Marcos, Arroyo und retour
20 Jahre nach dem Sturz des philippinischen Diktators Ferdinand E. Marcos erinnert auf den Inseln vieles an seine Schreckensherrschaft
Von Rainer Werning*
Rodrigo R. Duterte liebt markige Worte. Als Bürgermeister der knapp 1,5
Millionen Einwohner zählenden südphilippinischen Stadt Davao hat er
allerdings ein Problem. Die prekäre Sicherheitslage in der City macht
ihm zu schaffen. Am 17. Januar 2006 ging Duterte wieder einmal in die
Offensive. In seiner Eröffnungsrede vor dem 25. Tourismus-Forum der aus
zehn Ländern bestehenden Vereinigung südostasiatischer Nationen (ASEAN)
zog er gegen die seiner Meinung nach Schuldigen kräftig vom Leder:
»Lassen Sie sich von all den negativen Reisewarnungen gegen uns und
unsere Stadt nicht irre machen«, mahnte Duterte die in Davao
versammelten Gäste. »Natürlich steckt im Tourismusgewerbe ein gerüttelt
Maß Politik. Wenn wir uns nur die Länder anschauen, die uns vorwerfen,
wir hätten ›Sicherheitsprobleme‹, so handelt es sich dabei um dieselben
Länder, die andere Staaten überfallen, ungerechte Kriege vom Zaun
brechen und gleichzeitig die globale Tourismusindustrie kontrollieren.
Ignorieren Sie tunlichst solche Reisewarnungen, die von schlecht
informierten Botschaften ausgesprochen werden!«
Der Wahn von »Law and Order«
Rodrigo R. Duterte ist auch ein Mann der forschen Tat. Um seine City
»sauberer und sicherer« zu machen, vertritt der Bürgermeister mit Verve
die Anliegen des lokalen Busineß. Da sich zahlreiche Geschäftsleute
darüber beklagten, daß »herumlungernde Bettler und Straßenkinder« ihr
Geschäft vermiesten und das Stadtbild »verunstalteten«, formierten sich
in Davao Todesschwadronen, die buchstäblich mit solchem »Gesindel«
kurzen Prozeß mach(t)en. Seit 2002 sind zahlreiche Minderjährige von
Mitgliedern dieser Schwadronen erschossen worden oder »verschwanden«.
Ihre genaue Zahl kennt keiner. Außerhalb Davaos werden immer wieder
einmal verscharrte Kinderleichen gefunden. Die Killer operieren stets
nach demselben Muster: Auf schnellen Motorrädern peilen sie ihre »Ziele«
an, erschießen sie aus kurzer Entfernung, um dann maskiert und
unbehelligt davonzubrausen. Gefaßt wurde noch keiner von ihnen.
Quelle: Frankfurter Rundschau, 25. Februar 2006
Stritt Duterte zunächst rundweg ab, daß es überhaupt Todesschwadronen in
seiner Stadt gebe, billigt er heute ungeniert ihr Treiben. Diesen Mann
berief die seit fünf Jahren amtierende Präsidentin Gloria
Macapagal-Arroyo (siehe nächste Seite) kürzlich in den Stab ihrer
Sicherheitsberater und betraute ihn mit der Verbrechensbekämpfung. Ein
Skandal, darin sind sich philippinische Bürgerrechtler mit dem seit 1969
im Lande lebenden irischen Priester Shay Cullen einig. Der rührige Ire
leitet das Kinderrehabilitationszentrum PREDA, eckte mehrfach bei den
Behörden an und wurde auch wegen seines Engagements für die landesweit
zirka 20 000 unter miserablen Bedingungen in Gefängnisse gesperrten
Minderjährigen mit der Ausweisung bedroht.
Davao ist beileibe kein Einzelfall. Die Stadt ist ein Mikrokosmos
landesweiter Gewalt und ein Treibhaus staatsterroristischer Übergriffe
gegen die Zivilbevölkerung. Was vor 20 Jahren mit dem Sturz des
langjährig von den USA protegierten Ferdinand E. Marcos (1966–1986) so
vielversprechend begonnen hatte, ist heute verblaßt. In den politisch
turbulenten Tagen vom 22. bis zum 25. Februar 1986 wurde der Diktator
durch eine People-Power-Revolution, mitunter auch »friedliche
Rosenkranz-Revolution« genannte Volksbewegung gestürzt und mit einem
US-Militärflugzeug ins Exil nach Hawaii ausgeflogen. Nie mehr, so
schallte es auf den Straßen der Metropole Manila und in anderen
Großstädten des Inselstaates, werde man es so weit kommen lassen, daß
eine kleine politische Clique das Land diktatorisch, gar mit Kriegsrecht
regiere und dessen Ressourcen nach Strich und Faden plündere.
Menschenrechte ausgehöhlt
»Wenn Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo nach etlichen die Meinungs-
und Versammlungsfreiheit beschneidenden Erlassen nunmehr auch noch ihr
Antiterrorgesetz im Kongreß durchbringt«, schrieb Girlie T. Padilla,
Generalsekretärin der bereits 1979 gegründeten ökumenischen Bewegung für
Gerechtigkeit und Frieden, in einer Erklärung am 16. Dezember 2005,
»dann sind wir auf dem besten Wege zurück in die dunkle Zeit des
Kriegsrechts.« »Die Ähnlichkeiten (zum Jahr 1972, als Marcos das
Kriegsrecht verhängte; R.W.) sind frappierend«, kritisierte die
engagierte Bürgerrechtlerin, »wirtschaftlich ist die Lage katastrophal,
die politische Krise wird von Woche zu Woche tiefer, soziale Unruhen
wachsen, und die Präsidentin ist einzig damit beschäftigt, unbedingt an
der Macht zu bleiben. Wer heute ein Verbrechen begeht, kann bereits als
Terrorist abgestempelt werden. Wer gegen die Regierung protestiert, kann
ebenfalls unter Terrorverdacht festgenommen und auf unbestimmte Zeit
inhaftiert werden.« »Die Menschenrechtslage unter Präsidentin Arroyo«,
so Padilla, »ist mit Abstand die schlechteste in der Post-Marcos-Ära.
Allein in diesem Jahr (2005; R.W.) wurden 152 Menschen einfach
erschossen – von Einheiten der nationalen Streitkräfte und der
Nationalpolizei. Wie wird sich die Situation entwickeln, wenn erst
einmal das Antiterrorpaket in Kraft ist? Alle diese Morde gehen auf das
Konto des Staatsapparates und geschahen im rechtsfreien Raum; weder
wurden Anklagen erhoben, noch Verdächtige in Gewahrsam genommen.«
Zu demselben Ergebnis kam jüngst eine hochrangige internationale
Untersuchungskommission der Vereinigten Methodistischen Kirche unter
Leitung von Bischof John Hopkins aus Cleveland, Ohio. Die Gruppe hielt
sich zu Beginn dieses Jahres einige Tage in den Philippinen auf und nahm
am 6. Januar in einer Pressekonferenz in Manila öffentlich Stellung zur
Achtung der Menschenrechte im Land. Für die amtierende Präsidentin und
die politischen Eliten ein veritables Desaster: Die Priester geißelten
die Sicherheitskräfte für die »extralegalen« Hinrichtungen und die
Staatsorgane für ihren Mangel an Rechtsempfinden. Wörtlich erklärten
Sprecher der Kommission: »Der eigentliche Grund für die Probleme in den
Philippinen sind Armut, Landlosigkeit und eine extrem ungerechte
Verteilung von Wohlstand und Macht. Wir fordern Präsidentin Arroyo und
die Regierung der Philippinen auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen: eine
sofortige und unabhängige Untersuchung aller »extralegalen«
Hinrichtungen der vergangenen Monate; eine Versicherung, daß kein
Kriegsrecht verhängt wird oder die Bürger- und Menschenrechte weiter
ausgehöhlt werden; eine Revision der militärischen
Aufstandsbekämpfungsstrategie, um sicherzustellen, daß Nichtkombattanten
angemessen geschützt und deren Hab und Gut nicht zerstört werden;
Einstellung der unhaltbaren Praxis seitens der Regierung und des
Militärs, Menschen vorschnell als ›Subversive‹ oder ›Kommunisten‹ zu
brandmarken, wenn sie sich für Gerechtigkeit und die Armen einsetzen.«
Blutspuren führen zum Palast
Doch das Morden geht weiter. Die Mehrzahl der Opfer staatlichen Terrors
sind Führungspersönlichkeiten von Arbeiter- und Bauernverbänden und
Gewerkschaften sowie Mitglieder linker Parteien. Am Abend des 16. Januar
wurde beispielsweise die 61jährige Bauernführerin Ofelia Rodriguez in
ihrem Haus in Mexico in der Provinz Pampanga, nördlich von Manila
gelegen, von maskierten Männern erschossen. Rodriguez' »Vergehen«
bestand darin, daß sie mit zahlreichen Gleichgesinnten in der Stop
Palparan Alliance aktiv war. Diese Gruppe setzt sich dafür ein, daß die
Regierung Generalmajor Jovito Palparan, Kommandeur der 7.
Infanteriedivision, vom Dienst suspendiere. Palparan ist wie sein
ziviles Pendant Duterte ebenfalls ein glühender Befürworter des »kurzen
Prozesses«, wenn es gilt, »Aufständische, Terroristen und Kommunisten«
zu jagen. Zuvor hatte der General im östlichen Landesteil, auf der Insel
Samar, Furcht und Schrecken verbreitet. Heute befehligt er seine
Einheiten im Zentrum der Hauptinsel Luzon, auf der auch Manila liegt.
Mexico, der Heimatort der erschossenen Aktivistin, liegt im
Operationsgebiet von Militäreinheiten, die hier als sogenannte
Reengineered Special Operations Teams (RSOT) agieren. Vorrangige Aufgabe
solcher Teams ist es, im Rahmen der militärischen Aufstandsbekämpfung
längere Zeit in ausgewählten Dörfern zu bleiben und sich dort zu
»integrieren«. So sollen Informationen gewonnen werden, wer sich wann,
wie und wo politisch engagiert.
Am 30. Januar wurden auf zwei weitere Aktivisten der linken Partei Bayan
Muna (Das Volk zuerst) tödliche Schüsse abgefeuert. Der
Kongreßabgeordnete Crispin B. Beltran kochte vor Wut und reagierte
erbost: »Die Mordserie wird mit jedem Tag, den die Präsidentin weiterhin
im Amt bleibt, länger. Bürger, die der Arroyo-Administration kritisch
gegenüberstehen – seien es Gewerkschafter, Kirchenleute, Journalisten,
Rechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten –, werden einer nach dem anderen
von dubiosen Gestalten ermordet. Und die Blutspuren führen direkt zur
Tür des Malacañang-Palasts (dem Amtssitz der Präsidentin; R. W.).«
Besonders ins Gerede und ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geriet die
Präsidentin seit Sommer vergangenen Jahres. Zuerst wurde Verwandten
Arroyos vorgeworfen, tief in Korruptionsaffären verstrickt zu sein und
Schmiergelder von Betreibern illegaler Glücksspiele angenommen zu haben.
Dann kam zutage, daß Arroyo ihre Wahl im Mai 2004 möglicherweise durch
Manipulation gewonnen hatte. Ende Juni 2005 mußte die Präsidentin
öffentlich zugeben, daß sie noch während der Stimmenauszählung mehrfach
mit dem Wahlleiter Virgilio Garcillano telefoniert und ihn gebeten
hatte, ihr einen Vorsprung von einer Million Stimmen zu sichern. Nur
weil sie (noch) die Mehrheit im Kongreß hinter sich weiß, entging sie
einem Amtsenthebungsverfahren.
Seit Sommer 2005 sacken die Beliebtheitswerte für die Präsidentin immer
weiter ab. Von nahezu allen Seiten gerät sie unter Beschuß. Die noch
immer agile Opposition aus Marcos-Anhängern und Freunden des wegen
Amtsmißbrauchs und Korruption aus dem Präsidentenamt gejagten Vorgängers
von Arroyo, Joseph E. Estrada, macht gegen die Präsidentin ebenso Front
wie Teile des Big Busineß, der einflußreichen katholischen
Bischofskonferenz des Landes sowie Segmente aus dem Militär. Vertreter
verschiedener Bürger- und Menschenrechtsorganisationen werfen sich heute
selbstkritisch vor, vor fünf Jahren ihr politisches Gewicht in einer
Neuauflage von »People Power« für Arroyo in die Waagschale geworfen zu
haben. Und selbst aus den eigenen Reihen erntet die Präsidentin nur
mäßig Lob. Der einflußreiche Exgeneral und von 1992 bis 1998 amtierende
Expräsident Fidel V. Ramos legt der Präsidentin nahe, nur bis 2007 im
Amt zu bleiben. Ungeteilt ist die Sympathie für die Präsidentin nur in
Washington. Die Bush-Regierung schützt das »Antiterror«-Engagement
Arroyos und wird, wie das in den USA ansässige Philippine Aidwatch
Network jüngst berichtete, der Regierung ihrer einstigen Kolonie in
diesem Jahr erhöhte Militärhilfe von annähernd 100 Millionen US-Dollar
gewähren. Diese Gelder sind vorrangig für den Ausbau der philippinischen
Marine und »Antiterror«-Maßnahmen einschließlich gemeinsamer
US-amerikanisch-philippinischer Manöver im Süden der Inseln bestimmt.
Wirtschaft und Widerstand
Der renommierte philippinische Sozialwissenschaftler Walden Bello und
Mitstreiter des in Bangkok ansässigen globalisierungskritischen
Forschungsinstituts »Focus on the Global South« sowie Angehörige der
Soziologischen Fakultät der University of the Philippines
veröffentlichten im Sommer letzten Jahres eine Einschätzung der
aktuellen Entwicklungen in den Philippinen. Demnach betrage die
Unterbeschäftigung etwa 40 Prozent und habe sich die (offizielle)
Arbeitslosigkeit von zwölf Prozent im Jahre 1986 auf 15 Prozent im Jahr
2004 erhöht. Die Zahlen müßten noch negativer bewertet werden, wenn man
die stark gestiegene Zahl von Overseas Filipino Workers (OFW)
berücksichtigte. Zog es 1986 380 000 Filipinos und Filipinas zur Arbeit
ins Ausland, so war deren Zahl im Jahre 2004 um knapp das Dreifache auf
eine Million Jobsuchende angestiegen. Insgesamt arbeitet heute (bei
einer Bevölkerungszahl von zirka 85 Millionen) etwa jeder zehnte
Filipino im Ausland. Deren Rücküberweisungen spülten allein 2005 über
zehn Milliarden Dollar ins Land – der mit Abstand größte Devisenbringer.
Trotz der offiziell registrierten Senkung der Armutsrate im Land
betrachten sich 57 Prozent der Bevölkerung als arm. 1983, auf dem
Höhepunkt der Krisenwirtschaft unter Marcos, waren es 55 Prozent.
Selbst innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte rumort es, vor allem
unter den Absolventen der Militärakademie in Baguio City, im Norden von
Manila gelegen, die dort nach 1995 ihre Ausbildung abschlossen. Am 23.
Januar warnte eine im Untergrund agierende Gruppe, die sich Young
Officers Union New Generation (YOUng) nennt, den Justizminister Raul M.
Gonzalez, daß er, Präsidentin Arroyo und ihr gerade frisch ernannter
Stabschef Michael Defensor auf der Todesliste stünden. Insgesamt, so
verkündete der Sprecher des Zentralkommandos der YOUng, Oberstleutnant
Arsenio Alcantara, habe seine Organisation über 200 Personen der
Arroyo-Administration im Visier – darunter 40 Kongreßabgeordnete, die
sich Privatarmeen halten, 47 Schmuggler, 32 Drogenbarone und 22 große
Steuerbetrüger. Alcantara verband diese Drohung mit der Vorhersage, das
»bis ins Mark korrupte Regime« werde »bald zusammenbrechen«.
»Was die Situation zusätzlich verschlimmert«, schrieb die in Manila
erscheinende Tageszeitung Philippine Daily Inquirer in ihrem Editorial
am 21. Januar, »ist die anhaltende und rücksichtslose Unbekümmertheit
einer Regierung, weder grundlegende soziale Dienste für ihre Bürger
bereitzustellen, noch deren Grundrechte vor militärischen Übergriffen zu
schützen. Wenn die Wiederbelebung des kommunistischen Aufruhrs anhält,
sind wir bald da, wo wir gegen Ende der Marcos-Diktatur standen.
Schließlich war es sein Regime, das der eigentliche Rekruteur der Neuen
Volksarmee war.«
Bald 140 Guerillafronten
Die Neue Volksarmee (NPA) – das ist der bewaffnete Arm der im geheimen
arbeitenden Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP). Auf dem
Höhepunkt ihrer Macht zum Zeitpunkt des Marcos-Sturzes vor zwanzig
Jahren hatte sie annähernd 30 000 Personen unter Waffen. Doch scharfe
innerparteiliche Auseinandersetzungen und Säuberungen während der 90er
Jahre führten zu einem Mitgliederschwund. Heute ist davon wenig zu
spüren. Im Gegenteil: Die NPA und CPP erhalten so viel Zulauf, daß der
philippinische Generalstab sie erneut als »Sicherheitsbedrohung Nummer
eins« einstuft.
Das veranlaßte den Sprecher der NPA, Gregorio »Ka Roger« Rosal, in einem
euphorischen Statement kurz vor Weihnachten, seine Sicht der Dinge
darzulegen. Rosal behauptet darin, daß die NPA augenblicklich über eine
Gesamtstärke von 27 Bataillonen beziehungsweise etwa 13 500 Kombattanten
verfüge. Das schlösse allerdings nicht die Zahl sogenannter Volksmilizen
ein, deren Mitglieder tagsüber als Bauern die Felder bestellten und des
Nachts als Partisanen kämpften. Die NPA, so Rosal, sei fähig, in den von
ihr kontrollierten Gebieten eine Agrarrevolution durchzuführen, die den
Kern des bewaffneten Kampfes ausmache. Es habe landesweit erfolgreiche
Kampagnen gegeben, in denen die Verschuldung von Pachtbauern und
landwirtschaftlichen Arbeitern gesenkt und die Preise für ihre Produkte
beträchtlich erhöht wurden. Auch habe sich die Zahl taktischer
Offensiven allein im Jahre 2005 signifikant erhöht, wodurch Waffen
erbeutet und inhaftierte Gesinnungsgenossen in spektakulären Aktionen am
hellichten Tag befreit werden konnten. Insgesamt, so Rosal, strebe die
NPA an, ihre Guerillafronten von derzeit 130 auf 140 zu erhöhen: »Unser
Ziel ist es, gegenüber dem Gegner ein strategisches Patt zu erreichen.«
Wenn in Manila elitäre Machtrochaden mehr geschützt bleiben als eine den
Namen verdienende Sozialpolitik, dürfte Rosals Szenario nicht ganz
abwegig sein.
Gloria Macapagal-Arroyo
Zwei sogenannte People-Power-Bewegungen, fälschlich als
Volksrevolutionen bezeichnet, sorgten dafür, daß in der jüngeren
Geschichte der Philippinen gleich zwei Präsidenten politisch geschlagen
wurden. Im Februar 1986 mußte der Diktator Ferdinand E. Marcos von der
politischen Bühne abtreten und sich von seinen langjährigen Gönnern ins
Exil auf Hawaii ausfliegen lassen. Und im Januar 2001 erwischte es den
überaus populären Exschauspieler Joseph E. Estrada, der wegen
Korruption, Mißwirtschaft und seines »totalen Krieges« gegen den
Moro-Widerstand im Süden des Archipels das Präsidentenamt abgeben mußte.
Seine damalige Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo beerbte Estrada
am 20. Januar 2001 – übrigens zeitgleich mit ihrem Vorbild George W.
Bush. Unterstützt wurde der Regierungswechsel durch eine breit
gefächerte Volksbewegung – eben »People Power 2«, die ihren Protest
lautstark auf den Straßen zelebrierte – und von maßgeblichen Teilen des
Militärs. Zu Arroyos Wahlversprechen zählte damals ein neuer
Politikstil, der weder Persönlichkeitskult noch Patronage zulasse,
sondern sich vielmehr durch persönliche Integrität und aktive
Armutsbekämpfung auszeichne. Im Mai 2004 wurde Arroyo im Amt bestätigt,
wenngleich die Opposition ihr massive Wahlfälschung vorwarf.
Die 58jährige Präsidentin und promovierte Ökonomin, in den Medien des
Landes kurz GMA genannt, hat große Schwierigkeiten, ihre Amtszeit zu
überstehen. Diese währt zwar bis Sommer 2010. Doch bislang hat Arroyo
wirtschaftspolitisch wenig vorzuweisen. Die Innenpolitik ihrer Regierung
gleicht eher einer verlängerten Außenpolitik der einstigen Kolonialmacht
USA. Die Friedensverhandlungen mit dem muslimischen Widerstand im Süden
des Landes sowie mit der Nationalen Demokratischen Front (NDFP), der von
der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) geführten
Dachorganisation der illegalisierten Linken, stocken. Seitdem sich die
von Statur kleine Präsidentin gänzlich dem von ihrem großen
transpazifischen Kollegen im Weißen Haus missionarisch geführten
»weltweiten Kampf gegen den Terrorismus« verschrieben hat, ähnelt die
Einhaltung der Menschen- und Bürgerrechte auf den Inseln der zu Zeiten
der Marcos-Diktatur (1966–1986). Zu alledem gesellen sich schwere
Vorwürfe, die Präsidentin habe Amtsmißbrauch betrieben, das Volk belogen
und tatenlos zugeschaut, als sich ihre Klientel schamlos bereicherte
sowie in Schmiergeldskandale und Korruptionsaffären verwickelte.
* Der Autor befaßt sich seit 1970 mit den Philippinen. Er ist u. a.
Mitherausgeber des im Frühjahr im Horlemann Verlag (Unkel/Bad Honnef)
erscheinenden Buches »Handbuch Philippinen: Gesellschaft, Geschichte,
Wirtschaft, Politik«.
Aus: junge Welt, 24. Februar 2006
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