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Fujimoris letzter Coup

Im Prozess gegen den peruanischen Ex-Präsidenten Alberto Fujimori wurde bewiesen, dass er für zahlreiche Ermordungen von vermeintlichen RegimegegnerInnen persönlich die Verantwortung trägt.

Von Nora Ramírez Castillo *



Am 18. Juli 2008 jährte sich zum 16. Mal das Massaker an neun Studenten und einem Professor der Universität "La Cantuta" in Lima. Mitglieder der Todesschwadron "Grupo Colina" drangen in die Schlafsäle der Universität ein und entführten die Studenten, denen eine Verbindung zur terroristischen Untergrundorganisation "Leuchtender Pfad" unterstellt wurde, ebenso wie deren Professor Hugo Muñoz Sánchez. Von den zehn Personen wurde keine lebend wiedergesehen. Seit 16 Jahren führen die Angehörigen der Opfer einen - wie sie selbst sagen - "unermüdlichen Kampf für die Gerechtigkeit". Und es scheint, als kämen sie dieser Gerechtigkeit nun einen entscheidenden Schritt näher: Der japanischstämmige Agraringenieur Alberto Fujimori, der das Präsidentenamt von 1990 bis 2000 innehatte, muss sich seit Dezember letzten Jahres vor Gericht für den Fall La Cantuta und weitere Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen während seiner Amtszeit verantworten.

Nachdem Fujimori, offenbar durch Wahlbetrug, 2000 ein drittes Mal im Amt bestätigt worden war, wurde im Herbst desselben Jahres der größte Korruptionsskandal der peruanischen Geschichte publik: Den Medien wurde ein Video zugespielt, das Fujimoris Berater und De-facto-Chef des peruanischen Geheimdienstes SIN, Vladimiro Montesinos, bei der Bestechung eines oppositionellen Politikers zeigte. Dieses erste Video stellte aber nur die Spitze des Eisbergs dar: Montesinos hatte Tausende solcher Videos angefertigt, die ihn bei der Bestechung von einflussreichen Persönlichkeiten - Politikern, Geschäftsleuten, Journalisten - zeigen.

Fujimori floh in der Folge nach Japan und gab per Fax seinen Rücktritt bekannt. Ein jahrelanger Kampf um die Auslieferung des Ex-Präsidenten an die peruanische Justiz folgte. 2005 reiste Fujimori nach Chile und wurde dort unter Hausarrest gestellt. Im September 2007 entschied der Oberste Gerichtshof in Santiago, den Ex-Präsidenten an Peru auszuliefern.

In einem ersten Prozess wurde das ehemalige Staatsoberhaupt bereits zu sechs Jahren Haft wegen Einbruchs und Diebstahls von Beweismitteln verurteilt. Seit Dezember 2007 muss sich Alberto Fujimori in einem zweiten Prozess wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen, darunter die Massaker von Barrios Altos und La Cantuta, vor Gericht verantworten.

Die Existenz der Todesschwadron Grupo Colina und ihre Verantwortlichkeit für die Ermordung der Studenten und des Professors der Universität La Cantuta sowie von weiteren 15 Personen, die während eines Grillfestes im Viertel Barrios Altos hingerichtet wurden, gelten als belegt. Der Fall La Cantuta wurde der Öffentlichkeit bereits 1993 bekannt, und in weiterer Folge kam es zu einer Verurteilung von Mitgliedern der Todesschwadron. Sie alle wurden aber durch ein 1995 von Fujimori erlassenes Amnestiegesetz freigesprochen, weitere Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen im "Kampf gegen den Terrorismus" zwischen 1980 und 1995 wurden untersagt.

Trotz der offenkundigen Verantwortung des "Chino", wie Fujimori in Peru genannt wird, für schwerste Menschenrechtsverletzungen verfügt er immer noch über eine breite Anhängerschaft in der Bevölkerung. Für seine Anhänger ist Fujimori der Held, der das Land vom "Terrorismus" befreite. Gerade deshalb stellt der Prozess für die peruanische Bevölkerung eine wichtige Möglichkeit dar, ein Kapitel ihrer jüngeren Geschichte zu reflektieren und neu zu bewerten.

Trotz der wachsenden Beweislast gegen den Ex-Präsidenten erfreut sich dessen Partei "Alianza por el Futuro" (Allianz für die Zukunft) unter der Führung seiner Tochter Keiko Fujimori wieder wachsender Beliebtheit. Keiko wurde bei den Wahlen 2006 mit der Rekordzahl von über 600.000 Direktwahlstimmen in den Kongress gewählt. Es scheint eine beschlossene Sache zu sein, dass sie bei den nächsten Wahlen kandidieren wird - als Präsidentin könnte sie dann auch ihren Vater begnadigen.

Einen Höhepunkt im bisherigen Verlauf stellte die Vorführung von drei Videobändern aus dem Besitz des Journalisten Umberto Jara dar. Die Aufnahmen zeigen Interviews mit Santiago Martin Rivas, dem ehemaligen Anführer des Grupo Colina, welcher dem Journalisten die Strategie im Kampf gegen die Subversion erklärt. Dabei verteidigt er die Notwendigkeit eines solchen Krieges niedriger Intensität und erklärt die Einbettung der Terrorkommandos in den peruanischen Machtapparat, an dessen Spitze Fujimori und Montesinos agierten. Rivas und auch andere hohe Militärs, die als Zeugen der Verteidigung geladen wurden, bemühten sich, Fujimoris Unschuld darzulegen. Diese offensichtlichen Manöver zeigen die immer noch bestehende Loyalität zu Fujimori, vermindern aber die Glaubwürdigkeit der Aussagen.

Mit großer Spannung wurde die Zeugenaussage des Ex-Beraters und Weggefährten Fujimoris, Vladimiro Montesinos, erwartet. Montesinos, der derzeit eine Haftstrafe im Hochsicherheitsgefängnis in Callao/Lima verbüßt, in welchem auch der ehemalige Führer des "Leuchtenden Pfads", Abimael Guzmán, inhaftiert ist, schützte in seinen Aussagen seinen einstigen Herrn. Weder Fujimori noch er selbst hätten etwas zu tun gehabt mit den Massakern von La Cantuta und Barrios Altos noch mit anderen Menschenrechtsverletzungen. Nach einem zweistündigen Auftritt vor Gericht weigerte sich die ehemalige rechte Hand Fujimoris, Fragen der Staatsanwaltschaft und der Opferanwälte zu beantworten. Das Verhalten Montesinos wurde vom Gericht als für den Prozess schädlich befunden und seine Aussage für nichtig erklärt. Staatsanwalt José Peláez, der 30 Jahre Haft für den Angeklagten fordert, kritisierte, dass Montesinos nur in Erscheinung trat, um sich über das Gericht und den Prozess lustig zu machen. Fujimori und Montesinos scheinen vereinbart zu haben, sich gegenseitig nicht zu belasten.

Trotz der Rettungsversuche seitens seiner ehemaligen Verbündeten zeichnet sich im Laufe des Prozesses deutlich ein Bild ab, das auf eine strafrechtliche Verantwortung Fujimoris hinweist. Die Anklage konnte durch stringente und umfassende Zeugenaussagen wie jene des Generals Rodolfo Robles - der bereits 1993 aufzeigte, dass es ein Todeskommando namens Grupo Colina innerhalb der Hierarchie der Streitkräfte gab - , des Journalisten Umberto Jara und des ehemaligen Colina-Mitglieds Julio Chuqui die Struktur eines autoritären Machtapparats nachzeichnen, an dessen Spitze Alberto Fujimori stand. Eine Verurteilung Fujimoris wegen seiner Verantwortlichkeit für die schweren Menschenrechtsverletzungen, die während seiner Amtszeit begangen wurden, würde für die Angehörigen der Opfer einen wichtigen Schritt in Richtung Gerechtigkeit darstellen und wäre auch über die Grenzen Perus hinaus ein wichtiges Signal im Kampf gegen die Straflosigkeit.

Das Gerichtsverfahren gegen Fujimori wird dadurch nicht nur innerhalb Perus, sondern auch über die Grenzen hinaus zu einem Präzedenzfall. Die peruanische Gerichtsbarkeit scheint sich dieser großen Verantwortung bewusst zu sein. Sowohl nationale als auch internationale BeobachterInnen bescheinigen dem Prozess gegen Fujimori Unparteilichkeit, Transparenz und einen ordnungsgemäßen Verlauf. Damit kann die oft gehörte Kritik entkräftigt werden, dass ein fairer Prozess wegen Menschrechtsverletzungen im eigenen Land nicht möglich sei.

Mit der Verkündung des Urteils wird frühestens im Oktober gerechnet. Weitere Prozesse gegen Fujimori wegen Korruption, Veruntreuung und Bestechung sind noch ausständig. Diese Delikte sollen in einem weiteren Megaprozess zusammengefasst werden.

Nora Ramirez Castillo ist Diplom-Psychologin und derzeit mit der Verfassung ihrer Dissertation zum Thema der peruanischen Kommission für Wahrheit und Versöhnung beschäftigt.


* Dieser Beitrag erschien in: Südwind-Magazin, Heft 9 (September) 2008

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