Peru: Rückzieher von Präsident Toledo
Erfolgreiche Proteste gegen Privatisierung von Stromversorgungsunternehmen
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre
Die peruanische Regierung hat am Mittwoch in einem wochenlangen Konflikt wegen der
Privatisierung zweier Stromfirmen eingelenkt. Der Ausnahmezustand, den Präsident
Alejandro Toledo am Sonntag über die südliche Provinz Arequipa verhängt hatte, wurde
aufgehoben.
Die Proteste gegen die Privatisierungsversuche der Regierung Toledo haben Wirkung gezeigt. Lokale
Vertreter und eine Regierungskommission verständigten sich darauf, dass der Verkauf der
Energieunternehmen Egasa und Egesur an den belgischen Konzern Tractebel bis zu einem
Gerichtsentscheid ausgesetzt wird. Toledo entschuldigte sich in einem »offenen Brief an das Volk von
Arequipa« dafür, die Gründe für die Privatisierung nicht »ausreichend erklärt« zu haben. Arequipa, mit
830000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Perus, hatte den Aufstand gegen die Regierung begonnen,
nachdem diese die Energiefirmen für 167 Millionen Dollar an Tractebel verkauft hatte – entgegen einem
Wahlversprechen Toledos. Bei den Protesten kam ein Demonstrant um, mindestens 200 wurden
verletzt, einer davon lebensgefährlich.
Fast elf Monate nach seinem Amtsantritt steht Toledo vor seiner bislang härtesten Bewährungsprobe.
Seine Popularität ist auf 21 Prozent gesunken, vor allem wegen des rigorosen Sparkurses, den ihm der
Internationale Währungsfonds (IWF) auferlegt hat. Allein in diesem Jahr sollen durch Privatisierungen
800 Millionen Dollar eingespielt werden. Laut Toledo handelt es sich dabei um »Privatisierungen mit
menschlichem Antlitz«: Die Hälfte der Erlöse aus dem Verkauf an Tractebel sollte in den Ausbau der
Infrastruktur Südperus fließen. »Wir wollen mehr Straßen und Schulen bauen«, erläuterte der Präsident
im Fernsehen, »und eine bessere Versorgung mit Gesundheitsdiensten, Strom und Wohnraum für die
ärmsten Peruaner.«
Doch gerade die Armen nehmen ihm seine Versprechen immer weniger ab. Zunächst befürchten sie
eine Erhöhung der Strompreise. Die Angestellten der privatisierten Betriebe rechnen mit
Massenentlassungen. Und schließlich sind auch jene neun Milliarden Dollar, die Toledos Vorgänger
Alberto Fujimori in den 90er Jahren durch Privatisierungen eingenommen hatte, weitgehend in dunklen
Kanälen versickert. Auch gegen Tractebel wird wegen einer Bestechungsaffäre ermittelt – 1996 sollen
die Belgier Fujimori zehn Millionen Dollar zugesteckt haben.
Von Fujimori habe er einen »unvorstellbaren wirtschaftlichen und finanziellen Trümmerhaufen«
übernommen, sagte Toledo am Mittwoch. Der Riss geht nun mitten durch seine Regierung:
Innenminister Fernando Rospigliosi trat aus Protest gegen das Einlenken zurück. Auch der
Unternehmerverband CONFIEP fordert ein Festhalten am Privatisierungskurs.
In Arequipa hatte sich Bürgermeister Juan Manuel Guillén an die Spitze der Protestbewegung gestellt.
Er trat in den Hungerstreik und klagte gegen die Privatisierung. Solidaritätskundgebungen mit den
Arequipeńos weiteten sich bis in die Amazonasstadt Iquitos aus. In Tacna nahe der Grenze zu Chile
setzte die Polizei Tränengas gegen Demonstranten ein. In den Provinzen Cuzco, Puno und Moquegua
fand am Mittwoch ein Generalstreik statt.
Der Oppositionsabgeordnete Carlos Carrasco sieht in dem Verkauf von Egasa und Egesur einen
Verstoß gegen die Kartellgesetze, da Tractebel danach mehr als die erlaubten 15 Prozent des
Strommarktes kontrollieren würde. Überdies sei das Bieterverfahren mangels Konkurrenten illegal
gewesen. Mitbewerber aus den USA und Norwegen hatten sich wegen der Proteste der letzten Monate
zurückgezogen.
Nach Abschluss der Verhandlungen mit einer Regierungskommission feierte ganz Arequipa. Guillén
nannte das Ergebnis einen »Sieg für das peruanische Volk«. Die Regierung sei gezwungen worden, die
Unabhängigkeit der Gerichte zu respektieren, meinte der Bürgermeister.
Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2002
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