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Sprungbrett aus der Armut

Wie man im bildungsarmen Peru Begeisterung für Bildung wecken kann

Von Knut Henkel *

Peru gehört zu den Schlusslichtern im lateinamerikanischen PISA-Ranking. Schlecht bezahlte Lehrer, unzureichende Förderung und kostspielige Aufnahmeprozeduren sind dafür verantwortlich. Förderprojekte wollen Abhilfe schaffen.

»Wir sitzen hier ziemlich genau auf der Grenze zwischen Arm, Mittel und Reich. Alles auf der rechten Seite von der Eingangstür unseres Bildungszentrums ist ein Armenviertel; auf der linken Seite gibt es hingegen eher den unteren Mittelstand und weiter oben Richtung Zentrum leben dann die Besserverdienenden«, erklärt Oscar Cerne. Margen Derecha heißt das Gebiet, wo die Armenviertel sich zwischen den Hügeln erstrecken, und am Rande der Margen Derecha steht das schmucke, mehrstöckige Gebäude von Puririsun. Die Bildungseinrichtung hat der 45-jährige Psychologe gemeinsam mit seinem Team vor zwölf Jahren gegründet.

»Kinder und Jugendliche in dieser Region haben kein Chance, wenn nicht irgend jemand ihre Begeisterung für Bildung weckt«, erklärt Cerne, der früher mit Straßenkindern gearbeitet hat und heute Direktor der Bildungseinrichtung ist. Er kennt die Bedingungen, unter denen die Kinder und Jugendliche in den angrenzenden Stadtvierteln wie Manco Capac aufwachsen. Eng geht es da zu. Oft wohnen mehrere Familien in kleinen verschachtelten Hinterhöfen und mehr als ein Zimmer steht pro Familie selten zur Verfügung.

»Unter diesen Bedingungen ist das Lernen und die Erledigung von Hausaufgaben ziemlich schwer«, sagt Cerne und führt das Beispiel der elfjährigen Ada an. Das Mädchen wohnt nur ein paar hundert Meter oberhalb von Cernes Büro. Seit fünf Jahren kommt sie zum Lernen und für die Schulhausaufgaben in die große, freundlich gestaltete Bibliothek von Puririsun. Da gibt es Nachschlagewerke, Hilfe von ausgebildeten Lehrern, Sozialarbeitern, Psychologen und viel zu lesen. Von 16 bis 20 Uhr hat die Bibliothek auf und Ada ist von Montag bis Mittwoch da, denn donnerstags und freitags hilft sie ihrem Vater bei der Arbeit. Der 37-jährige Justo Huamani Toma Quispe ist eigentlich Bergmann. Er arbeitet jedoch nur die Hälfte des Jahres in einer Mine nahe der Stadt Puno. Die andere Hälfte des Jahres schlägt er sich mit Heimarbeit durch. Kleine und größere Ledertaschen, die als Federmappen, Kulturbeutel oder Umhängetasche angeboten werden, produziert er gemeinsam mit seiner Frau und verkauft sie an die Händler im Zentrum Cuscos.

Auf die Idee mit der Handarbeit hat Puririsun gleich mehrere Väter wie Justo Huamani Toma Quispe gebracht und sich auch gleich um deren Ausbildung gekümmert. »Den Eltern Perspektiven aufzuzeigen, hilft auch den Kindern«, erklärt Cerne und nimmt eine Ledertasche, die Vater Toma Quispe gerade fertiggestellt hat und bei der Tochter Ada mitgeholfen hat, in die Hand. Cerne und seine Kollegen gucken regelmäßig bei den Familien vorbei, deren Kinder sie betreuen. »Wir wirken auf die Eltern ein, animieren sie ihre Kinder zu fördern und gerade wenn die noch klein sind, reagieren die Eltern sehr sensibel«, so Cerne. So arbeiten viele Eltern im Kindergarten mit, kümmern sich um die Reinigung der Räume oder machen Küchendienst. So zahlen sie etwas zurück, denn bei einem Durchschnittseinkommen von drei bis vier US-Dollar pro Tag, können viele Familien es sich nicht leisten, etwas für die Betreuung und Versorgung ihrer Kinder bei Puririsun zu zahlen.

Auch bei Justo Huamani Toma Quispe ist das so. Die Familie mit drei Kindern kommt gerade so über die Runden und Tochter Ada und deren ältere Schwester Maribel müssen mitarbeiten. Vollkommen normal in den Viertel der Margen Derecha, wo Gewalt und Perspektivlosigkeit das Leben prägen. Diesen Kreislauf wollen Oscar Cherne und sein Team durchbrechen. »Bildung ist das Sprungbrett aus der Armut und deshalb fördern wir die Kinder und Jugendlichen und sind auch mit den Schulen der Margen Derecha in Kontakt«. Die haben jedoch einen denkbar schlechten Ruf. Über unmotivierte, autoritäre Lehrer klagt Walter Blanco, selber Pädagoge, aber seit der Gründung von Puririsun Bestandteil des Bildungsprojekts. »In Peru sind die Schulen in den Armenvierteln und auf dem Land oft die Schlechteren. Es wird weniger in diese Schulen investiert, die Lehrer machen oft nur Dienst nach Vorschrift und es fällt viel Unterricht aus«, kritisiert der Anfangfünfzigjährige. Das Gegenteil müsste eigentlich der Fall sein, meinen Bildungsexperten wie Salomón Lerner. Der ehemalige Rektor der katholischen Universität von Lima fordert seit langem mehr Engagement in der Bildung und eine gezielte Förderung von Kindern und Jugendlichen.

Die findet bei Puririsun statt, wie das Beispiel von Mayita zeigt. Die büffelt im Computerraum von Puririsun mit der Lehrerin María Beatrix für die Aufnahmeprüfungen für die Preuniversitario, die weiterführende Schule. Im Nachbarraum berät sich derweil Walter Blanco mit Herly und Alex Romero. Alex, der ältere der beiden Brüder, der gerade ein Ingenieursstudium an der Universität aufgenommen hat, ist mitgekommen, weil sein jüngerer Bruder Ärger an der Schule hat und der Rausschmiss droht. »Seinem Klassenlehrer gefällt es nicht wie Herly rumläuft«, erklärt Pädagoge Blanco. Rap-Klamotten und Baseballkappe zu den kurz geschorenen Haaren sind für den Lehrer nicht akzeptabel und so wollen die Brüder Walter Blanco als Vermittler einsetzen.

Nicht zum ersten Mal, denn bei den Lehrern in Peru kommt das Fördern erst lange nach dem Fordern, kritisiert Blanco genauso wie Kollegin María Beatrix. Ein Defizit, an dem Projekte wie Puririsun etwas ändern wollen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 04. Januar 2013


Peru hat rund 29 Millionen Einwohner, ist mit 1285 220 Quadratkilometer mehr als dreimal so groß wie Deutschland und hat prozentual deutlich mehr Einwohner in Ausbildung. Derzeit studieren rund 810 000 Studenten an den Hochschulen des Landes und rund vier bis fünf Millionen Pennäler durchlaufen Grund- und weiterführende Schulen. Die sind in aller Regel staatlich, doch die Konkurrenz der privaten hat in den letzten Jahren merklich zugenommen. Der Grund ist einfach - die fehlende Qualität, monieren Bildungsexperten wie Salomón Lerner, ehemaliger Dekan der katholischen Universität von Lima. Die ist vor allem auf dem Land und in den Armutsvierteln der Städte besonders mies, so dass der soziale Aufstieg besonders schwierig vonstatten geht. Das beginnt schon mit der Einschreibegebühr und den Ausgaben für Schuluniformen, wodurch viele Familien überfordert sind. Rund dreißig Prozent der Bevölkerung gilt als arm und die Quote steigt auf dem Land schnell auf sechzig Prozent. K.H.




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