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Besatzung beenden

Klarer Zeitplan für Friedenslösung und konkrete Forderungen: Fatah-Politiker Barghuti drängt auf Änderungen in Palästina-Resolution des UN-Sicherheitsrats

Von Karin Leukefeld *

Der in Israel inhaftierte Fatah-Führer Marwan Barghuti hat den von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im UN-Sicherheitsrat eingebrachten Resolutionsentwurf kritisiert. Das Papier für eine »Friedenslösung« mit Israel sei ein »nicht gerechtfertigter Rückfall, der sich negativ auf die Position der Palästinenser auswirken« werde, heißt es in einem Schreiben Barghutis, aus dem die palästinensische Nachrichtenagentur Maan News am Dienstag zitierte. Er sei immer dafür gewesen, eine UN-Sicherheitsratsresolution anzustreben, so Barghuti. Allerdings dürfe eine solche Resolution nicht die »unveräußerbaren nationalen Prinzipien« der Palästinenser ignorieren. Er forderte die von Präsident Mahmud Abbas angeführte Autonomiebehörde auf, den Text umzuformulieren und den ungebremsten israelischen Siedlungsausbau im Westjordanland und in Jerusalem, die Frage der Gefangenen und die Blockade gegen den Gazastreifen in den Mittelpunkt zu rücken.

Das Gerede über den Austausch von Boden schwäche das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und die Gründung eines souveränen Staates in den Grenzen des 1967 von Israel besetzten Landes. Landtausch werde nur thematisiert, um den Siedlungsbau zu legitimieren. Der Siedlungsbau sei illegal und ein Kriegsverbrechen, das müsse die PA auch so sagen, forderte Barghuti. Gemäß der UN-Resolution 194 hätten die Palästinenser zudem das Recht auf Rückkehr in ihre ehemalige Heimat in Israel, darauf müsse man bestehen.

Barghuti, der vor seiner Inhaftierung im Jahr 2002 die Jugendorganisation der Fatah angeführt hatte, erinnert daran, dass die »Freilassung aller Gefangener ein absolutes Recht und Voraussetzung für Frieden« sei und in den Resolutionstext aufgenommen werden müsse. Außerdem müsse auf ein Ende der anhaltenden Blockade gegen den Gazastreifen gedrängt werden.

Kritik kommt auch von der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP). Die insbesondere von Frankreich vorgenommenen Veränderungen hätten »die politische Basis des palästinensischen Antrags zerstört«, heißt es in einer Erklärung der PLO-Mitgliedsgruppe vom Sonntag. Statt dessen verpflichte die Resolution zu »absurden Verhandlungen und Zeitverschwendung«. Besonders scharf kritisierte die DFLP die ungenaue Formulierung, dass Jerusalem die Hauptstadt von zwei Staaten, Israel und Palästina, werden solle. Um eine innerpalästinensische Einigung zu dem Text herbeizuführen, forderte die Organisation ein Treffen des Obersten Palästinensischen Nationalen Komitees ein.

Der Resolutionsentwurf war am 18. Dezember 2014 von Jordanien im UN-Sicherheitsrat vorgelegt worden. Die ursprünglich von den Palästinensern mit Unterstützung der Arabischen Liga vorgelegte Entschließung war im Vorfeld von Frankreich in Abstimmung mit Deutschland und Großbritannien abgeschwächt worden. Ursprünglich war darin die Forderung erhoben worden, dass die israelischen Besatzungstruppen binnen zwei Jahren bis Ende 2017 aus den palästinensischen Gebieten abgezogen sein müssen. Die neue Formulierung spricht von einer Zweijahresfrist zur Ausformulierung einer Friedensvereinbarung, die erst dann umgesetzt werden soll. Ziel der Aufweichung der klaren palästinensischen Forderungen war offenbar, die Zustimmung der USA zu der Resolution zu erhalten.

Die israelische Landnahme und Zerstörung palästinensischer Strukturen in den besetzten Gebieten hält derweil unvermindert an. In Ostjerusalem veröffentlichten die Besatzungsbehörden am Montag Abrissanordnungen für fünf Häuser und Wohnungen von Palästinensern. Eines der Gebäude in Al-Tur war nach Angaben des Besitzers Akram Al-Schurafa 1938 von seinen Großeltern gebaut und an seine Mutter vererbt worden, die heute noch die rechtmäßige Besitzerin ist. Alle notwendigen Dokumente seien vorhanden, so Al-Schurafa. Das gleiche gilt für die anderen vier Häuser, die abgerissen werden sollen. Die Hausbesitzer vermuten eine Bestrafungsaktion für ihr politisches Engagement. Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte die israelische Stadtverwaltung von Jerusalem die Zerstörung von elf Häusern im Silwan-Viertel angeordnet.

Am Wochenende hatte die israelische Besatzungsarmee auch in Hebron den Abriss von zwei Gebäuden angeordnet. Zerstört werden soll auch ein Wohnwagen, den eine sechsköpfige Familie 2013 von internationalen Hilfsorganisationen erhalten hat, nachdem die israelische Armee ihr Haus zerstört hatte. Nach Angaben des Israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen hat Israel im Jahr 2014 mindestens 359 Wohnungen, Häuser und Gebäude von Palästinensern in den besetzten Gebieten plattgemacht.

Anfang der Woche stimmte der Finanzausschuss des israelischen Parlaments (Knesset) einem Finanzierungsplan für den Ausbau von Tourismuseinrichtungen in illegalen Siedlungen zu. Demnach soll in Barkan im Norden des Westjordanlandes eine Ferienanlage im Wert von 3,3 Millionen US-Dollar gebaut werden. Der ehemalige Finanzminister Jair Lapid warf den Parlamentariern »Wahlkorruption« vor. Im Auftrag von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu solle »der Siedlerlobby vor den Wahlen ein Gefallen getan« werden, sagte Lapid im privaten Fernsehkanal 10. Ebenfalls als Wahlgeschenk dürfte der großzügige Rabatt von 30 Prozent für 20.500 Siedlerwohnungen angesehen werden, deren Bau geplant ist. Netanjahu hatte Jair Lapid ebenso wie Justizministerin Zipi Livni Anfang Dezember entlassen und für März 2015 Neuwahlen angekündigt.

Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Dezember 2014

Hintergrund: Strategische Partnerschaft

Rechtzeitig zu Weihnachten hat der US-Kongress einstimmig das Rüstungsdepot in Israel um weitere 200 Millionen Dollar erhöht. Damit summiert sich der Gesamtwert der in Israel stationierten US-amerikanischen Kampfsysteme auf insgesamt 1,8 Milliarden Dollar. Die israelische Regierung hat sich bei allen kriegerischen Handlungen seit der Aggression gegen Libanon 2006 aus Washingtons Waffenarsenal bedient. Auch beim fünfwöchigen Angriff auf den Gazastreifen im Sommer dieses Jahres wurden Waffen und Munition aus dem US-Depot in Israel eingesetzt.

Das am 17. Dezember unterzeichnete »Gesetz über die strategische Partnerschaft zwischen den USA und Israel« erlaubt auch die Lieferung von modernen Lufttanksystemen, mit denen Kampfjets bei langen Einsätzen mit Treibstoff versorgt werden können. Frühere US-Regierungen hatten die Lieferung dieser Tankflugzeuge unterbunden, um zu verhindern, dass Israel eigenmächtig den Iran angreift.

Der Verkauf der Tankflugzeuge war bereits 2013 unterzeichnet worden. Mike Coogan von der US-amerikanischen »Kampagne für ein Ende der israelischen Besatzung« bezeichnete die Entscheidung gegenüber dem Internetportal RSN als »sehr gefährlich«. Eine erweiterte Zusammenarbeit bei der Satellitenaufklärung und die Lieferung von Auftankflugzeugen »hört sich an wie ein Plan, um den Iran anzugreifen«, sagte Coogan. »Moralisch, finanziell und juristisch« sei es besonders nach dem Krieg gegen Gaza nicht vertretbar, »Israel weiter mit Waffen zu beliefern«.

Der Völkerrechtler und ehemalige Sondergesandte des UN-Menschenrechtsrates für die Palästinensischen Autonomiegebiete, Richard Falk, verwies auf Beweise, wonach bei dem Angriff auf den Gazastreifen im Sommer 2014 »schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen« begangen worden sein könnten. Amnesty International hatte nach einem Bericht über den Krieg die UNO Anfang Dezember aufgefordert, gegen Israel (und Gaza) ein Waffenembargo zu verhängen. Die Führung in Tel Aviv hatte den Bericht der Menschenrechtsorganisation scharf zurückgewiesen. Der frühere südafrikanische Parlamentsminister Andrew Feinstein verurteilte gegenüber RSN die erweiterten Waffenlieferungen an Israel als »drastische Verletzung des internationalen Vertrags über Waffenhandel«. Der gibt an, dass »keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden« sollen. (kl)



Israel blockiert Wiederaufbau in Gaza

Von Karin Leukefeld **

Israel verhindert mit seiner Blockadepolitik den Wiederaufbau des Gazastreifens. Das könnte zu einem neuen Krieg führen, warnen Experten. 2.200 Palästinenser und 73 Israelis waren durch den Krieg im Sommer ums Leben gekommen, der in 50 Tagen den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt hatte. Am 26. August 2014 hat Ägypten einen Waffenstillstand vermittelt, doch vereinbarte Gespräche über die Aufhebung der Belagerung, die Öffnung der Grenzen und die Freilassung von Gefangenen fanden nicht statt. Die Lieferung von dringend benötigtem Baumaterial wird von Israel weiter unter dem Vorwand blockiert, die Hamas könnte damit Tunnel- und Bunkeranlagen bauen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 100.000 Menschen obdachlos, 96.000 Wohnungen und Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört.

Anlässlich der Feiern zum 25jährigen Bestehen der Hamas warnte kürzlich ein Vertreter der Kassam-Brigaden, dem bewaffneten Arm der islamischen Organisation, davor, dass es »eine Explosion« geben werde, sollte »das, was Israel zerstört hat, nicht wiederaufgebaut werden«.

Mit seiner Blockadehaltung will Israel vermutlich die innerpalästinensischen Konflikte schüren. Wenn kein Baumaterial in den Gazastreifen kommt, weil die Hamas dieses »falsch« einsetzen könnte, könnte das die Bevölkerung und andere politische Gruppen gegen die Hamas aufwiegeln, so das Kalkül. Israel und internationale Geber knüpfen die Lieferung von Hilfsgütern daran, dass die politische Macht der Hamas im Gazastreifen einschränkt wird. So ist eine Forderung Israels, die auch von dessen europäischen Partnern wie Deutschland unterstützt wird, dass die Hamas und andere palästinensische Gruppen komplett entwaffnet werden müssen. Ein palästinensischer Staat soll weder über außenpolitische Souveränität noch über eigene Streitkräfte verfügen.

Der israelische Kommentator Avil Issacharoff geht davon aus, dass bei anhaltender Blockade, geschlossenen Grenzen und langsamem Wiederaufbau »innerhalb der nächsten sechs Monate die Hamas die Lage eskalieren wird. Je nachdem wie Israel reagiert, könnte es einen neuen Krieg geben.« Aus Sicht des palästinensischen Analysten Walid Al-Mudallal bleibt der Hamas »keine andere Wahl, als einen Krieg zu beginnen«, sollte der Wiederaufbau nicht vorangehen.

Nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam konnten im November 287 Laster mit Baumaterial nach Gaza einfahren. Das ist nichts angesichts der zerstörten Infrastruktur. Wenn täglich 175 Lastwagen (7.000 Tonnen) die israelischen Grenzposten passieren könnten, würde der Wiederaufbau im Gazastreifen drei Jahre dauern. Die achtjährige Belagerung des Küstenstreifens durch Israel hat ohnehin schon weite Teile des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens der palästinensischen Gesellschaft in Gaza zerstört.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Dezember 2014


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