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Einmischung erlaubt: Zur neuen Rolle des Pacific Islands Forum

Tagung der Pazifik-Staaten in Kiribati

Den nachfolgenden Artikel fanden wir auf der NZZ Online am 2. November 2000. In ihm geht es um den Abschied der Pazifikstaaten von ihren traditionellen Gepflogenheiten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen Staaten einzumischen. An dieses Prinzip halten sich z.B. auch die Mitglieder der Assoziation südostasiatischer Staaten (ASEAN) mit eiserner Disziplin. Dies entspricht im Übrigen auch den Grundsätzen der Vereinten Nationen. In der wirklichen internationalen Politik dürfte dieses Prinzip wohl nie ganz eingehalten worden sein. Insofern könnte man über die Entschließung des Pazifischen Forums zur Tagesordnung übergehen. Indes wird gerade im Westen die Diskussion längst nicht mehr um diplomatische, politische oder wirtschaftliche Einflussnahme auf andere Länder geführt, sondern hier geht es auch schon um militärische Optionen. "Humanitäre Interventionen" mit oder ohne UNO-Mandat: Dahin soll die Reise gehen. Gestützt werden solche Ansichten vom westlich geprägten Globalisierungsdiskurs, der eine Auflösung der Nationalstaaten und eine neue Verantwortung der "Zivilgesellschaft" gegenüber den Ländern der ehemaligen Zweiten und Dritten Welt propagiert. - Die pazifischen Staaten haben sich einer solchen weitgehenden Interpretation des Entwicklungsweges der Weltgesellschaft für's Erste entzogen. Sanktionen gegen einzelne Mitglieder des Pazifischen Forums soll es nicht geben dürfen.

Wenn die Regierungschefs der pazifischen Länder an ihrer Jahrestagung im Rahmen des Pacific Islands Forum zusammenkommen, wird zwar viel diskutiert, zu einer Abstimmung jedoch kommt es nie. Dieses Jahr wurde aber ein Konsens erzielt.

In der melanesischen und polynesischen Kultur werden Entscheide mittels eines Konsenses getroffen. Wenn das nicht möglich ist, wird das umstrittene Thema fallengelassen. Und bisher galt auch eine zweite Regel. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes galt als tabu. Im Südpazifik wurde bisher auf alle politischen Probleme langsam und mit grosser Zurückhaltung reagiert. Am vergangenen Wochenende aber hat das Pacific Islands Forum nach 30-jähriger Tätigkeit eine neue Marschrichtung eingeschlagen. Angesichts der zunehmenden politischen Unruhen in der Region einigten sich die 16 Regierungschefs darauf, dass die Politik der Nichteinmischung ausgespielt habe.

Ein Meilenstein

Der von Australien und Neuseeland eingebrachte Vorschlag, das Forum möge einem Massnahmenpaket zustimmen, das es der wichtigsten politischen Organisation in der pazifischen Region erlauben werde, jene Länder zu kritisieren, die vom Weg der Demokratie abkommen, wurde angenommen. Zwar nicht mit der vollen Unterstützung aller Nationen, doch im Konsens. Fidschis Premierminister, Laisenia Qarase, hatte sich besonders stark gewehrt. Einzig die Forderung Australiens und Neuseelands, direkte Sanktionen zu erlauben, wurde zurückgewiesen. Der Gastgeber der diesjährigen Tagung auf Kiribati, Präsident Teburoro Tito, sprach von einem Meilenstein in der Geschichte des Forums. Der Südpazifik sei schliesslich wie ein Dorf, und ein Dorf könne auch nur funktionieren, wenn gewisse Regeln eingehalten würden, meinte Tito. Viele Tätigkeiten der Inselstaaten des Südpazifiks werden schon seit Jahren im Rahmen des Forums koordiniert. Dazu gehören die Fischerei, der Umweltschutz und das Hochschulwesen. Nun möchten sich die Länder auch auf politischer Ebenewie ein «Mini-Commonwealth» verstanden wissen. Und so, wie das Commonwealth seine Harare-Deklaration hat, welche Kritik an einem Mitgliedland und Sanktionen erlaubt, hat das Forum fortan die «Biketawa-Erklärung», so benannt nach der Halbinsel, auf der sich die Regierungschefs unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen haben.

Aussergewöhnlich war auch, dass sich die Staatschefs gemeinsam auf eine Erklärung an die Adresse Indonesiens einigen konnten. Sie gaben ihrer Besorgnis über das Blutvergiessen in Westpapua Ausdruck und forderten beide Seiten auf, eine friedliche Lösung zu finden. Die Anregung dazu war von den Kleinstaaten Nauru und Vanuatu ausgegangen, wo Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung in Westpapua seit Jahren Unterschlupf finden. Australien, Neuseeland und Papua-Neuguinea hatten sich zuerst geweigert, über das Thema zu diskutieren. Alle unterzeichneten aber die Erklärung, welche von PräsidentTito als «beispiellos» bezeichnet wurde. Der australische Premierminister John Howard meinte am Samstagabend, die Erklärung enthalte nur Selbstverständlichkeiten. In Westpapua müsse unbedingt Frieden einkehren. Die Souveränität Indonesiens werde nicht in Frage gestellt. Ein Mitglied der westpapuanischen Delegation erklärte, seine Bewegung sei hocherfreut, dass Australien und Neuseeland diese Erklärung mit unterzeichnet haben. Westpapua habe nie mit dieser Unterstützung gerechnet.

Im Schlusscommuniqué drückte das Forum seine «ernsthafte» Besorgnis über die regionale Sicherheit aus. Diese habe sich seit der letztjährigen Tagung in Palau bedenklich verschlechtert. Laut Präsident Tito hat der Pazifik das Prädikat Paradies endgültig verloren. Die Sicherheit wird unter anderem auch vom zunehmenden Drogenhandel gefährdet, wie am Sonntag der Fund von300 Kilogramm Heroin in Fidschi zeigte. Premierminister Howard gab zu verstehen, dass seine Regierung weitere 350 Millionen australische Dollar zur Verfügung stellen werde, um die Flotte von insgesamt 22 Patrouillenbooten, die Australien in den vergangenen 13 Jahren 12 Forumsländern geschenkt hat, zu erneuern. Die erstenSchiffe hätten bereits 2002 ausser Dienst genommen werden müssen, doch soll ihre Lebensdauer nun um weitere 15 Jahre verlängert werden. Die Schiffe werden vor allem für Rettungszwecke, für Zollformalitäten und zum Schutz der Fischerei gebraucht. Kiribati allein muss eine Fischereizone schützen, die 3,5 Millionen Quadratkilometer umfasst. Die einzelnen Nationen bestimmen selbst über den Einsatz der Schiffe. Australien ist für die Ausbildung des Personals sowie für den Unterhalt verantwortlich. Das Projekt hat bisher rund 250 Millionen Dollar gekostet. Die Regierungschefs haben auch ein Abkommen zur besseren Kontrolle des Fischfangs im Südpazifik unterzeichnet.

Wachsende Bedeutung des Forums

Der Abschluss der Tagung im sonnigen Kleinststaat Kiribati wurde lediglich von der Sorge um die Wahl des nächsten Tagungsortes überschattet. Offiziell wäre Fidschi an der Reihe. Die neuseeländische Regierungschefin, Helen Clark, gab aber sehr deutlich zu verstehen, dass sie keinen Fuss auf Fidschi setzen werde, solange dort keine rechtmässig demokratisch gewählte Regierung herrsche. John Howard konnte sich nicht zu einer eindeutigen Haltung durchringen. Der kleinste Inselstaat im Pazifik, Nieu, hat sich als Gastland angeboten. Der Tagung wird umso mehr Bedeutung zukommen, als die Generalsekretäre der Uno und des Commonwealth eingeladen worden sind. John Howard hatte sich von der diesjährigen Forumstagung nicht allzu viel versprochen. Australiens scharfe Kritik an den Ereignissen auf den Salomoninseln und in Fidschi war bei vielen Forumländern auf Unverständnis gestossen, und Australiens Dominanz in der Region wird oft kritisiert. Howard führte jedoch am Schluss der Tagung aus, die Bedeutung des Forums habe «gewaltig» zugenommen und das Pacific Islands Forum dürfte in Zukunft von der Welt wesentlich ernster genommen werden als bisher.

Aus: Neue Zürcher Zeitung, online 02.11.2000

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