Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hetze gegen Landlose

Paraguay: Nach Gewalt in Curuguaty sehen Behörden Guerilla am Werk

Von Benjamin Beutler *

Starke Regenfälle haben die Suche nach den Opfern der Gewalt­eskalation zwischen Polizei und Bauern in der paraguayischen Ortschaft Curuguaty bisher erschwert. Unterdessen ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, wer an dem Blutbad, bei dem am vergangenen Freitag elf Landbesetzer und sieben Uniformierte ums Leben gekommen sind, schuld hat. Noch am Tag der Polizeiaktion zur Durchsetzung einer richterlich angeordneten Räumung besetzter Ländereien nahe der brasilianischen Grenze haben Behörden ausschließlich die Besetzer verantwortlich gemacht.

Über 60 Männer der Landlosen, darunter ihr Anführer Rubén Villalba, hätten sich auf der Finca des Agrounternehmers und Exsenators Blas Riquelme von der rechtskonservativen Partido Colorado im Unterholz versteckt und die angerückte Polizei, darunter Spezialeinheiten, in einen Hinterhalt gelockt, so das Innenministerium. »Gegen 54 Personen wurde wegen versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung, krimineller Vereinigung und Nötigung ein Verfahren eingeleitet«, hieß es aus Asunción. Zwölf Bauern seien in Haft, darunter zwei Minderjährige von 15 und 17 Jahren.

Damit liegt das Ministerium ganz auf der Linie der Großgrundbesitzer­lobby. Die »Landinvasoren«, so das in großen Medien wie der Zeitung ABC Color gepflegte Schlagwort zur Kriminalisierung der Landlosenbewegung, hätten beim »tödlichen Schlag gegen die Polizei« gemeinsame Sache mit Guerilleros der Volksarmee von Paraguay (EPP) gemacht, stellt der Agrarbund fest. Diese »ganz sichere« Tatsache sowie »der Gebrauch automatischer Waffen und Sprengstoff« zeigten, daß es sich um mehr »als eine einfache Gruppe sogenannter Landloser« handeln würde. Statt dessen müsse von einer »gut organisierten und bewaffneten Gruppe« gesprochen werden, so der Verband des Agrobusineß.

»Wir können nichts ausschließen«, läßt auch die Oberstaatsanwaltschaft die Guerillaversion als Möglichkeit bestehen. Seit Jahren liefert sich die EPP im Norden Paraguays kleine Scharmützel mit Großgrundbesitzern. Über den tatsächlichen Hintergrund der Aktionen herrscht indes Unklarheit. Regelmäßig werden Vermutungen laut, die EPP sei ein Phantom oder würde für politische Ziele aufgebauscht. Im Wahlkampf 2008 beschuldigte die Partido Colorado – sie putschte gegen die Diktatur von Alfredo Stroessner und ist seit 1989 der verlängerte Arm der 400 Großgrundbesitzerfamilien des Agrarstaates – den späteren Sieger Fernando Lugo der EPP-Sympathie. Präsident Lugo, der wegen des Curuguaty-Blutbades seine Reise zum UN-Nachhaltigkeitsgipfel in Rio kurzfristig abgesagt hatte, ist wegen Schlagzeilen zur angeblichen Guerilla in der Defensive. Der Befreiungstheologe ernannte am Freitag Hardliner und Colorado-Mitglied Rubén Candia Amarilla zum neuen Innenminister. Am Tatort hätten, so die vorsichtige Sprachregelung von Lugo-Pressesprecher Miguel López, »fremde Personen eingegriffen, um ein Massaker zu provozieren«.

Nicht nur elf Bauern seien getötet worden, auch 46 Landarbeiter würden weiterhin vermißt. Mit diesen Worten forderte Luis Aguayo, Vorsitzender vom »Runden Tisch der nationalen Bauernorganisationen« (MCNOC), Aufklärung. Waffen habe es nicht gegeben.

»Wir haben keine Verbindung zur Guerilla, für uns existiert die EPP nicht«, so Damasio Quiroga von der Bauernbewegung Paraguays (MCP). Landbesitzer und Polizei würden unter einer Decke stecken. Die Nationalorganisation unabhängiger Indigener (ONII) schenkt dem Gerede zur angeblichen Guerilla auch keinen Glauben. Gewalt gegen Kleinbauern sei »ein Mechanismus, den staatliche Institutionen wie Polizei, Militär und Staatsanwaltschaft seit jeher einsetzten, um Unternehmer im In- und Ausland, Latifundisten und Privatwirtschaft zu schützen«.

Die Bauernbewegung Via Campesina warnt vor der wachsenden Kriminalisierung von Landlosen. In Paraguay, befürchtet Aktivistin Lidia Ruiz, wo zwei Prozent der Bevölkerung 55 Prozent des Landes kontrollieren, werde es bald kolumbianische Verhältnisse geben. Das erklärte sie gegenüber dem alternativen Sender »Radio Mundo Ral« am Montag (18. Juni).

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. Juni 2012


Zurück zur Paraguay-Seite

Zurück zur Homepage