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"Panamas Oligarchie plündert unser Land aus"

Saúl Méndez über neoliberale Politik, soziale Proteste und brutale Repression

Der Gewerkschafter Saúl Méndez ist Vorstandsmitglied der Koordination sozialer Bewegungen Frenadeso und Sekretär der Bauarbeitergewerkschaft Suntracs in Panama. Beide Organisationen gelten auf Grund ihrer Mobilisierungskraft zu den Stützpfeilern der sozialen Bewegung in Panama. Das zentralamerikanische Land ist vor allem bekannt für seinen Kanal. Die Rückkehr zur Demokratie hat an den Herrschaftsverhältnissen im Land wenig geändert. Proteste werden brutal unterdrückt. Mit Saúl Méndez sprach für ND [Neues Deutschland] Markus Plate. Im Folgenden dokumentieren wir dieses Interview.



ND: Panamakanal, Wolkenkratzer, Schiffe unter panamaischer Flagge, Geldwäsche, passables Durchschnittseinkommen. Den Pana-meños müsste es doch ganz gut gehen?!

Saúl Méndez (lacht) Einigen wenigen geht’s phänomenal. Aber es stimmt, es hat mich überrascht, dass man hier in Europa über Panama weit weniger lesen kann als zum Beispiel über Kolumbien. Wir leben in einem Land mit zwei Gesellschaften. Wer in Panama auf dem Flughafen landet, sieht überall moderne Anlagen, sieht die modernen Bürotürme der Stadt. Die Reichen in Panama leben besser als die Reichen Europas. Aber rund 70 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, und Panamas Indígenas, rund zehn Prozent der Bevölkerung, leben fast alle in extremer Armut. Das ist die Realität Panamas: Du siehst im 21. Jahrhundert Kinder, die barfuß in die Schule gehen, die meist nicht mehr ist als ein Schuppen. Öffentliche Krankenhäuser sind nicht mehr als Räume ohne Apparate und ohne Medikamente.

Was sind die Gründe für diese klaffende Schere zwischen Arm und Reich? Strukturprobleme, unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten zwischen Stadt und Land ...?

Nein, viel einfacher: Panamas Oligarchie plündert dieses Land aus: Inseln, Strände und Wälder werden verscherbelt, indigene und Bauerngemeinden werden vertrieben. Internationale Bergbaukonzerne graben das Land um und vergiften die Umwelt. Milliarden sollen in den Ausbau des Panama-Kanals gesteckt werden, ohne dass klar ist, ob sich das jemals auszahlt. Panama ist Transitland für den Menschen-, Drogen- und Waffenhandel. Und natürlich wird in Panama Geld gewaschen. Die Oligarchie verdient überall kräftig mit. Im Bausektor sind in den letzten zehn Jahren mehr als 200 Arbeiter durch Unfälle zu Tode gekommen, weil die Unternehmer einfachste Sicherheitsstandards nicht anwenden, um ihre Profite zu erhöhen. Und jetzt will die Regierung die Wasserversorgung privatisieren. Auch davon wird nur die Oligarchie profitieren.

Was hält Suntracs und Frenadeso an Forderungen und Zielen dagegen?

Das dringlichste Problem sind die hohen Lebenshaltungskosten. Wir fordern daher eine Anhebung des Mindestlohns ebenso wie eine Senkung der Preise, vor allem für Grundnahrungsmittel. Am 4. September wurden mit einem Generalstreik die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes lahmgelegt. An diesem Streik haben sich fast alle Sektoren der Gesellschaft beteiligt, auch Lehrer und medizinisches Personal, die traditionelle Mittelschicht also. Denn ihnen ist klar geworden, dass die Ausbeutungspolitik der Regierung auch sie in die Armut treibt. Wichtiger ist uns aber, mit den herrschenden Machtverhältnissen zu brechen und diesen Staat neu zu gründen. Das ist nur über ein Aufklären, Informieren und Organisieren der Bevölkerung zu erreichen – in die Richtung gehen unsere Anstrengungen. Unser Ziel ist eine Verfassunggebende Versammlung – und zwar eine, die das Volk selbst einberuft! In dieser sollen ein neuer Sozialpakt, eine neue Verfassung und neue Spielregeln ausgearbeitet werden, nach denen gewählt wird – mit dem Ziel, freie und faire Wahlen auszurufen, statt dieser Karikatur einer Demokratie, die eine Diktatur von hundert Familien ist, die die Eigentümer der wichtigsten Parteien, der wichtigsten Medien und der wichtigsten Unternehmen sind.

Das wird diese hundert Familien nicht freuen. Wie reagiert der Staat auf Ihre Forderungen?

Im letzten Jahr haben wir die brutalste Repression durch den Staat und die derzeitige Regierung erlebt. Drei Gewerkschaftsführer von Suntrax und Frenadeso sind ermordert worden, Ali Romeo Smith am 12. Februar dieses Jahres, Luis Arruello und Oswaldo Lorenzo im August 2007. Im selben Zeitraum sind mehr als 1500 Menschen verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft wird genauso wie die Justiz instrumentalisiert, um die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen zu verfolgen und zu kriminalisieren. Und abgesehen davon werden die Medien dazu benutzt, die sozialen Bewegungen zu satanisieren und zu disqualifizieren.

Sie haben gesagt, dass die Information der Bevölkerung eine zentrale Rolle spielt. Welche Strategien verfolgen Sie, vor allem im Angesicht der großen Medien, die – wie sie sagen – allein dem Zweck dienen, den Status quo zu erhalten?

Die Erfahrungen der letzen Jahre haben gezeigt, dass wir uns gegenüber dieser Medienmacht eigene, nämlich alternative Medien aneignen müssen. Wir produzieren Dokumentarfilme, in denen es um die Unterdrückung der sozialen Bewegungen und die Ermordung von Aktivisten geht. Es eröffnen sich aber unserer Ansicht nach durch die Verbreitung von Programmen über das Internet und vor allem über Community Radios noch viel größere Möglichkeiten. Bislang waren unsere Kommunikationsformen Flyer, Plakate und Demonstrationen. Mit alternativen Medien wird es uns gelingen, nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch international viel besser darüber zu informieren, was in Panama passiert.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2008