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In Kriegsstimmung

Gemeinsam mit der philippinischen Armee gehen US-Truppen im Süden der Philippinen gegen Aufständische vor

Von Rainer Werning, Basilan *

Die Inseln Basilan und Jolo im Süden der Philippinen sind seit Mitte Juli erneut Schauplätze schwerer Kämpfe. Auf der einen Seite stehen die Armee des Landes sowie paramilitärische Verbände, auf der anderen die Abu-Sayyaf-Gruppe, die Nationale Befreiungsfront Moro sowie die Islamische Befreiungsfront Moro. Mitte August ordnete Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo als Oberbefehlshaberin der Streitkräfte an, die Kommandozentrale der Armee von der Hauptstadt Manila in die Basilan vorgelagerte Stadt Zamboanga zu verlegen. Dort, so Frau Arroyo, bleibe die Armeespitze solange präsent, bis die Abu Sayyaf »vernichtet« sei.

Aufstandsbekämpfung

In Zamboanga befand sich bis Ende August 2006 das Südkommando, das für die gesamte Kriegführung im unruhigen Süden zuständig war und der philippinischen Armee als Kommandozentrale im Krieg gegen diverse Organisationen des bewaffneten muslimischen Widerstandes diente. Im Fadenkreuz standen zudem Verbände der Neuen Volksarmee (NPA), der bewaffnete Arm der Kommunistischen Partei der Philippinen. Um die Effektivität ihrer eigenen Militärverbände zu erhöhen und dem »kommunistischen Terrorismus« endgültig einen Riegel vorzuschieben, entschied sich der Generalstab für eine Aufteilung des Kommandos.

Seit gut einem Jahr ist das Ostmindanao-Kommando mit Hauptsitz in Davao City, der größten Stadt auf Mindanao, damit betraut, die kommunistische NPA militärisch zu besiegen. Das in Zamboanga beheimatete Westmindanao-Kommando koordiniert jetzt die Aufstandsbekämpfung gegen Gruppen wie die Abu Sayyaf in den Inselprovinzen Basilan, Sulu und Tawi-Tawi. Die Abu-Sayyaf-Gruppe, so die Vermutung philippinischer und US-Militärstrategen, gilt als Teil der in Südostasien operierenden Jemaah Islamiyah, die ihrerseits dem Al Qaida-Netzwerk angehören soll. Auf der Insel Jolo sollen sich unter dem Schutzschild der Abu Sayyaf überdies zwei Jemaah Islamiyah- Mitglieder aufhalten, die als Drahtzieher des Anschlags auf der indonesischen Insel Bali am 12. Oktober 2002 und somit als international gesuchte Topterroristen gelten. 202 Menschen, hauptsächlich australische Touristen, kamen damals ums Leben.

»Weiche Waffen«

Wenige Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärte die US-Regierung die Südphilippinen (nach Afghanistan) zur »zweiten Front im weltweiten Kampf gegen den Terror«. Seitdem sind in der Region Hunderte US-amerikanische Soldaten stationiert, regelmäßig finden gemeinsam mit der philippinischen Armee Manöver statt. Die US-Militärhilfe für die philippinische Armee betrug allein im Jahre 2005 umgerechnet 130,7 Mio. US-Dollar, während sie seit 2002 im Durchschnitt jährlich 72,15 Mio. Dollar im Rahmen des Sicherheitsbeistands erhielten.

Nicht berücksichtigt sind dabei öffentlichkeitswirksame Maßnahmen als »weiche« Variante einer hart geführten Aufstandsbekämpfung. Dazu gehören medizinische Untersuchungen sowie der Einsatz der »USNS Mercy«, eines Hospitalschiffs der US-Marine. Präsidentin Arroyo bezeichnet diesen Einsatz als notwendige »humanitäre Invasion«. Die US-Botschaft in Manila betont, US-amerikanische Truppen auf Jolo seien nicht in Kampfhandlungen verwickelt, wenngleich ihr Sprecher einräumte, daß sie zurückschießen würden, wenn auf sie gefeuert würde. Seit Mitte August aber sind US-Spezialstreitkräfte mehrfach in der Nähe des Ortes Indanan gesichtet worden – mit gepanzerten Wagen und Maschinengewehren an der Spitze von Militärkonvois der philippinischen Armee.

* Aus: junge Welt, 10. September 2007

Hintergrund: Klima der Gewalt

Zahlreiche Abu-Sayyaf-Mitglieder, derentwegen momentan eine US-phi­lippinische Streitmacht auf den Inseln Basilan und Jolo mit jeweils über 5000 Soldaten mobil macht, sind in einem Klima von Zerstörung und Gewalt aufgewachsen. Kein Wunder: Die »Wiege« der Organisation ist Basilan. Dort herrschte mit Wahab Akbar lange Jahre ein Gouverneur, der in den frühen 1990er Jahren selbst Gründungsmitglied der Abu Sayyaf war und noch heute Kontakte mit der Gruppe pflegt, zumindest wenn ihm das opportun erscheint. So nutzt Akbar die staatlich verordnete Antiterrorkampagne, um mißliebige politische Gegner auszuschalten, die er öffentlich der Mitgliedschaft in der Abu Sayyaf bezichtigt.

Akbar ist heute Basilans Abgeordneter im Kongreß, während zwei seiner drei Ehefrauen den Gouverneurs- und Bürgermeisterposten in Isabela, der Hauptstadt Basilans, besetzen. Gleichzeitig läßt er keine Gelegenheit aus, um die Präsenz US-amerikanischer Soldaten auf Basilan zu loben. »Balance des Terrors« nennt er das. Akbar sähe es am liebsten, wenn Basilan Teil der USA würde, urteilt Professor Roland Simbulan, der an der Universität der Philippinen Politikwissenschaften lehrt.

Die Folge ist eine Kultur der Gewalt. Jugendliche in der Region wachsen in dem Glauben auf, daß das Tragen eines Gewehrs ihnen Achtung verschaffe. Zukunftschancen haben ohnehin die wenigsten; denn für Ausbildung, Erziehung und medizinische Betreuung hat die Regierung in Manila stets weniger ausgegeben als für das Militär. Rache und Vergeltung ist daher ein häufiges Motiv für Jugendliche, sich der Abu Sayyaf anzuschließen. Entweder sind ihre Eltern, enge Verwandte oder Freunde von Regierungssoldaten erschossen oder ihr Hab und Gut von diesen geplündert worden. In diesem Treibhaus von Elend und Gewalt nimmt die Militarisierung stetig zu Das politische Geschäft verkommt hingegen zum Ränkespiel.

Das mit Abstand lukrativste Geschäft ist Kidnapping. Davon erfährt man im Ausland natürlich nichts, solange nur philippinische oder phi­lippinisch-chinesische Geschäftsleute entführt und gegen Bezahlung beträchtlicher Lösegelder wieder freigelassen werden.

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Ursprung in Afghanistan

Die Abu-Sayyaf-Gruppe: Regionaler Widerstand mit weltweiten Verbindungen

Von Rainer Werning *


Sie nennen sich »Vater des Scharfrichters« – Abu Sayyaf, verfügen über Kampferfahrungen in Afghanistan und sorgen seit gut eineinhalb Jahrzehnten für Unruhe auf den Philippinen. International bekannt wurden Mitglieder der Abu Sayyaf, als sie im Frühjahr 2000 von der ostmalaysischen Ferieninsel Sipadan mehrere westliche Touristen, darunter die Göttinger Familie Wallert, entführten und sie erst nach monatelangen Verhandlungen und hohen Lösegeldzahlungen auf freien Fuß setzten. Roberto N. Aventajado, damals Manilas Chefunterhändler während des Geiseldramas auf Jolo, schrieb später in einem Buch, daß insgesamt elf Millionen US-Dollar Lösegelder gezahlt worden sei. Allein für die Freilassung der Deutschen Renate Wallert seien eine Million geflossen, während die restlichen zehn Millionen US-Dollar von der libyschen Regierung aufgebracht wurden, die diese Gelder allerdings als Entwicklungshilfe deklarierte.

Ende der 1980er Jahre hatte die damals größte politische Organisa­tion des muslimischen Widerstandes, die Moro Nationale Befreiungsfront (MNLF), Friedensverhandlungen mit Präsidentin Corazon C. Aquino geführt, die Anfang 1986 den Diktator Ferdinand E. Marcos beerbt hatte. Die MNLF war seit Beginn der 1970er Jahren in einen blutigen Bürgerkrieg gegen die philippinischen Streitkräfte verwickelt, der etwa 150000 Tote forderte und auf dem Höhepunkt der Kampfhandlungen über eine halbe Million südphilippinische Muslime in den benachbarten ostmalaysischen Bundesstaat Sabah ins Exil trieb.

Enttäuscht über ein Arrangement mit der Regierung in Manila, rückten auf Basilan mit Wahab Akbar und Abdurajak Janjalani zwei Männer ins Rampenlicht, die einer von ihnen inspirierten Erneuerungsbewegung den Namen Al Harakatul Al Islamiya (Islamische Bewegung) gaben. Akbar, ausgebildet in Ägypten, schwebte wie Janjalani ein »reiner« islamischer Staat auf Basilan und später auf ganz Mindanao vor. Bevor letzterer aus Afghanistan zurückkehrte und auf Basilan als islamistischer Führer großes Ansehen genoß, hatte sich Akbar dafür eingesetzt, den Koran in Arabisch zu lesen. Anstatt nach dem Islam- und Militärstudium in Saudi-Arabien und Libyen in seine Heimat aufzubrechen, kämpfte Janjalani in Afghanistan mit anderen Mudschahedin gegen die sowjetische Besatzung. Dort diente er in einer Guerillaeinheit der Islamischen Union zur Befreiung Afghanistans unter dem Kommando des Hardliners und einstigen Theologieprofessors an der Kabuler Universität, Abd Al Rab Rasul Sayyaf. Als Geste der Ehrerbietung gegenüber seinem früheren Mentor entschloß sich Janjalani, der von ihm geführten Gruppe den Namen »Abu Sayyaf« zu geben.

Zur Führungsschicht der Abu-Sayyaf-Gruppe zählten in ihrer Entstehungsphase neben Janjalani und Akbar zwei jüngere Kader: Abdul Ashmad war für Aufklärung und Edwin Angeles für Operationen der Gruppe zuständig. Da sich die Abu Sayyaf zu diesem Zeitpunkt nicht als Untergrundorganisation verstand, war sie anfällig für das Einsickern von Elementen, die gänzlich andere Ziele als die ursprünglich formulierten verfolgten. Laut Ashmad rückte sowohl die Beseitigung aller katholischen Symbole in den muslimischen Gemeinschaften in den Vordergrund. Zudem ging es auf einmal um die Einbeziehung von Geistlichen in politische Verhandlungen. Durchgesetzt werden sollte zudem ein Fischfangverbot für ausländische Flotten in den Gewässern von Basilan und Sulu. Angeles, zwischenzeitlich zum Islam konvertiert, stand gleichzeitig mit philippinischen Geheimdienststellen in Kontakt und befürwortete Kidnapping als Geldquelle.

Abdurajak Janjalani und Edwin Angeles wurden Ende 1998 beziehungsweise Anfang 1999 erschossen. Seitdem führte Janjalanis jüngerer Bruder Khadaffy die Abu Sayyaf, bis auch er im September 2006 während eines Gefechts mit Regierungssoldaten auf Jolo ums Leben kam. Zu seinem Nachfolger bestimmte die Abu Sayyaf Anfang Juni 2007 Yasser Igasan aus Jolo.

* Aus: junge Welt, 10. September 2007


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