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"Ich war nicht der Kandidat der großen Medien"

Perus neuer Präsident verspricht Korrekturen an der bisherigen Wirtschaftspolitik. Ein Gespräch mit Ollanta Humala *


Ollanta Humala (47) war Oberstleutnant und im Jahr 2000 Anführer eines Putschversuches gegen den Diktator Alberto Fujimori. Nach dessen Sturz wurde er peruanischer Militärattaché in Paris. Am 6. Juni 2011 wählten ihn die Peruaner zum neuen Präsidenten.

Nach Ihrer Wahl zum Staatspräsidenten brachen die Aktienkurse an der Börse in Lima um 12,5 Prozent ein. Hat Ihr Sieg die Börse verschreckt?

Meines Erachtens ist es nur ein kurzfristiger Einbruch. Unsere Volkswirtschaft ist stabil und weist seit acht Jahren ein nachhaltiges Wachstum auf, das – mit Ausnahme des globalen Krisenjahres 2009 – zwischen vier und knapp zehn Prozent liegt. Die Ratingagenturen, die Weltbank und Investmentbanken wie JP Morgan haben erklärt, daß sie weiterhin in Peru investieren werden beziehungsweise es empfehlen.

Unternehmerkreise und die Rechte fordern, daß Sie so schnell wie möglich Ihren Kabinettschef sowie den Wirtschafts- und Finanzminister ernennen, um durch diese Nominierungen die Investoren zu beruhigen. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Wir haben die Wahl gewonnen, doch die Auszählung der Stimmen durch die Wahlbehörde ist offiziell noch nicht abgeschlossen. Wir werden die Regierung vorstellen, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Wird Ihre Regierung das neoliberale Wirtschaftsmodell ändern?

Die Armut in Peru resultiert aus einer ungerechten Verteilung des Reichtums, was mit der bisherigen Wirtschaftspolitik zusammenhängt. Die müssen wir korrigieren. Wir sprechen nicht von einer Änderung des kapitalistischen Modells – das heißt, einer offenen Marktwirtschaft. Wir verteidigen sie, sagen aber, daß die aktuelle Wirtschaftspolitik eine Reihe von Fehlern aufweist, die verhindern, daß das nachhaltige Wachstum der vergangenen acht Jahre zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Genau da müssen wir ansetzen.

Welche Korrekturen wird Ihre Regierung vornehmen?

Grundlegend ist die Sozialpolitik. Wir werden in den 600 ärmsten Bezirken des Landes das Programm »Cuna Más« starten, das kostenlose Hortplätze für Kinder bis drei Jahre inklusive Ernährung vorsieht. Außerdem werden wir das Programm »Pensión 65« schrittweise ausweiten, mit dem die über 65jährigen, die bisher keine Altersbezüge hatten, eine monatliche Rente von umgerechnet 90 Dollar erhalten. Über öffentlich-private Partnerschaften werden wir in jeder Provinz ein Krankenhaus errichten. Was die Steuerpolitik anbelangt, werden wir eine Abgabe auf die Extraprofite der Bergbaugesellschaften erheben.

Wird es eine linke Regierung sein?

Meine Regierung wird eine Regierung für das Volk sein.

Wird es neue Verhandlungen über den Vertrag mit dem Camisea-Konsortium geben, das das peruanische Erdgas fördert und exportiert?

Wir werden versuchen, das so zu tun, daß die ursprünglichen Inhalte des Vertrages eingehalten werden. Die besagen klar und deutlich, daß das Erdgas von Camisea in erster Linie für den Binnenmarkt und nicht für den Export bestimmt ist.

Im Wahlkampf wurden Sie von den Medien hart attackiert. Wird das Auswirkungen auf Ihr Verhältnis zu Presse, Funk und Fernsehen haben?

Man muß die Meinungs- und Redefreiheit als ein unveräußerliches Prinzip fördern und verteidigen. In diesem Wahlkampf war klar, daß ich nicht der Kandidat der großen Medien war. Es ist allerdings wichtig zu begreifen, daß es – wie das peruanische Volk bewiesen hat – nicht die Medien sind, die den Präsidenten wählen.

Welches Verhältnis werden Sie zum gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur haben?

Wir betrachten den Mercosur mit Interesse, obwohl wir wissen, daß die Freihandelsverträge, die Peru mit den USA, China, Chile und Kolumbien unterzeichnet hat, eine vollständige Beteiligung Perus am Mercosur nicht erleichtern. Unser Interesse ist eine Konsolidierung der aus Bolivien, Kolumbien, Ekuador und Peru bestehenden Gemeinschaft der Anden-Nationen. Außerdem streben wir die Mitgliedschaft in der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) an – das hat für uns Vorrang.

[Übersetzung: Andreas Schuchardt]

Interview: Carlos Noriega

Dieses Interview erschien zuerst in der italienischen Tageszeitung il manifesto vom 11. Juni 2011.

* Aus: junge Welt, 22. Juni 2011



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