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Der Fluch der Soja

Paraguay: Landfluchten, Besetzungsaktionen und die Macht von Großkonzernen. Wie eine Bohne ein ganzes Land veränderte

Von Timo Berger, San Pedro und Asunción *

Ein Haufen gelber Körner rieselt durch zwei Hände. Rodney Villalba begutachtet vor einem Getreidesilo eine Stichprobe der heute angelieferten Soja. Ein paar der Bohnen sind schwarz, andere vertrocknet. Die Hülsenfrucht habe dieses Jahr eine mindere Qualität, sagt Villalba, und die Ernte falle geringer aus – eine Folge der Dürre, die Paraguay den Sommer über auf der Südhalbkugel fest im Griff hält.

Wir sind in Puerto Antequera am Getreidehafen der Grupo Severo Villalba: 300 Kilometer, vier Stunden Autofahrt über die neue asphaltierte Überlandstraße nördlich der paraguayischen Hauptstadt Asunción. Eine trockene Hitze liegt in der Luft. Eigentlich wäre jetzt, Ende April, die Zeit, in der es in dem süd­amerikanischen Binnenland am meisten regnet.

Rodney Villalba schätzt, daß in Antequera dieses Jahr 15 Prozent weniger Soja verschifft werden wird. Vergangenes Jahr wurden 60000 Tonnen, 40 Prozent der Gesamtproduktion des Departamentos San Pedro, in die flachen Frachtschiffen verladen, die das Getreide den Río Paraguay hinunter zu argentinischen Häfen transportieren, von wo aus es hauptsächlich nach Europa exportiert wird. Rodney ist der Sohn von Severo Villalba, einem paraguayischen Unternehmer, der seit Jahren in das boomende Sojageschäft investiert. Der Hafen in Antequera wurde 2006 eingeweiht. Eine »hundertprozentige paraguayische Investition«, versichert er. Wenn es nach dem Sojaunternehmer geht, soll San Pedro in den nächsten Jahren zu einem der Departamentos werden, das zu den Spitzenproduzenten der Nutzfrucht aufrückt.

Die diesjährige Dürre, ist Villalba überzeugt, sei zwar ein Phänomen, aber doch nicht ungewöhnlich: »Alle fünf bis sechs Jahre bleibt hier der Regen aus.« Ganz anders sieht das Oscar Meza. Der Agraringenieur empfängt uns in einem abgedunkelten Büro in Asunción. Obwohl es noch früh am Morgen ist, läuft der Ventilator schon auf Hochtouren. Für Mesa steht die Dürre mit dem Sojaanbau in Zusammenhang. Die Abholzung großer Landesteile für die Ausweitung der Plantagen und Viehweiden habe zu Klimaveränderungen geführt. Insgesamt sei eine Zunahme der Wetterextreme zu beobachten, sagt Meza.

In der Tat hat Paraguay sein Antlitz in den vergangenen Dekaden stark verändert. 1945 standen im fruchtbaren Ostteil des Landes acht Millionen Hektar Wald. Heute sind weniger als eine Million Hektar davon übrig. Paraguay, ein Land so groß wie die BRD und die Schweiz zusammen, ist in derselben Zeit zum sechstgrößten Sojaproduzenten weltweit aufgestiegen. Bei den Ausfuhren rückte das Land – hinter den USA, Brasilien und Argentinien – sogar auf den vierten Platz vor. Die Sojabohne ist nicht nur das bedeutendste Exportprodukt; mit knapp vierzig Prozent der landwirtschaftlichen Produktion steht sie im Zentrum der paraguayischen Wirtschaft. Die steigende Nachfrage nach Tierfutter und Agrotreibstoffen läßt die Preise für die Hülsenfrucht auf dem Weltmarkt steigen. Die eiweiß- und ölhaltige Bohne wird ausgepreßt, das Sojaöl als Nahrungsmittel und Treibstoff verkauft, der Rest als Futtermittel, das in der Tiermast in den großen europäischen Fleischfabriken eingesetzt wird.

Getreide im Winter

Ende der 1960er Jahre begann der extensive Sojaanbau. Oscar Meza erzählt, daß die Regierung des deutschstämmigen Diktators Alfredo Stroessner von 1966 bis 1968 eine »grüne Revolution« angestoßen habe, die Mechanisierung der bis dahin kleinbäuerlich geprägten Landwirtschaft. Oberste Priorität hatte die Ausweitung des Weizenanbaus, weil das Land bis dahin auf Importe angewiesen war. Doch da das Getreide im subtropischen Klima Paraguays nur im Winter wachse, habe man nach einem Anbau für den Sommer gesucht und mit Soja die geeignete Pflanze gefunden.

In den vergangenen Jahren ist das Geschäft mit den steigenden Preisen für Soja auf dem Weltmarkt immer lukrativer geworden – multinationale Konzerne wie Cargill und Monsanto, Dreyfuss und ADM engagieren sich in Paraguay. 95 Prozent des angebauten Sojas, schätzt Rodney Villalba, sei gentechnisch verändert. Saatguthersteller wie Monsanto lieferten gleich einen ganzen Pack Samen plus passend darauf abgestimmte »Pflanzenschutzmittel«. Denn die riesigen Sojamonokulturen sind sehr anfällig für Schädlinge, so Villalba.

Die Schattenseiten des Booms werden auch in Paraguay zunehmend sichtbar: Agraringenieur Meza, der das staatliche Programm für die landwirtschaftliche Entwicklung leitet, beklagt, daß im Zuge des Sojabooms auch Wälder in Gebieten gerodet wurden, deren Böden gar nicht für den Ackerbau geeignet sind. Riesige Flächen mit sandigen Böden wurden so der Erosion ausgesetzt. Der Niederschlag wasche die Böden aus, transportiere Sedimente in Bäche und Flüsse. Viele Gewässer seien inzwischen versandet.

Auf den ersten Blick jedoch scheint Soja ein Devisenbringer für die klamme paraguayische Staatskasse zu sein. Trotz Dürre und des – aufgrund der aktuellen Finanzkrise – gesunkenen Weltmarktpreises, schätzt die paraguayische Zentralbank, würden die Sojaexporte 2009 einem Wert von 963 Millionen US-Dollar entsprechen. Zwar wären das 36 Prozent weniger als im Vorjahr (1,5 Milliarden US-Dollar), aber immer noch mehr als 2007. Warum vom Soja-Geschäft dennoch nur wenige Menschen im Land profitieren, erklärt uns Ricardo Rodríguez Silvera: Die Hülsenfrucht sei ein »exkludierendes und konzentriertes Produkt«.

Konkret: Die zum Teil mehrere hundert Hektar großen Plantagen erfordern wenig Arbeitskräfte, so der Wirtschaftswissenschaftler und international tätige Berater. Mit den entsprechenden Maschinen ausgestattet, könnten ein oder zwei Männer 500 Hektar bewirtschaften. Außerdem erhebe der paraguayische Staat sehr geringe Steuern auf die Produktion und, anders als die Nachbarländer, keinerlei Abgaben auf die Ausfuhr. »Paraguay ist das Land mit der geringsten Steuerlast in der Region«, betont Rodríguez Silvera.

Es wundere nicht, daß der Staat kein Geld für eine Umverteilungspolitik oder Mikrokredite an Kleinbauern hat. Die Verelendung in Paraguay habe in den vergangenen Jahren – trotz des landwirtschaftlichen Booms – sogar zugenommen. »Mehr als eine Million Menschen leben in extremer Armut, weitere anderthalb Millionen unter der Armutsgrenze.« 2,5 Millionen von 6,5 Millionen Einwohnern – das sei zu viel, wie der Wirtschaftswissenschaftler findet: »Es ist das erbärmlichste Anzeichen dafür, daß unsere Gesellschaft gescheitert und es dem Staat nicht gelungen ist, ein Modell zu installieren, das diese Bevölkerungsteile integriert«.

In der Bauernschaft, bei den kleinen Produzenten, regt sich mittlerweile Widerstand gegen die Sojamonokulturen. Das im Zentrum Südamerikas gelegene Land ist bis heute stark agrarisch geprägt. Von den secheinhalb Millionen Paraguayern leben noch fast 40 Prozent auf dem Land – eine absolute Ausnahme auf dem Subkontinent. Doch auch in Paraguay nimmt die Landflucht zu. Die Bauernvereinigungen geben die Schuld den großen Plantagen, die ihre ursprüngliche Kultur und Subsistenzwirtschaft verdrängen.

Forderung nach Landreform

Wir sind in Guayabí, einer kleinen Stadt im Departamento von San Pedro. Hier treffen sich Vertreter von Bauernvereinigungen, Basisbewegungen und linken Parteien aus dem ganzen Land ein Wochenende lang, um über die Lage der Kleinbauern zu diskutieren und eine gemeinsame Aktionsplattform zu gründen. Vergangenes Jahr wählten viele von ihnen den Mitte-Links Kandidaten Fernando Lugo – »Eine Stimme für den Wandel«, wie der ehemalige Bischof in der Kampagne um das Amt des Präsidenten versprochen hatte. Doch heute, fast zehn Monate nach seinem Amtsantritt, macht sich Skepsis breit. Zwar hat Lugo der über 60 Jahre währenden Herrschaft der Colorado-Partei ein Ende gesetzt. Viel bewegt, so die einhellige Meinung, habe er allerdings nicht. Die Bauern in Guayabí fordern, daß der Präsident sein Wahlversprechen einer Landreform endlich einlöst. Aber auch der massive Einsatz von Pestiziden auf den großen Plantagen, der in den umliegenden Dörfern zu Krankheiten und Mißbildungen bei Neugeborenen führte, ist ein Thema.

Manuel Barrera, ein Campesino aus dem südwestlich von Guayabí gelegenen Santani, meint zum Dilemma der Kleinbauern: »Wir sind von großen Sojaplantagen umgeben, die Wälder sind gerodet worden, wir haben Probleme mit der Verschmutzung der Umwelt durch Agrochemikalien.« Heute stehen nur noch zwölf Prozent des ehemaligen Baumbestandes in San Pedro. Als er noch jung war, erinnert sich der 53jährige, gab es dort noch viel Wald, kristallklare Bäche mit Fischen, ergab Wildtiere, die sie jagen konnten, und Wildfrüchte.

San Pedro ist eines der konfliktreichsten Departamentos, erzählt der Bauernsprecher Miguel Angel Insfran, während wir Richtung Requena aufbrechen. Hier kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Campesinos und von Staat oder Großgrundbesitzern eingesetzten Bewaffneten. Die Bauern wehren sich, weil San Pedro, einer der ärmsten Landesteile, noch über eine hohe Anzahl von intakten kleinbäuerlichen Strukturen verfügt. Doch die Latifundistas, so Insfran, schicken Schlägertrupps vorbei, sie wollen den Protest einschüchtern. Es gebe aber auch gezielten Attentate. Seit 1992 wurden 150 Aktivisten umgebracht. Noch schlimmer seien die Krankheiten und Gesundheitsschäden, die Mißbildungen in Folge von Besprühungen: Vor allem nachts werden Pestizide und Herbizide mit kleinen Flugzeugen auf den Feldern verteilt. Verwehungen über die angrenzenden Dörfer nehme man in Kauf. Das würde Kosten sparen. Jahrelang habe man den Bauern nicht geglaubt, als sie über Gesundheitsprobleme klagten.

José Parra Goana, ein auf seiten der Bauern stehender Arzt aus Yateity del Norte, erklärt den Zusammenhang zwischen Besprühungen und der Expansion der Sojaplantagen. Die Sojaunternehmer würden ihre Territorien sowohl durch direkten Ankauf, aber auch durch eine Art von Vertreibung erweitern. Das geschehe, indem sie »Druck ausüben auf die Bevölkerung durch den Einsatz von Giften. Die Bauern erleben, wie Familienangehörige ebenso gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen sehen wie ihre Tiere. Und wie die Umwelt leide. Irgendwann fliehen sie, lassen ihr Land zurück oder verkaufen es unter Wert«, so Parra Goana. So werde der Sojaanbau immer weiter ausgeweitet. Als Folge der Pestizideinsätze zählt der Arzt »Hautkrankheiten, Diabetes, Bluthochdruck und Krebs« auf: »Die gab es früher nicht.«

Das Land, das die Campesino heute noch besitzen, sei knapp geworden. Von den ursprünglich 20 Hektar, die Siedlern einst vom Staat zugeteilt wurden, ist häufig nicht mehr viel übrig – auch wegen der Erbteilung. Inzwischen lebten auf derselben Fläche heute fünf oder sechs Familien. Die Böden seien ausgelaugt und brächten kaum noch Ertrag. Die Kleinbauern und Landlosen fordern deshalb neues Ackerland von der Regierung. Doch die Regierung hat das staatliche Land verkauft an die großen Soja- und Viehbarone, sagt Miguel Ángel Insfrán. Und bislang habe sie auch keine Initiative gezeigt, altes Land wieder urbar zu machen oder unproduktive Flächen, die sich in Privathand befinden, zu enteignen.

Verbal bekräftigte Präsident Lugo immer wieder – wie zuletzt Ende Mai gegenüber der argentinischen Zeitung Clarín –, daß eine umfassende Landreform ein »unverzichtbarer Teil« seiner Regierungsagenda sei. Doch praktisch geschieht nichts. Dabei befinden sich, so rechnete das Staatsoberhaupt vor, 85 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen im Besitz von nur 2,5 Prozent der Bevölkerung. »Eine Ungleichheit«, die man langsam korrigieren müßte, mahnte Lugo, doch wie, das verrät er nicht. Ob die Kleinbauern jedoch noch länger warten werden, ist fraglich. Immer mehr von ihnen fliehen vor Armut und Umweltverschmutzung in die großen Städte. Dort findet sich dann so mancher in den schnell wachsenden, Slumgebieten.

»Viele Leute haben hier ihr Land verkauft«, erzählt Miguel Ángel Insfran. »Warum? Weil ihnen ein Bündel Geld angeboten wurde. Fünf Millionen Guaraní pro Hektor. Das erscheint erstmal viel. Für die durchschnittlich zehn Hektar, die heute eine Campesinofamilie besitzt, macht das 50 Millionen.« Eine Million Guaraní erwirtschaft der Kleinbauer etwa auf seiner Parzelle jährlich – umgerechnet etwa 800 Euro. Sie würden das Geld also annehmen, mit dem Vorsatz, nach Asunción zu ziehen und dort in der Stadt ein kleines Geschäft aufzumachen. »Doch viele kommen schnell wieder zurück«, so Insfran, »ohne Geld und jetzt auch ohne Boden. Wieder einige Landlose mehr.«

Besetztes Land

So kommt es immer wieder zu Besetzungen. Zwischen Guayabí und Requena, bei Toro Pirú, haben sich hundert Familien auf dem Grundstück an der Straße Hütten gebaut, besetzten die Zufahrt zu einer Länderei. »Seit fünf Jahren kämpfen wir hier schon«, erzählt ein Mann auf Guraní und Spanisch. Hinter ihm, seiner Frau und seinen zwei Kindern steht ein Zaun, der das Grundstück begrenzt. Noch gibt es Wald darauf – Eukalyptusbäume. Bevor sie das Land besetzten, hieß es, daß der Besitzer es in eine Sojaplantage verwandeln wollte. Nun kann jeden Tag der Befehl zur Räumung kommen. In den vergangenen Jahren hat sich vor allem die Justiz als zuverlässiger Partner der großen Landbesitzer gezeigt.

In Paraguay ist bislang kein Anzeichen erkennbar, daß sich an der Situation kurzfristig etwas ändern könnte. Die großen multinationalen Konzerne würden auch weiterhin zu für sie traumhaften Konditionen investieren, beklagt Oscar Meza. Zwar existieren auch in Paraguay Umweltauflagen und Vorschriften über den Einsatz von Pestiziden. Doch es gibt kaum jemanden, der die Einhaltung kontrolliert. Der öffentliche Sektor verfügt weder über ausreichendes und ausgebildete Personal noch über die geeignete Organisationsstruktur, um mit den privatwirtschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten, erklärt Meza. »Wir bewegen uns immer ein paar Schritte hinter der privaten Initiative.«

25 Prozent Wald müssen zum Beispiel laut Gesetz auf einem Grundstück stehen gelassen werden – doch meistens wird alles restlos abgeholzt. Eine Sojaplantage wirft dermaßen großen Gewinn ab, daß ein Bußgeld aus der Westentasche bezahlt wird. Oder es werden auf ruhenden Flächen schnell wachsende Eukalyptuswälder gepflanzt – Alibiaktionen, denn mit den ursprünglichen dichten Wäldern Paraguays hat dieser Bewuchs natürlich nichts mehr zu tun.

So geht es im Land trotz anderslautender Versprechen der Regierung weiter wie bisher: Man rechnet mit einer Ausweitung der Plantagen in den kommenden Jahren. Der US-Konzern Cargill baut in Zeballos Cué nördlich von Asunción einen riesigen Getreidehafen. Im Chaco, dem westlichen Landesteil, dünnbesiedelt und trocken, werden jeden Tag 1400 Hektar Wald gefällt. Dorthin zieht es vor allem die Viehbarone, die ihre Weiden im Ostteil für gutes Geld an die Sojabauern verkaufen und dafür riesige Flächen im steppenartigen Chaco erwerben. Die Fleischproduktion mausert sich im Schatten des Sojabooms und wird zur zweiten Säule der paraguayischen Landwirtschaft. Die Folgen für die Umwelt sind ähnlich verheerend, doch das ist ein anderes Thema.

Weitergehende Informationen zum Thema unter: www.fdcl.org. bzw. www.fdcl-berlin.de

* Aus: junge Welt, 13. Juni 2009


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