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Abbas rief zu symbolischer Sitzung im Jordantal

USA-Administration: Von israelischer Annexionsentscheidung komplett überrascht

Von Oliver Eberhardt *

Israelische Politiker fordern die Annexion des Jordantals; Palästinenser und Amerikaner sind entsetzt. Israels Premier Netanjahu hat die Siedlungsbaupläne deshalb nun erst einmal auf Eis gelegt.

Tagelang war darüber im Ausland wie im Inland gestritten worden; Tagelang hatten Regierungspolitiker und Pressesprecher gleichermaßen immer wieder betont, man habe das Recht zu bauen, wo immer man wolle, wann immer man wolle. »Wir werden uns dieses Recht von niemandem nehmen lassen«, hatte Wohnungsbauminister Uri Ariel von der Pro-Siedler-Partei HaBajit HaJehudi noch am Neujahrsmorgen gesagt und angekündigt, am Nachmittag die genauen Pläne für den weiteren Wohnungsbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem vorstellen zu wollen, die bis jetzt jede der bisher drei Stufen der Freilassung von palästinensischen Häftlingen begleitete.

Doch die Ankündigung blieb aus. In letzter Minute entschied Premierminister Benjamin Netanjahu, die Veröffentlichung der Pläne auf Eis zu legen, und zwar »mindestens« bis zum Ende des Besuches von US-Außenminister John Kerry, der am Neujahrsabend eintreffen sollte, zitiert die Zeitung HaAretz einen namentlich nicht genannten Regierungsmitarbeiter: »Es macht keinen Sinn, Kerry den Finger ins Auge zu stecken.«

Denn Kerry ist ohnehin schon sauer, wie amerikanische und israelische Medien berichten und auch einige Mitarbeiter des Außenministeriums bestätigen: Man sei von dem Beschluss eines israelischen Kabinettsausschusses, das Jordantal annektieren zu wollen, komplett überrascht worden. »Wir lehnen alle unilateralen Schritte der Verhandlungspartner ab«, sagt die Sprecherin des State Department, Jen Psaki: »Es ist offensichtlich, dass eine solche Annexion gegen internationales Recht verstoßen würde.« Zudem handelt es sich beim Jordantal nicht um irgendeinen Teil des Westjordanlandes, sondern um das Filetstück schlechthin: Es ist fruchtbar, trennt das nördliche Westjordanland vom Nachbarstaat Jordanien, verfügt über gute Straßenverbindungen.

Während man überall in den besetzten Gebieten noch die Rückkehr der 26 Palästinenser feierte, die nach zwischen 19 und 23 Jahren Haft in israelischen Gefängnissen frei gelassen worden waren, stellte die palästinensische Führung klar, dass jede ernsthafte Erwägung dieser Option zum Abbruch der Verhandlungen führen werde: »Es steht außer Diskussion, dass das Jordantal Teil des palästinensischen Staatsgebietes sein wird«, sagte Präsident Mahmud Abbas in einer Rede zum 49. Jahrestag der Gründung seiner Fatah-Fraktion; kurz darauf traf sich das palästinensische Kabinett zu einer symbolischen Sitzung in einem Dorf im Jordantal. Sollte Israels Regierung nicht umgehend davon abrücken, werde man sich an internationale Organisationen wenden und um eine scharfe Reaktion bitten. Mitarbeiter Kerrys sagen dazu, dass Washington die Palästinenser wohl nicht davon abhalten würde, wenn sie das täten.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die auf einen Vorstoß der rechtskonservativen Abgeordneten Miri Regev zurück gehende Initiative eine politische Zukunft hat: Zwar wären die Abgeordneten der Koalition dazu gezwungen, für die Vorlage zu stimmen, sollte sie als Regierungsantrag eingebracht werden, weil sie sonst bei den nächsten Wahlen kaum wieder antreten dürften. Doch sie könnten sich enthalten, was Netanjahu dazu zwingen würde, die Vertrauensfrage zu stellen.

»Netanjahu hat hoch gepokert, und verloren«, kommentiert selbst die regierungsfreundliche Zeitung Jisrael HaJom: Der Premier habe wohl gehofft, die Rechten in seinem eigenen Likud-Block zu besänftigen. Nun schwänden ihm die Koalitionsoptionen. Und er müsse befürchten, dass ihm Kerry in den kommenden Tagen Zugeständnisse abringt, die er sonst nicht gemacht hätte.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Januar 2014


Widerstand gegen Siedlungsbau

Palästinenser werfen Israel »Mangel an Ernsthaftigkeit« für Verhandlungen vor **

Kurz vor einer neuen Nahostmission von US-Außenminister John Kerry hat der palästinensische Präsident Mahmud Abbas Widerstand gegen den weiteren israelischen Siedlungsausbau angekündigt. Die Palästinenser würden ihren Beobachterstatus als Nichtmitgliedstaat der Vereinten Nationen zu »politischen, diplomatischen und juristischen Maßnahmen« nutzen, sagte Abbas am Dienstag in Ramallah. Die Palästinenser würden »nicht dabei zuschauen, während sich der Krebs der Siedlungen ausbreitet, vor allem in Jerusalem«. Israels Vorgehen zeige dessen »Mangel an Ernsthaftigkeit« bei den Verhandlungen und drohe, »die Zweistaatenlösung zu zerstören«.

Medienberichten zufolge will Israel in den kommenden Tagen den Bau von etwa 1400 weiteren Siedlerwohnungen in den besetzten Gebieten ankündigen. Etwa 600 Häuser sollen in Ramat Schlomo entstehen, einer überwiegend von Ultraorthodoxen bewohnten Siedlung, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten »Insider«. Weitere 800 Wohnungen seien an anderen Orten geplant.

Schon im vergangenen August und Oktober hatte Israel die Freilassung von insgesamt 104 palästinensischen Gefangenen genutzt, um im Schatten dieser Maßnahme den weiteren Ausbau der Siedlungen anzukündigen. In der Nacht zum Dienstag war eine dritte Gruppe von 26 seit mindestens 19 Jahren inhaftierten Palästinensern in ihre Heimatorte zurückgekehrt.

Kerry, der am Neujahrstag in der Region erwartet wurde, will mit seinem mehrtägigen Besuch den Friedensprozeß am Leben erhalten. Geplant sind unter anderem Treffen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und mit Abbas. Letzterer will den US-Außenminister am Freitag in Ramallah im Westjordanland empfangen. Kerrys Ziel ist der Abschluß eines »Rahmenabkommens« für eine endgültige Friedensregelung bis Ende April. Am 12. Dezember hatte Abbas jedoch einen Vorschlag Kerrys zurückgewiesen, auch nach der Schaffung eines eigenen palästinensischen Staates weiter israelische Truppen im Westjordanland zu belassen. Laut arabischen und israelischen Medienberichten sieht der US-Vorschlag vor, an der Grenze zwischen dem Westjordanland und Jordanien für die Dauer von zehn bis 15 Jahren nach Abschluß eines Friedensvertrags israelische Streitkräfte zu stationieren.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Januar 2014


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