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Panamas Herz wird erweitert

Ökonomisch führt am Ausbau des legendären Kanals kein Weg vorbei, doch die Ökologen machen sich Sorgen

Von Gabriela Greess, Panama-Stadt *

Panama hängt auf Gedeih und Verderb von seinem Kanal ab. Bis 2014 soll der Panamakanal ausgebaut werden. Das schafft viele attraktive neue Arbeitsplätze, aber auch Probleme für die umliegenden Nationalparks und die kleinbäuerliche Landwirtschaft.

Es ist brütend heiß, die Fliegen schwirren und aus dem nahen Dschungel dringt das gedämpfte Geschrei von schwarzen Riesenaffen. Sie turnen entlang am dicht bewaldeten Ufer des 80 Kilometer langen Panamakanals, der über weite Strecken durch den Stausee Lago Gatún führt. Doch die Brüllaffen sind empfindlich, genauso wie all die Faultiere, die gut getarnt und meist regungslos in den Baumkronen des Parque Nacional Soberanía kleben: Aufgeschreckt von Dynamitsprengungen, mit denen die Kurven des Kanals begradigt werden, geraten sie jedoch leicht in Panik. Biologen siedeln sie deshalb vorsorglich um, zusammen mit vielen anderen Tieren.

Masterplan für den Ausbau

Der Ausbau des Kanals, angelegt auf sieben Jahre, erfordert auch einen Masterplan, was die Respektierung der Natur und ihrer Bewohner angeht. Ein ständiges Alarmsignal sind schrille Vogelstimmen, die aus dem Urwald dringen: Als überaus artenreiches Biotop ist er die Lebensader für die zweitgrößte künstliche Wasserstraße der Welt, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Direkt an einem weiteren Reservat, dem Parque Nacional San Lorenzo, liegen die Schleusen von Gatún, ein fast hundert Jahre altes Wunderwerk der Technik. Dort ist ein Recyclingsystem geplant, um die Wasserreserven des Lago Gatún sparsamer zu nutzen.

Für den Schleusenarbeiter Felipe Campbell wird das wenig an seinen eigentlichen Aufgaben ändern; doch er muss sich infolge des Kanalausbaus auf die doppelte Anzahl passierender Schiffe einstellen – bisher sind es 40 am Tag. Campbell steht sichtlich angespannt vor einer Elektro-Lok, die sich gleich in Schwindel erregender Steillage – parallel zur Schleuse – nach oben bewegen wird. An ihren Stahlseilen hängt ein Frachter von Maersk, den es durchs Nadelöhr der Schleuse zu bugsieren gilt – unterstützt von den Lotsen und fünf weiteren E-Loks.

Der 39-jährige Campbell ist gut geschult; auch als kleines Rädchen im Riesengetriebe des Kanals fühlt er sich aktiv mitverantwortlich für diesen Akt einer unglaublichen Präzisionsarbeit: Der Container-Koloss passiert jetzt auf ein paar Zentimeter genau die engen Schleusentore, überwindet dabei einen Höhenunterschied von 26 Metern. Campbell atmet durch. Die anstrengende Schichtarbeit steht dem baumlangen farbigen Arbeiter ins Gesicht geschrieben. Aber er ist zufrieden, den gut bezahlten Job bei der Kanalverwaltung Autoridad del Canal de Panama (ACP) gefunden zu haben: »Ich verdiene 1000 Dollar im Monat und bin sozial abgesichert«, sagt er. Gleichzeitig verweist er auf seine gefährliche Arbeit mit reißend scharfen, schweren Kabeln; ein Kollege habe bei einem Unfall ein Bein verloren.

Milliardenprojekt gegen den Stau

Die dringende Notwendigkeit für den Ausbau des Panamakanals – er soll über fünf Milliarden Dollar kosten – kann man ein paar Kilometer weiter mit einem Blick erfassen: Vor den Toren der Hafenstadt Colón stauen sich die Frachtschiffe. Sie alle wollen durch den Kanal, um beispielsweise von New York nach Tokio an die 13 000 Kilometer an Seeweg zu sparen. Für die Passage bezahlen sie im Schnitt 45 000 Dollar.

Nahe Panama-City sitzt der deutsche Ingenieur Ernst D. Schnack im kolonialen Verwaltungsgebäude der ACP, das aus den Zeiten fast hundertjähriger US-Präsenz in der Kanalzone (1904-1999) stammt. Der 1967 nach Panama ausgewanderte Schleswig-Holsteiner hat eine besonders gewichtige Aufgabe: Als technischer Manager ist er verantwortlich für die Anschaffung eines 90 Millionen Dollar teuren Schwimmbaggers, mit dem die Fahrrinne im Gatún- See vertieft werden soll: »Erst dadurch wird die Durchfahrt für Containerfrachter der neuesten Generation möglich: so genannte Postpanamax-Schiffe, die bis zu 12 000 Container transportieren.« Das entspricht der dreifachen Menge derzeitiger Kapazitäten.

»Vor allem chinesischen Reedereien haben sich für den Ausbau des Kanals stark gemacht«, unterstreicht Schnack. Sein Auftrag für den Schwimmbagger, eine Spezialkonstruktion für Panama, ging im Frühjahr an einen holländischen Konzern. Was deutsche Firmen angehe, so seien Bilfinger Berger und Hochtief derzeit noch im Gespräch, um Schleusen zu liefern. Angesichts all der technischen Maschinen-Giganten neuester Generation erscheint es anachronistisch, dass heute im Kanal noch ein Bagger im Einsatz ist, den die US-Amerikaner einst als Kriegsbeute aus Deutschland mitbrachten. »Bagger Titan wird von uns genutzt, um bei Reparaturen die tonnenschweren Schleusentore aus ihren Angeln zu heben«, lobt Ernst Schnack die robuste Mechanik alter Zeiten, made in Germany.

Eine Volksbefragung im Oktober 2006 entschied über die Zukunft des Panamakanals – dessen Bau hatte vor rund hundert Jahren über 25 000 Arbeitern das Leben gekostet. Vor dem Referendum kam es zu massiver Kritik von Umweltschützern, aber die Proteste verhallten relativ schnell.

Was Präsident Martin Torrijos anbetrifft, so wurde ihm vorgeworfen, mit einer aggressiven Kampagne für die Durchsetzung des Mega-Projekts geworben zu haben. 78 Prozent der Panamaer stimmten dafür. Heute sind Gegner des Projekts wie der Biologieprofessor Ariel Rodriguez in der Minderheit. Das liegt unter anderem an der Überzeugungskraft eines Arguments: Da der Panamakanal auf Gedeih und Verderb von den Wasserreserven seiner Umgebung abhängt, funktioniert er auch nur im Interesse der Kanalbehörde ACP, wenn er mit der Natur einen friedlichen Pakt eingeht – das heißt in Symbiose lebt mit einer möglichst intakt belassenen Umwelt. Dazu Ernst Schnack: »Jedes Bauprojekt im Kanal erfordert eine Genehmigung des Umweltministeriums; und für jeden gefällten Baum müssen zwei neue gepflanzt werden.« Dennoch werden weiter Stimmen laut, die durch den verdoppelten Schiffverkehr und neue Schleusen das ökologische Gleichgewicht gefährdet sehen; und in ihrem Lebensraum bedroht fühlen sich die Ureinwohner der Embará, falls weitere Landstriche am Lago Gatún geflutet werden sollten.

Der prominente Kritiker Ariel Rodriguez von der Universität Panama City sorgt sich wegen vermehrt eindringendem Salzwasser in die Seen um die Artenvielfalt der Naturparks, aber auch um die Trinkwasserqualität in Panamas Städten: »Ich warne vor den Konsequenzen eines zu risikoreichen und kurzfristigen Managements der Wasser-Ressourcen.« Auch angesichts möglicher klimatischer Veränderungen. Wenn permanent zu wenig Regen fällt und damit der Wasserspiegel des Lago Gatún als Speicher für das Schleusensystem sinkt, müssten Containerschiffe entladen und die Waren auf dem Schienenweg weitertransportiert werden: ein kostspieliges Unterfangen.

Was den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte angeht, zeigt sich Panama mit seinen 3,3 Millionen Einwohnern sehr zurückhaltend: »Präsident Martin Torrijos hat bei der Volksabstimmung für den Ausbau des Kanals damit geworben, zuallererst Menschen aus dem Land Arbeit und Brot zu geben.

Dieses Versprechen hat er gehalten, rund 85 Prozent der Arbeitskräfte kommen von hier. Wenn die hier billige Arbeiter aus Nicaragua holen, gehen die Panamaer auf die Straße«, sagt Schnack. Kein Wunder, ist die Kanalgesellschaft doch der attraktivste Arbeitgeber in dem mittelamerikanischen Staat. Als die US-Amerikaner 1999 die Kanalzone an Panama übergaben, wurde das von ihnen bezahlte Lohnniveau beibehalten. Es übersteigt bei Weitem die Durchschnittsgehälter des Landes, in dem rund 40 Prozent der Menschen in Armut leben. Im Kanal erwirtschaften derzeit etwa 9000 Panamaer durch den damit verbunden Handels- und Finanzsektor rund drei Viertel der nationalen Einkommen. Ein Facharbeiter verdient bis zu 15 Dollar pro Stunde.

In der Hafenstadt Colón sieht es dagegen ganz anders aus. Die Armut schlägt einem in verfallenen Straßenzügen unverblümt ins Gesicht. Viele Menschen, vor allem Farbige, verdienen dort gerade mal zwei Dollar pro Tag, auf soziale Absicherung können sie nicht zurückgreifen. Mit dem Kanalausbau verbinden sie erhöhte Staatsausgaben, befürchten bei Trockenperioden eine Rationierung des Trinkwassers. María Muñoz nimmt als Vertreterin der Kleinbauern kein Blatt vor den Mund: »Von den Profiten neuer hoher Kanalgebühren profitieren die Unternehmen, wir dagegen müssen womöglich mit schlechterer Wasserqualität rechnen oder mehr bezahlen.« Darüber redet man nicht gerne bei der Kanalgesellschaft.

Fast alle wollen zur Kanalgesellschaft

Die ACP rekrutiert mit strengen Auswahlverfahren ihr Personal und gibt Bewerbern aus allen Schichten eine Chance. Ernst Schnack betont: »Wir haben mehrere tausend Panamaer angestellt, darunter auch Frauen, um spezielle Traktoren und Lastwagen zu führen. Zudem gründeten wir ein Fortbildungszentrum, um die Menschen aus unserem Land für die hoch technologisierten Maschinen im Kanal fit zu machen.« Dieses Institut befindet sich als Ironie der Geschichte in der symbolträchtigen Highschool der einstigen Kanalzone von Balboa, wo vor über 40 Jahren, im Januar 1964, junge Panamaer mit US-Studenten zusammenstießen. Daraus erwuchsen blutige Proteste – als Antwort auf eine unsensible Besatzungspolitik der Nordamerikaner in der Kanalzone, die als Militärbasis funktionierte. Der Tag des Studentenaufstands ist bis heute als »National Martyrs Day« ein nationaler Gedenktag: In memoriam von 20 Panamaern, die damals ihr Leben ließen.

Knapp zehn Jahre nach Abzug der US-Amerikaner aus der Kanalzone hat die gefräßige tropische Natur viele Überbleibsel ihrer militärischen Anlagen in den heutigen Nationalparks bereits überwuchert. Heute schauen nur ganz wenige Panamaer mit Nostalgie auf die Zeiten zurück, als in der Kanalzone noch US-Recht herrschte, das vor allem die weiße Bevölkerung mit exklusiven Privilegien ausstattete. Der farbige Schleusenarbeiter Felipe Campbell wäre in den Pionierzeiten des Kanals nicht wie sie in harter Gold-Währung, sondern nur mit Silber bezahlt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2008


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