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Schritt in die Vergangenheit

Peru: Widerspruch gegen Urteil des Obersten Gerichtes über Diktaturverbrechen

Von Anne Grit Bernhardt *

Am vergangenen Freitag entschied der Oberste Gerichtshof Perus, daß die von der Grupo Colina in den 1990er Jahren begangenen Morde keine Menschenrechtsverbrechen gewesen seien. Konkret ging es in der Verhandlung um die Morde in Barrios Altos und Santas sowie um das Verschwinden des Journalisten Pedro Yauri. Am 3. November 1991 war im Stadtteil Barrios Altos in Lima eine Gruppe Bewaffneter – die später als Mitglieder der Grupo Colina, einer Spezialeinheit des Militärs, identifiziert wurden – in ein Mietshaus eingedrungen und hatte 15 Teilnehmer einer Grillparty getötet, darunter auch einen achtjährigen Jungen. Am 2. Mai 1992 tötete dieselbe Todesschwadron neun Bauern in Santas (Departement Ancash). Nur einen Monat darauf verschwand der Journalist Pedro Yauri, der sich für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen durch den Staat einsetzte. Am Morgen des 24. Juni 1992 drangen sechs vermummte Soldaten in das Haus von Pedro Yauri ein und nahmen ihn mit. Er wurde seitdem nicht mehr gesehen.

Diese und andere Verbrechen, die vom damaligen Diktator Alberto Fujimori unterstützt wurden, sind bereits im Jahr 2005 vom peruanischen Verfassungsgericht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft worden. Auch der Interamerikanische Gerichtshof fällte dasselbe Urteil. Darin heißt es, daß die von der Grupo Colina begangenen Morde Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellten, da sie in einem Kontext von systematischer Gewalt – wie illegale Verhaftungen, Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen – gegen Bevölkerungsgruppen verübt wurden, die als subversiv galten. Diese Verbrechen fanden während des internen Konfliktes in Peru statt, der von 1980 bis zum Jahr 2000 andauerte, als maoistische Guerillas wie der Leuchtende Pfad und der peruanische Staat sich ohne Rücksicht auf die Bevölkerung bekämpften. Dieser Konflikt kostete nach offiziellen Zählungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission von Peru mindestens 69280 Menschen das Leben.

Später wurden Täter zu langen Haftstrafen verurteilt, darunter auch mehrere Mitglieder der Todesschwadron Grupo Colina. Diese Haftstrafen wurden nun durch das jüngste Urteil gemindert. Der Oberste Gerichtshof klassifizierte die Morde von Barrios Altos und Santas sowie das Verschwinden von Pedro Yauri als normale Verbrechen, und nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es sei nicht bewiesen, daß sie einer verfassungswidrigen, paramilitärischen Gruppe angehörten. Ebensowenig wisse man, ob die Getöteten nicht doch Terroristen gewesen seien. Die Mitglieder von Grupo Colina, die im September 2010 zu 25, 20 und 15 Jahren Haft verurteilt worden waren, sollen nun schneller aus dem Gefängnis kommen. Die Strafen wurden auf 20, 17 und 13 Jahre reduziert. Die Haftbefehle gegen weitere vermutliche Mitglieder der Gruppe wurden aufgehoben und die bereits verurteilten würden in den nächsten Monaten auf freien Fuß gesetzt, da sie wegen eines verlängerten Prozesses Anspruch auf Haftverkürzung hätten.

Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der Opfer kritisierten das Gerichtsurteil heftig. Es sei ein Schritt zurück in die Vergangenheit. »Das Urteil von Villa Stein zeigt, daß es für uns Arme keine Gerechtigkeit gibt«, so Rosa Rojas, Mutter des getöteten Achtjährigen. Auch ihr Ehemann wurde bei dem Massaker erschossen. Mitglieder der Regierung von Ollanta Humala kritisierten das Urteil. Der Justizminister Perus hat angekündigt, am heutigen Dienstag Widerspruch dagegen einzulegen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Juli 2012


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