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Dunkle Zeiten

Paraguay: Wahrheitskommission sucht Zeugen der Diktaturverbrechen

Von David Vargas (IPS), Asunción *

In Paraguay sucht die Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit (CVJ) 2000 Zeugen der Diktatur unter Alfredo Stroessner in den Jahren 1954 bis 1989. Stützen werden die Aussagen den für August 2008 angekündigten Abschlußbericht des neunköpfigen Gremiums, das Licht in die dunklen Zeiten der paraguayischen Geschichte bringen und die Grundlage für Reparationen schaffen soll.

Nach Angaben von CVJ-Chef Juan Manuel Benítez Florentín haben sich bereits 1350 aussagebereite Diktaturopfer und Angehörige gefunden, obwohl die Kampagne erst am 10. Juli angelaufen ist. Benannt ist sie »2000 Aussagen für die Geschichte« und wird von der Schweizer Regierung und den paraguayischen Medien unterstützt.

Bislang gibt es keine verläßlichen Angaben zur Zahl der Verschwundenen in Paraguay. Die CVJ untersucht derzeit 400 Fälle. Nach Einschätzung des paraguayischen Verbandes der Angehörigen der Verhafteten–Verschwundenen (FADDAPY) wurden in den Jahren der Diktatur zwischen 3000 und 4000 Menschen ermordet.

Zu den Zeugen, die sich bereits bei der CVJ gemeldet haben, gehören Menschenrechtler, Oppositionspolitiker, desertierte Soldaten, aber auch Kleinbauern. Ausgesagt hat auch der mittlerweile 80jährige Victoriano Centurión, eines der Opfer der Belagerung von Costa Rosado im Departmento Caaguazú, etwa 150 Kilometer von der paraguayischen Hauptstadt Asunción entfernt. Der Ort gehörte in den 60er Jahren zu den von der katholischen Kirche aufgebauten Basisgemeinden und wurde am 12. Mai 1980 von 400 schwerbewaffneten Soldaten abgeriegelt. Während der dreimonatigen Belagerung wurden etliche Menschen beschuldigt, Kommunisten oder Guerilleros zu sein und willkürlich verhaftet.

»Wir wurden an Händen und Füßen gefesselt und getreten. Maschinengewehre waren auf uns gerichtet, wenn wir Fragen zu unserer Einstellung zum Kommunismus zu beantworten hatten. Alles, was wir sagten, zog weitere Schläge nach sich«, erinnert sich der damalige Gemeindevorstand Centurión.

Im CVJ-Archiv finden sich Hunderte Berichte über Mord und Folter, illegale Haft und das sogenannte Verschwindenlassen. Viele der Menschen, denen sie zu verdanken sind, leiden bis heute an Organ- und Rückenschäden, Dauerkopfschmerzen oder Schlaflosigkeit. »In der ersten und besonders brutalen Phase der Diktatur bis zu den 60er Jahren, lag die durchschnittliche Haftdauer bei 800 Tagen, in der Endphase der 80er Jahre bei zehn Tagen. Die Gefängnisse waren wie Taubenschläge«, sagt der Soziologe José Carlos Rodríguez, der sich um die Zeugen der CVJ-Kampagne kümmert.

2006 veröffentlichte die CVJ einen Vorabbericht, der einige Fälle von Verschwundenen, extralegale Hinrichtungen, illegale Haft und die Vertreibung von Menschenrechtsaktivisten und Oppositionellen ins Exil behandelt und Stroessner die volle Verantwortung für die Opfer der Operation Condor gibt. Unter diesem Namen haben die lateinamerikanischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren gemeinsam Oppositionelle verfolgt, entführt und ermordet und die Arbeit der Geheimdienste koordiniert.

Stroessner ging nach seiner Absetzung im Jahre 1989 ins brasilianische Exil und starb dort am 16. August 2006 im Alter von 93 Jahren.

* Aus: junge Welt, 27. Juli 2007


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