimdienste befürwortet worden, heißt es. Letztere befürchten angeblich Sicherheitsprobleme in den besetzten Gebieten, falls Israel die PA zu sehr unter Druck setzt und zu isolieren versucht.

Auch der Verzicht, die im Beschluß nur vage angedeuteten weiteren Maßnahmen gegen die Palästinenser jetzt schon zu definieren, geht angeblich auf Uneinigkeit unter den Teilnehmern der Sitzung zurück. Öffentlich äußerten mehrere Regierungsmitglieder allerdings extreme Vorstellungen. So hatte Wirtschaftsminister Naftali Bennet von der ultrarechten Partei Habajit Hajehudi schon vor zwei Wochen – also unabhängig von der jetzigen Verständigung zwischen Fatah und Hamas – gefordert, die »Friedensgespräche« für gescheitert zu erklären und mit der förmlichen Annektion der besetzten Gebiete im Großraum um Jerusalem zu beginnen. Verkehrsminister Jisrael Katz vom Likud – dieselbe Partei, der auch Premier Benjamin Netanjahu angehört – drohte, die Immunität der Führer von PA und PLO aufzuheben und sie als »Feinde« zu behandeln.

Der Formelkompromiß des israelischen Sicherheitskabinetts ist vermutlich auch der abwartenden Haltung der US-Regierung geschuldet. Außenminister John Kerry sprach angesichts der Annäherung der palästinensischen Fraktionen zwar von »Enttäuschung« und »Mißbilligung«. Zugleich machte er jedoch deutlich, daß die USA jede künftige Palästinenserregierung daran messen werden, ob sie die drei Standardforderungen erfüllt: Anerkennung Israels, Gewaltverzicht und Respektierung aller geschlossenen Abkommen. Mehrere Politiker der PA und der PLO äußerten sich am Donnerstag und Freitag zuversichtlich, daß Hamas grundsätzlich bereit sei, diese Forderungen zu akzeptieren.

Catherine Ashton, die Außenpolitik-Chefin der EU, ließ durch ihren Sprecher Michael Mann vorsichtige Sympathie für die Einigung zwischen Fatah und Hamas bekunden. Der Text muß allerdings ganz genau gelesen werden. Die Union sei »beständig für eine innerpalästinensische Versöhnung eingetreten«, heißt es da, aber mit dem wichtigen Zusatz, daß diese unter Führung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas erfolgen müsse.

* Aus: junge Welt, Samstag 26. April 2014


Israels Friede

Nahostgespräche unterbrochen

Von Knut Mellenthin **


Ob das Versöhnungsabkommen zwischen den palästinensischen Organisationen Fatah und Hamas, das am Mittwoch bekanntgegeben wurde, Bestand hat, ist ungewiß. Während die EU die Einigung begrüßte und sogar die US-Regierung abwartende Zurückhaltung bekundete, hielt die israelische Rechtsaußenkoalition den Moment für günstig, um wieder einmal ihren Propagandaautomaten einzuschalten: »Die Palästinenser wollen keinen Frieden.« Vom Abbruch der seit Juli 2013 lustlos und schleppend geführten »Friedensgespräche« ist die Rede und von nicht näher bezeichneten Strafmaßnahmen.

In Wirklichkeit sind die Verhandlungen schon unterbrochen, seit Israel seine Zusage nicht einhielt, am 29. März 26 palästinensische Langzeitgefangene aus der Haft zu entlassen. Präsident Mahmud Abbas reagierte darauf, indem er bei der UNO den Beitritt Palästinas zu 15 internationalen Verträgen beantragte. Als erste Strafmaßnahme ordnete Israels Premier Benjamin Netanjahu am 9. April den Abbruch aller hochrangigen Kontakte zur Palästinenserregierung (PA) an. Ausgenommen sind nur »sicherheitsrelevante« Verbindungen. Zwei Tage später folgte die Ankündigung, daß Israel die Weitergabe der Steuern aus den besetzten Gebieten an die PA verweigere. Es handelt sich dabei um ungefähr 100 Millionen Dollar monatlich, die der PA rechtmäßig zustehen und die für die Aufrechterhaltung ihrer Verwaltungstätigkeiten lebenswichtig sind. Diese Sanktionen wurden verhängt, bevor Fatah und Hamas für alle Seiten überraschend ihre Einigung ankündigten.

Daß die Palästinenser »keinen Frieden wollen«, heißt lediglich, daß sie nicht bereit sind, sich sämtliche Bedingungen vom zionistischen Staat diktieren zu lassen, der das Westjordanland seit 47 Jahren besetzt hält und es durch eine expandierende Siedlungstätigkeit inzwischen weitgehend annektiert hat. Die Mehrheit der in der derzeitigen israelischen Regierung vertretenen Parteien, auch Netanjahus Likud, lehnt die Schaffung eines Palästinenserstaates, in welchen Grenzen auch immer, kategorisch ab.

Nur aus taktischen Gründen hat sich Netanjahu dem Wunsch der US-Regierung nach »Friedensgesprächen« mit der PA unterworfen. Zugleich machte er diese unglaubwürdig, indem er den Siedlungsausbau forcierte und Bedingungen stellte, von denen er weiß, daß kein palästinensischer Politiker sie akzeptieren kann. Dazu gehört die dauerhafte Besetzung des Jordantals mit seinen Wasservorräten. Sämtliche Außengrenzen des Pseudostaates sollen unter israelischer Militär- und Polizeikontrolle bleiben. Nicht eine einzige jüdische Siedlung in den besetzten Gebieten soll geräumt werden, was Israel ein Potential ständiger Interventionsvorwände verschaffen würde.

Solange die Welt das akzeptiert, hat Israel als Besatzungsmacht alle Karten in der Hand und keinen Grund, mit den Palästinensern ernsthaft zu verhandeln.

** Aus: junge Welt, Samstag 26. April 2014 (Kommentar)


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