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Regierung, Regelwerke und Realität

Was der Beitritt zu UNO-Konventionen für den palästinensischen Einheitsplan von Fatah und Hamas bedeutet

Von Oliver Eberhardt *

Die Palästinensische Autonomiebehörde ist mittlerweile Mitglied in neun UNO-Konventionen. Vor allem der Beitritt zu den Genfer Konventionen könnte den Nahostkonflikt verändern.

Im dritten Anlauf geht es plötzlich ganz schnell: Nur eineinhalb Wochen, nachdem sich die beiden verfeindeten palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt hatten, hat die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah damit begonnen, ihre Sicherheitskräfte auf die neue Realität vorzubereiten. 3000 Mann sollen »so schnell wie möglich«, sagen beide Seiten, damit beginnen, Seite an Seite mit der Polizei der Hamas im Gaza-Streifen Recht und Ordnung durchzusetzen. Welches Recht, das ist zur Zeit unklar. Denn es gibt drei davon: Die Gesetze, die in den Palästinensischen Autonomiegebieten erlassen wurden, bevor Gaza im Sommer 2006 unter die Kontrolle der Hamas geriet. Und die Gesetze, die Hamas und Fatah in ihren jeweiligen Gebieten in der Zeit danach erlassen haben, stets versehen mit der Begründung, dass man selbst, und nicht die anderen, die legitime Vertretung des gesamten palästinensischen Volkes sei.

Nun muss diese Gesetzgebung irgendwie wieder zu einem Ganzen werden, und nicht nur das: Die Regelwerke und das Handeln derjenigen, die sie durchsetzen sollen, müssen auch an eine völlig neue Situation angepasst werden. Bereits seit Mitte April ist die Palästinensische Autonomiebehörde Unterzeichnerin der Genfer Konventionen. Am Freitag erlangte zudem die Unterschrift von Präsident Mahmud Abbas unter fünf weiteren UNO-Verträgen Gültigkeit.

Palästinenser sind damit Mitglied der Konventionen gegen Folter, gegen Rassendiskriminierung, sowie zum Schutz von Frauen, Kindern und Behinderten. An diesem Mittwoch wird die Unterschrift unter dem Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention über die Beteiligung Minderjähriger an bewaffneten Konflikten gültig, am 2. Juli wird Palästina den Konventionen für bürgerliche und politische Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beitreten. Außerdem werden sich die Palästinenser der Haager Landkriegsordnung verpflichten.

»Es ist ausgesprochen bemerkenswert, dass Palästina sieben Menschenrechtsverträgen und einem Zusatzprotokoll beigetreten ist, ohne auch nur einen Vorbehalt geltend zu machen«, sagt Rupert Colville, Sprecher des Hochkommissariats für Menschenrechte in Genf: »Das ist ein sehr wichtiger Schritt für die Einhaltung der Menschenrechte.«

Und auch Menschenrechtsorganisationen sind verhalten optimistisch. »Wir hoffen darauf, dass die Palästinensische Autonomiebehörde die Verpflichtungen, die sie durch die Unterzeichnung dieser Verträge und Protokolle eingegangen ist, auch ernst nimmt und die Rechte aller Menschen wahrt, die sich in Gebieten unter ihrer Kontrolle aufhalten«, schreibt Amnesty International in einer Pressemitteilung.

Denn all das sind Dinge, die vor allem im Gaza-Streifen im Argen liegen. In den Gefängnissen und Polizeistationen dort wird routinemäßig physische und psychische Gewalt eingesetzt, um Geständnisse zu erzwingen. Zudem hat die Hamas-Regierung auch die Rechte von Frauen massiv eingeschränkt.

Dass sich die künftige Einheitsregierung auf viel Gegenwind einstellen muss, wird auch an Israel liegen. Dort wurde das Justizministerium angewiesen, ein genaues Auge darauf zu haben, ob die Palästinenser ihre neuen Verpflichtungen einhalten. »Wir werden nicht zulassen, dass man sich dort künftig mit dem besonderen völkerrechtlichen Status herausredet«, sagt ein Sprecher von Justizministerin Zipi Livni.

Allerdings: Auch Israels Regierung wird ihr Handeln künftig verändern müssen. Bislang fand der Konflikt zwischen beiden Seiten im Nebel der Unsicherheit darüber statt, wann welcher Teil des internationalen Rechts gilt. Israel hatte die Genfer Konventionen unterzeichnet, die Palästinensische Autonomiebehörde nicht, und darüber hinaus herrschte Unklarheit, wo der Gaza-Streifen, in dem sich seit 2005 keine israelischen Soldaten und Zivilisten mehr befinden, in dem Ganzen verortet ist. Der politische Flügel der Hamas nahm zwar für sich in Anspruch, auf Grund des Sieges bei der Parlamentswahl 2006 die legitime Vertretung des palästinensischen Volkes zu sein, argumentierte aber auch, dass die Genfer Konvention zwar Israel bindet, nicht aber die Hamas.

Dies hat sich mit Abbas’ Unterschriften und der Vereinbarung zur Bildung einer Einheitsregierung geändert. Die Hamas hat damit auch die von der Autonomiebehörde unterzeichneten Verträge und Vereinbarungen anerkannt, wie ein Sprecher am Montag erneut betonte.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. Mai 2014


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