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Massaker an demonstrierenden Ureinwohnern in Peru

Polizei eröffnete Feuer auf Demonstranten. Ausnahmezustand seit gut einem Monat. Deutsche Bundesregierung unterstützt Präsident García

Von Harald Neuber

Lima. Bei einem Angriff der Polizei auf protestierende Ureinwohner in Peru sind am Freitag möglicherweise 46 Personen getötet worden. Nach Angaben von Nachrichtenagenturen griffen Polizeikräfte die Mitglieder indigener Gruppen aus der Luft und am Boden mit Tränengasgranaten und Schusswaffen an. Dabei wurden bis zu 35 Protestteilnehmer getötet.

Nach Angaben der sozialdemokratischen Regierung unter Präsident Alan García verloren bei den folgenden Auseinandersetzungen auch elf Polizisten ihr Leben. Allerdings gibt es unterschiedliche Zahlen über die Todesopfer auf beiden Seiten: Die Region wurde von Polizei und Armee weiträumig abgesperrt, Pressevertreter haben keinen Zutritt.

Der blutige Zwischenfall ereignete sich gut einen Monat, nachdem die Regierung García in mehreren Regionen im Nordosten des Andenstaates den Ausnahmezustand erklärt und die Grund- und Bürgerrechte suspendiert hat. Sie reagierte damit auf die Gegenwehr indigener Gruppen in ihren angestammten Gebieten gegen die zunehmende Ausbeutung von Rohstoffen durch transnationale Konzerne.

Die neoliberal ausgerichtete Regierung in Lima hatte unlängst eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, um internationalen Energiekonzernen Anreize zu schaffen. Diese Gesetze sind auch Voraussetzung für ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Staat und den USA. Die Demonstranten fordern die bedingungslose Rücknahme der Gesetze. Sie verweisen auf ein Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), das von Peru Mitte der 1990er Jahre ratifiziert wurde und das den indigenen Gruppen ein Mitbestimmungsrecht über die Nutzung des Bodens und der natürlichen Ressourcen einräumt.

SPIEGEL-online berichtete am 6. Juni (Auszug):

Seit mehreren Tagen hatten 5000 Indios eine Straße in dem Gebiet Curva del Diablo blockiert. Die Polizei wollte die Sperre auflösen. Nach Angaben der Ureinwohner warfen die Beamten aus Hubschraubern Tränengas ab und schossen in die Menge. Die Polizei erklärte dagegen, die Indios hätten Polizisten mit Schusswaffen und Speeren angegriffen. Unabhängige Informationen über die Zusammenstöße gab es nicht - Journalisten haben kaum Zugang in die entlegene Region.

Einer der Anführer der Proteste, Alberto Pizango, wirft der Regierung "Völkermord" an den Indianern vor. Die Polizeigewalt sei "Teil eines Plans zur Übergabe der natürlichen Rohstoffe an ausländische Unternehmen, der die Privatisierung unseres Bodens einschließt."

Regierungschef Yehude Simon erklärte, dass etwa 1000 Ureinwohner 38 Polizisten in ihre Gewalt gebracht hätten. Die Indianer drohten damit, die Polizisten zu ermorden und die Ölförderanlage von Bagua anzuzünden. Der Indianeranführer Zeokan Campos sagte dem Radiosender RPP, die Geiselnahme sei eine Reaktion auf den vorherigen Polizeieinsatz.

www.spiegel.de



Nach den blutigen Zusammenstößen kündigten die Protestanführer eine verstärkte Gegenwehr gegen die bewaffneten Kräfte des Staates an. Man habe seit Beginn der Proteste in den vergangenen 45 Tagen friedlich demonstriert, sagte der Vorsitzende des Indigenen-Dachverbandes AIDESEP, Alberto Pizango gegenüber dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur. "Eine solche Reaktion haben wir nicht erwartet, vor allem keine Luftangriffe", so Pizango weiter. Die Regierung habe Kriegswaffen gegen die Ureinwohner eingesetzt, sagte der Protestanführer: "Deswegen klagen wir die Ereignisse von Freitag als Völkermord an".

Die deutsche Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die deutschen Liberalen unterstützen die Staatsführung in Peru. Zwei Tage vor der Ausrufung des Ausnahmezustandes im Nordosten Perus hatte der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar bei einer Debatte im Bundestag erklärt, Garcia versuche, die Lage in Peru "pragmatisch zu verbessern".

* Aus: Portal Amerika21.de, 6. Juni 2009; www.amerika21.de


Protest gegen Dekret 1090

Perus Präsident Alan García gerät wegen seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik weiter unter Druck. Treffen indigener Völker in Puno

Von Benjamin Beutler *


Peru steht eine gewaltige Protest- und Streikwelle bevor. Anlaß ist das »Präsidialdekret Nr. 1090«, eine Modifikation des Gesetzes für Wald und wilde Fauna, erlassen von Präsident Alan García. Die in der »Interethnischen Vereinigung für die Entwicklung des Regenwaldes« (AIDESEP) zusammengeschlossenen Indigenenverbände befürchten Ausverkauf und Raubbau des tropischen Amazonasgebietes, das knapp 65 Prozent Perus bedeckt und große Vorräte an Erdöl und Gas birgt. Der von der Regierungspartei »Revolutionäre Amerikanische Volksallianz« APRA dominierte Nationalkongreß hatte eine Abstimmung zur Kassierung des Dekrets bis zuletzt immer wieder torpediert. Die oppositionelle »Peruanische Nationalpartei« (PNP) des bei den Präsidentschaftswahlen 2006 nur knapp unterlegenen Kandidaten Ollanta Humala sieht jedoch darin einen Verfassungsverstoß und strebt die Annullierung der Norm an.

Als Anfang dieser Woche endgültig feststand, daß der Kongreß nicht weiter über 1090 beraten wird, kündigte AIDESEP-Vorsitzender Alberto Pizango ab 11. Juni eine »landesweite Mobilisierung« an. »500 Jahre haben sie uns Tod und Verderben gebracht, immer unter dem Vorwand der Entwicklung. Heute sehen wir dieselbe Situation«, begründet Pizango die erneute Kampfansage. Erst im Mai dieses Jahres hatten heftige Proteste peruanischer Amazonas-Bewohner gegen den illegalen Verkauf von Land und die Vergabe von Förderlizenzen an ausländische Erdölfirmen für bürgerkriegsähnliche Bilder gesorgt. Erst nachdem Präsident García Antiguerillaeinheiten des Militärs gegen Demonstranten eingesetzt hatte, entschied sich die AIDESEP-Führung für eine Rückkehr an den Verhandlungs­tisch. Dort setzte die APRA-Regierung auf Verschleppungstaktik und hoffte auf Abnutzung der Protestbewegung, zumal die Verhandlungsergebnisse des Runden Tisches sämtlicher Parteien für die Gesetzgebung im Kongreß nicht bindend sind.

Dieses politische Kalkül geht jedoch nicht auf. Die Opposition, die bei den Wahlen 2006 ihre größten Erfolge in den wirtschaftlich benachteiligten Berg- und Amazonasregionen feiern konnte, bläst jetzt erneut zum Angriff. Im Beisein übergelaufener Parlamentarier der »Union für Peru« (UPP) und des »Volksblocks« (BP) versicherte der AIDESEP-Vorsitzende einen friedlichen Verlauf der Protestaktionen. »Die indigenen Völker respektieren die Menschenrechte«, so Pizango, den Regierungskreise immer wieder als »Terrorist« zu kriminalisieren suchen.

Der AIDESEP-Führer ist kein Unbekannter. Seine Entschlossenheit in Sachen Widerstand bewies er bereits im August 2008. Damals organisierte er die Proteste von Amazonas-Bewohnern und besetzte zwei Förderanlagen eines Gasfeldes, das von der argentinischen Pluspetrol-Firma ausgebeutet wurde, sowie eine Erdölpipeline. Auch 2008 wurde schwer bewaffnetes Militär entsandt, doch verhinderte der Kongreß eine Eskalation und kassierte die kritisierten zwei Landvergabegesetze.

Die indigenen Völker organisieren sich immer effektiver. So trafen sich an den in der Tradition der Aymara- und Quechuavölker heiligen Ufern des Titicacasee zuletzt 7000 Delegierte verschiedener Indigenen-Verbände. Auf dem zu Wochenbeginn in der peruanischen Kleinstadt Puno zu Ende gegangenen vierten »Treffen der indigenen Völker Abya Yala« bündelten sie ihre Kräfte im »Kampf gegen die anhaltende Kolonisierung Amerikas« und riefen zu Protestaktionen in ganz Lateinamerika auf.

** Aus: junge Welt, 6. Juni 2009


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