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Philippinen: Landreform statt Bauernkrieg

Zur Kritik am "Bondoc Development Program". Von Niklas Reese

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der entwicklungspolitischen Zeitschrift Iz3W, den uns die Herausgeber freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Informationen über Bezugsbedingungen gibt es hier: Homepage von Iz3w.

Seit vielen Jahren schon steht das durch deutsche Entwicklungshilfe geförderte "Bondoc Development Program" (BDP) auf der philippinischen Halbinsel Bondoc in der Kritik, weil es den Großgrundbesitz und die Aufstandsbekämpfung durch das Militär unterstütze. Als "Wendehälse in Manila und Berlin" kritisierte Karl Rössel (iz3w 255) nicht nur die ehemaligen GegnerInnen des Projekts, die dieses nun als VertreterInnen der rot-grünen Bundesregierung weiterführen. Der Autor hielt außerdem der Philippinen-Solidarität vor, sie nehme die Kritik "nicht mehr ernst." Der Geschäftsführer des Philippinenbüros weist dies zurück.

von Niklas Reese

Seit 1987 wird auf der Bondoc-Halbinsel ein ländliches Entwicklungsprogramm mit Unterstützung der GTZ durchgeführt - das Bondoc Development Programme (BDP). Proteste Anfang der neunziger Jahre haben u.a. zur Aufnahme einer Programmkomponente geführt, der die LandarbeiterInnen bei ihrem Kampf um das Land, das sie bebauen, unterstützt (die Durchführung der Agrarreform selbst muss Aufgabe der Regierung bleiben).(1) Das ist einzigartig unter den Programmen ländlicher Entwicklung in den Philippinen. Berechtigte werden über ihre gesetzlichen Rechte aufgeklärt und in die Bestimmungen des Agrarreformprogramms (Comprehensive Agrarian Reform Program, CARP) eingeführt. Bei der Antragsstellung und dem langwierigen legalen Prozess wird ihnen Rechtsbeistand gewährt.(2) Die zweite FIAN-Untersuchungsdelegation zur Agrarreform bewertete im August letzten Jahres den Einfluss des BDP denn in dieser Hinsicht auch als positiv - wie auch schon die erste Delegation im August 2000. Und das, obwohl sie bezüglich der Agrarreform auf der Bondoc-Halbinsel - wo das meiste Land sehr wenigen Familien gehört - insgesamt zu betrüblichen Ergebnissen kommt und die Umsetzung für mangelhaft hält.

Falsch und unzeitgemäß

Im Zentrum der Kampagne gegen das BDP stand der Vorwurf, es diene der Aufstandsbekämpfung. Heute - nach der Neukonzeption des Programms - gestehen auch die maoistischen GegnerInnen des BDP ein, dass der Vorwurf der "Aufstandsbekämpfung" nur im weiteren Sinne aufrechtzuerhalten ist: Entwicklungsprogramme seien ein konstitutiver Bestandteil von Low-Intensity-Warfare-Konzepten. Das BDP werde in diesem Zusammenhang "als ein Instrument eingesetzt, indem es (...) die Bauern mit Projekten in die Versuchung des Reformismus führt und sie von einer radikalen Position abweichen lässt, die sie für echte Landreform und nationale Industrialisierung streiten lässt" (so die lokal tätige nationaldemokratische Organisation Junk BDP Alliance - JBA). Dies ist ein wesentlicher Grund, warum das nationaldemokratische Spektrum der Agrarreformbewegung in den Philippinen auch insgesamt das CARP als "falsch und unzeitgemäß" ablehnt. Es wecke reformistische Illusionen und unterminiere den revolutionären Willen. Die Möglichkeit - oder die Illusion - von Veränderung lasse die Bauern über die richtigen Strategien streiten, breche auf diese Weise ihre Einheit auf und lenke sie vom Kampf für eine durchgreifende Landreform ab.

Der zweite Grund für ihre Ablehnung des CARP sei die feindliche ökonomische und politische Umgebung, die es wenig wahrscheinlich mache, dass Bauern das ihnen zugeteilte Land auch dauerhaft behalten und die Amortisationszahlungen über 30 Jahre aufbringen können. Zudem mache es keinen Sinn, Land zu verteilen, wenn die übrigen Ressourcen (Reismühlen, Fahrzeuge, Bewässerungskanäle) im Besitz der Eliten bleiben und diese auch Justiz und Parlamente kontrollieren. Der vormalige feudalistische Großgrundbesitzer betätige sich dann als kapitalistischer Mittelsmann. Außerdem mache eine Landreform ohne gleichzeitigen Abkehr vom Freihandelsregime keinen Sinn. Das andere Lager der radikalen philippinischen Linken, das sich als "radikaldemokratisch" bezeichnen lässt, setzt auf eine andere Strategie, um gesellschaftliche Transformation in den Philippinen zu erreichen. Konkrete soziale Kämpfe sollen einen Schneeballeffekt in Gang setzen. Sie versuchen, die fortschrittlichen Passagen von CARP zu nutzen und so die Möglichkeiten politischer Veränderung bewusst werden zu lassen. Die Entschlossenheit dieser undogmatischen Linken zeigt durchaus Erfolge: Einige korrupte oder voreingenommene Beamte wurden geschasst, illegale Landumwandlungen konnten in einzelnen Fällen rückgängig gemacht, Landverteilung und Inbesitznahme durch die Bauern forciert werden.(3) Zahlreiche kleine Erfolgsgeschichten, die bislang allerdings an der andauernden ungerechten Situation im Agrarsektor bislang wenig ändern konnten.(4)

Politische Veränderung kann es für die RadikaldemokratInnen nur mit starken sozialen Bewegungen geben - durch "Gegenmacht von unten". Die Eroberung der (zentralisierten) Staatsmacht als Mittel gesellschaftlicher Emanzipation sei fraglich geworden, die Schaffung basisdemokratischer Machtverhältnisse daher eine tragfähigere Option für gesellschaftliche Veränderung. Doch entscheidend für die Durchsetzung der Interessen von Basisorganisationen (poor peoples movements) ist - neben einem entwickelten politischen Bewusstsein und starken Führungspersonen - die Kooperation mit Organisationen, die ihnen Zugang zu materiellen und intellektuellen Ressourcen beschaffen können und zudem Zugang zum politischen Entscheidungszentrum (hier: Manila) haben. Durch Bewusstseinsbildung und Überzeugungsarbeit sowie Wissensunterstützung (Rechtshilfe, wissenschaftliche Expertisen) müssen den Landlosen überzeugende Problemlösungen in Aussicht gestellt werden. Erst dann besteht die Aussicht, Konfliktfähigkeit zu erlangen und Konfliktbereitschaft zu schaffen.

Reformiertes Land

Auf der Bondoc-Halbinsel hat es 1998 einen landesweit beachteten Fall gegeben: ein 174 Hektar großes Landgut im Dorf Catulin, das dem größten und despotischsten Landbesitzers der Gegend, Domingo Reyes, gehörte. 55 Pächterfamilien hatten für das Land, das sie seit Jahrzehnten bebauen, Landtitel erhalten. Daraufhin hatte Reyes sie mit seiner Privatarmee vertrieben, ihre Gebäude und Ernte zerstört und Rinder auf das Grundstück getrieben. Die Familien hatten daraufhin Klage erhoben und das Agrarreformministerium in Manila belagert. Ihrer Präsenz wegen wurde schließlich eine Sondereinheit auf Druck von Basisorganisationen und Nichtregierungsorganisationen aus der Taufe gehoben. Die Bauern kehrten unter dem Schutz von Militäreinheiten, die noch einige Monate dort stationiert blieben, auf das Gelände zurück. Ein nationales Medienereignis. Die nationale Ebene setzt sich gegen die lokale durch. Der Erfolgsfaktor: eine organisierte Bauernbewegung.

Reformen sind also auch auf hochumstrittenen Ländereien nicht unmöglich. Denn das Land von Domingo Reyes galt seines politischen Einflusses wegen bislang als "unberührbar". Die Geschehnisse in Catulin hatten Symbolwirkung, ein Dominoeffekt setzte ein: PächterInnen auf anderen Grundstücken trauten sich nun ebenfalls, Landtitel zu beantragen. Fünf große Fälle auf der Halbinsel, in denen die Großgrundbesitzer sich bislang gegen die Landverteilung wehrten, wurden danach positiv beschieden. Und in den Visayas kam es zu ähnlichen Aktionen auf umstrittenen Landgütern.

Mittlerweile arbeiten fünf autonome PächterInnenverbände aus 58 Dörfern Bondocs mit 3000 Mitgliedern mit der Nichtregierungsorganisation PEACE zusammen, eine NGO, die landesweit viel Erfahrung mit der Organisation von Landlosen und PächterInnen gesammelt hat, einst auch Teil des ND-Netzwerks war und heute den RadikaldemokratInnen zuzurechnen ist. PEACE führt im Auftrag des BDP dessen Agrarreformkomponente durch. Viele Bauerngruppen haben sich eigenständig gegründet, manche wurden von PEACE organisiert. Mit Hilfe von PEACE konnten auf der Bondoc-Halbinsel 3.089 Hektar an 1.180 Bauern verteilt werden, gegenwärtig bemüht man sich um die Verteilung von weiteren 17.749 Hektar Land, die mehr als 5.000 Familien zugute kämen.(5)

Die Bauern auf der Halbinsel werden von den MitarbeiterInnen von PEACE ermutigt und unterstützt, die vom Gesetz vorgeschriebenen Teilungsverhältnisse von 75/25 zu ihren Gunsten einzufordern. Nicht selten findet PEACE heraus, dass korrupte Landrichter den Grundbesitzern falsche Landtitel ausgestellt haben, obwohl es sich um rechtlich öffentliches Land handelt. In diesen Fällen halten sie die Bauern an, die Zahlungen komplett und sofort einzustellen. Bei ihrem Kampf treten die Gruppen zwar in Dialog und Kooperation mit Regierungsstellen, aber sie konfrontieren diese gleichzeitig mit Demonstrationen, öffentlichen Erklärungen und Belagerungen.

Philippinenbüro in der Kritik

Ob man das BDP unterstützen kann oder nicht - die Beantwortung dieser Frage bedürfte einer eingehenden Evaluation des Projektes, auch wenn die GTZ sich 2003 aus dem BDP zurückziehen und die philippinische Regierung das Projekt alleine weiterführen wird. Gerade weil das BMZ sich aus der Förderung der direkten Landumverteilung zurückziehen und stattdessen in Zukunft lediglich Studien, Kompetenzerwerb (Capacity Building) und technische Beratung von Landreformbegünstigten fördern will. Für die weitere kritische Solidarität - bezüglich Bondoc, aber auch bezüglich anderer Entwicklungsprojekte - bleibt festzustellen: Politische Positionen (nicht Überzeugungen und Kriterien!) können nur eine mittlere Reichweite besitzen. Auch wer für Basisdemokratie, Antimilitarismus und Gerechtigkeit eintritt, muss den sich verändernden Realitäten die Gelegenheit bieten, diesen Kriterien standzuhalten. Dazu sind alle Seiten in politischen Auseinandersetzungen zu prüfen und zu konsultieren - im konkreten Fall eben nicht nur die maoistische JBA, sondern auch die NGO PEACE und die MitarbeiterInnen des BDP selbst. Dies allein war Zweck einer ergebnisoffenen Beschäftigung auf dem Seminar des Philippinenbüros zum BDP von 2000 und des Besuches der Halbinsel im August 2001. Davon, dass man darum die Kritik der GegnerInnen "nicht mehr ernst nimmt" (Rössel), kann keine Rede sein. Aber sie sind nicht länger die einzig emanzipatorische Stimme.

Anmerkungen
  1. Ein anderer Programmschwerpunkt ist die Förderung kommunaler Partizipation. Nachdem die Großgrundbesitzer vergeblich versuchten, die Agrarreform- und Demokratisierungskomponente aus dem Programm zu streichen, haben sie sich größtenteils aus dem Aufsichtsrat des BDP zurückgezogen.
  2. Des Weiteren wird Land identifiziert, das unter die Landreform fallen sollte. Weil nämlich Großgrundbesitzer häufig öffentliches Land unrechtmäßig für sich beanspruchen, spielt die Kartographierung hier eine zentrale Rolle. Kartographische Daten sind bis jetzt ungenau und veraltet (meist noch von 1950).
  3. Nach einer Landreform steigert sich die Produktivität des Landes erheblich (bis zu 80 Prozent), der meiste Gewinn verbleibt nun bei den Bauern, sie können Kinder zur weiterführenden Schule schicken, die Gesundheitskosten aufbringen und Rücklagen bilden.
  4. Doch auch die wenigen Versuche einer revolutionären, d.h. entschädigungslosen Landreform, die von der kommunistischen Guerilla-Organisation NPA (New Peoples Army) landesweit in "befreiten Gebieten" unternommen wurden, sind in der Regel schnell in sich zusammengebrochen - und haben stets zu vermehrter Militarisierung geführt.
  5. Die Mitarbeiter von PEACE (und des BDP) sind bei ihrer Arbeit einer doppelten Gefahr ausgesetzt: von Seiten der reformunwilligen Landbesitzer, die sie für kommunistisch halten, als auch von Seiten der Kräfte, die Reformen für Blendwerk halten.

* Niklas Reese hat an der zweiten Untersuchungsdelegation von FIAN zur philippinischen Agrarreform im August 2001 teilgenommen und hat im Vorfeld Gespräche mit allen Konfliktparteien geführt. Der Artikel ist ein persönlicher Diskussionsbeitrag des Autors, keine offizielle Position des Philippinenbüros.

Aus: Iz3W, Heft 260, S. 12-13


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