Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bürgerkrieg wird angeheizt

Militäraktion schweißt Bevölkerung und Rebellen zusammen - Die Folgen der Bombardierung (30. September 2000)

Nach dem Freikauf der europäischen Geiseln aus der Hand der Abu-Sayyaf-Bande ist es im Blätterwald hierzulande weitgehend wieder still geworden. Auch die Militäroffensive der philippinischen Regierung regt die Gemüter kaum auf. Ob es diplomatische Aktivitäten hinter den Kulissen gibt, ist zweifelhaft. Bundesaußenminister Fischer hat während des viermonatigen Geiseldramas, solange Deutsche darin verwickelt waren, wiederholt die Regierung in Manila gemahnt, keine Gewalt anzuwenden. Das Problem sei nur auf dem Wege der Verhandlung und Diplomatie zu lösen. Fischer hat Recht damit behalten (hätte er doch nur im Falle Kosovo auch so gedacht!). Nach der Freilassung der deutschen Geiseln war die Sache für ihn offenbar erledigt. Jolo gehört wieder ganz dem philippinischen Militär. Und was dieses dort anrichtet, geht ein wenig aus den folgenden Artikeln hervor, die wir dem österreichischen "Standard" und der Frankfurter Rundschau entnahmen.

Jolo: Christen und Moslems droht die Spaltung

Für den philippinischen Präsidenten Joseph Estrada ist es ein Befreiungsschlag: Er will sich nicht mehr von den Abu-Sayyaf-Rebellen an der Nase herumführen lassen, und seit mehr als einer Woche lässt er nun Krieg gegen die Moslem-Gruppe auf der Insel Jolo führen. Luftwaffe, Artillerie und mehr als 4.000 Soldaten am Boden haben bisher jedoch fast nichts erreicht. Einzige Ausnahme ist die Flucht der beiden letzten französischen Geiseln - ein Umstand, der sogar Paris, das zuvor heftige Kritik an den Angriffen geäußert hatte, zu Lob veranlasste.

Was im Westen wenig interessiert, sind die negativen Folgen der Rambo-Aktion für die Philippinen selbst. Da geht es in erster Linie um Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung. Darüber hinaus drohen sich nach Ansicht westlicher Diplomaten in Manila die Spannungen zwischen Christen und Moslems weiter zu verschärfen. Bisher trieb die Militäroperation nach Angaben von Vizepräsidentin Gloria Macapagal-Arroyo rund 15.000 Zivilisten in die Flucht. Augenzeugen berichteten von vielen Toten und Verletzten unter den 500.000 Inselbewohnern. "Mit der Offensive wächst die Solidarität der moslemischen Bevölkerung mit den Rebellen", kommentiert ein westlicher Diplomat. Auf Jolo werde "die Führung in Manila noch immer als Kolonialmacht empfunden."

Der Unfriede zwischen den Christen im wohlhabenderen Norden der Philippinen und den Moslems im verarmten Süden hat tiefe Wurzeln. Schon die Kolonialmächte Spanien und später die USA versuchten erfolglos, die Unabhängigkeitsbestrebungen im Süden zu unterbinden. Noch heute betrachten viele Moslems die Regierung im viele hundert Kilometer entfernten Manila als ausländische Besatzer. Die Rebellen der "Moro Islamischen Befreiungsfront" (MILF) liefern sich seit Jahren immer wieder Gefechte mit Regierungstruppen. Vor einer Woche starben sechs ihrer Kämpfer bei Gefechten mit Soldaten auf der Insel Mindanao.

Seit der letzten großen Rebellion der "Moro Nationalen Befreiungsfront" (MNLF) Mitte der 70er Jahre wurden nach offiziellen Angaben bis zu 70.000 Menschen getötet. Auf Vermittlung Libyens kam 1996 schließlich ein Friedensabkommen zustande, das den Moslems in der Provinz Mindanao weitreichende Autonomie einräumte. Versprechen, der Region wirtschaftlich unter die Arme zu greifen, kam Manila bisher jedoch nicht nach. Der Süden gilt nach wie vor als Armenhaus des Inselstaates. Gespräche über die Wirtschaftshilfen und weitere Autonomiepläne mit der Regierung, die zu Jahresbeginn anberaumt waren, fanden nicht statt. Die Geiselnahme von Europäern brachte den Rebellen der Abu Sayyaf weltweite Aufmerksamkeit und beachtliche Lösegeldzahlungen ein - womit sie weiter aufrüsten können. Das Lösegeld, offiziell als Entwicklungshilfe bezeichnet, kam nicht zuletzt auch den Einheimischen zugute und sicherte so den Rebellen weitere Unterstützung durch viele Bewohner der vernachlässigten Region. Die französischen Geiseln Roland Madura und Jean-Jacques le Garrec bestätigten nach ihrer Flucht aus der Abu-Sayyaf-Gewalt am Dienstag, dass die größte Gefahr auf dem Weg in die Freiheit von Einheimischen ausging. Auf Jolo sei jeder ein Komplize der Abu Sayyaf, sagte Madura. "Sie hätten uns sofort wieder an die Rebellen übergeben - gegen Belohnung aus dem Lösegeld. Für die Leute waren wir wandelnde Dollar-Millionen."

Sollte Estradas Militäroffensive weiterhin Zivilisten treffen, könnte dies die Rebellen und die Bevölkerung noch enger weiter zusammenschweißen. Nach Beobachtungen der Geiseln flog die Armee in den vergangenen Tagen vor allem Luftangriffe und "wahllose Bombenattacken". Eine solche Taktik spielt den Rebellen in die Hände - beweist sie doch in den Augen der Betroffenen, dass Jolo und die Moslems wieder einmal Opfer einer Aggression der Christen aus dem Norden seien.
Aus: Der Standard, 25.09.2000

"Um ihr Gesicht zu wahren, opfern sie Zivilisten"
Der philippinische Friedensaktivist Eliseo Mercado darüber, wie die Regierung Estrada die Geiselnahmen ausnutzt


Der philippinische Präsident Joseph Estrada kopiert seinen russischen Kollegen Wladimir Putin und poliert sein Image durch einen Krieg gegen Moslems auf. Diesen Vergleich zu Tschetschenien zieht der katholische Geistliche Eliseo Mercado angesichts der Bombardements im Süden der Philippinen und wirft der Weltgemeinschaft vor, nach der Freilassung der westlichen Geiseln wegzuschauen. Pater Eliseo Mercado war bis zur Armee-Offensive im Frühjahr auf Mindanao Vorsitzender der Waffenstillstandskommission. Jetzt setzt er sich als Präsident der Notre-Dame-Universität in Cotabato City für Frieden der Region ein. In dieser Woche war er zu Gast bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Mit ihm sprach FR-Redakteurin Brigitte Spitz.

FR: Seit fast zwei Wochen bombardiert die philippinische Armee die Insel Jolo, aber die Drahtzieher der Abu Sayyaf, die hinter den Geiselnahmen stecken, sind immer noch nicht gefasst. Überrascht Sie das?

Eliseo Mercado: Überhaupt nicht. Die philippinische Regierung hat die Offensive auf Jolo zwar als Geiselbefreiung und Kampf gegen die Abu Sayyaf ausgegeben. Für mich sieht es aber wie eine Invasion aus. 5000 Soldaten haben sie eingesetzt - Marine, Bodentruppen, Luftwaffe - und die Insel wahllos bombardiert. Bestialisch nenne ich das. Die Abu-Sayyaf-Kriminellen sind mobil, die erwischen sie so nicht. Es sind Zivilisten, die getroffen werden. Und während der Blockade konnten sie nicht einmal auf andere Inseln fliehen.

Was wissen sie über Folgen der Angriffe?

Wenn sie der Regierung glauben, sind bisher 105 Menschen umgekommen, angeblich alles Abu-Sayyaf-Leute, und 35 000 bis 45 000 Menschen sollen aus ihren Dörfern geflohen sein. Die Unabhängigkeitsbewegung Moro National Liberation Front (MNLF) spricht von mehr als 600 Getöteten und 100 000 Flüchtlingen auf Jolo.

Wenn Präsident Estrada durch die Offensive die Abu Sayyaf ohnehin nicht erwischen kann, was will er dann damit erreichen?

Er will sein Image verbessern. Während der Geiselnahme hat die Führung des Landes Ansehen verloren. Deshalb ist die Idee der Invasion auf den Philippinen sehr populär geworden. Die Regierung kann sich so rehabilitieren. Um ihr Gesicht zu wahren, opfern die Politiker Zivilisten. Und keiner verliert ein Wort über die Leiden der Menschen.

Haben die Geiselnahmen dem Präsidenten mehr geschadet oder am Ende gar genutzt?

Die Entführungen waren für die Regierung letztlich ein Segen. Denn der Schwerpunkt der Berichterstattung lag auf dem Schicksal der Geiseln auf Jolo. Und keiner interessierte sich für den Krieg im benachbarten Mindanao, wo die Regierung Ende April den Friedensprozess mit einer brutalen Militäraktion beendet hatte. Bei der Offensive gegen die Rebellengruppe Moro Islamic Liberation Front (Milf), der zweitgrößen Unabhängigkeitsgruppe, ist die Armee vorgegangen wie jetzt auf Jolo und hat wahllos bombardiert. Allein in Zentralmindanao sind nach offiziellen Angaben 350 000 Menschen vertrieben worden, nach Angaben von nichtstaatlichen Organisationen sind es eine halbe Million Menschen, die aus ihren Dörfern flüchten mussten. Das ist eine völlig Katastrophe.

Über die kaum berichtet wurde.

Ja, alle schauten auf Jolo. Und die Regierung schaffte es Dank Abu Sayyaf alle Rebellengruppen der Region in einen Topf zu werfen. In der philippinischen und der internationalen Berichterstattung wurden alle zu Terroristen gemacht. Mehr noch. Alle Moslems wurden dämonisiert - und es funktionierte. Das militärische Vorgehen auf den Philippinen ist vergleichbar mit dem was Putin in Tschetschenien gemacht hat. Der Präsident will durch einen Krieg an Popularität gewinnen. Und dadurch dass er alle islamischen Gruppen auf den Philippinen zu Terroristen macht, versucht Estrada internationale Unterstützung zu bekommen. Alle reagieren paranoid, wenn sie etwas von islamischen Fundamentalisten und Extremisten hören. Estrada schaffte es, dass auch die Milf-Rebellen zu Terroristen gestempelt werden. Die Welt kauft ihm das jetzt ab und schaut sonst weg. So gesehen kam der Regierung die Geiselnahmen sehr gelegen.

Wie unterscheiden sich denn etwa die Milf und die Abu-Sayyaf-Gruppe?

Von 1997 bis zur Regierungsoffensive Ende April auf Mindanao gab es einen Waffenstillstand und Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Milf. Es gab eine Annäherung zwischen den moslemischen und den katholischen Gemeinden. Während des Friedensprozesses hat sich gezeigt, das die Milf andere Glaubensrichtungen toleriert. Ich persönlich meine, dass obwohl sie in ihren Slogans einen islamischen Staat propagiert, die Milf zu Kompromissen bereit ist. Man muss nur den richtigen Rahmen finden. Im Gegensatz zur Milf hat die Abu Sayyaf keine politische Agenda. Sie gibt das nur vor. Die Herkunft dieser Gruppe liegt völlig im Dunkeln. Es gibt viele Leute, die sagen, es gibt Verwicklungen mit dem US- und philippinischen Militär. Die Leute, die die Abu Sayyaf in den frühen 90er Jahren gegründet haben, waren Leute, die in Afghanistan ausgebildet worden sind. Sie waren dort im anti-kommunistischen Kampf verwickelt - Mudschaheddin. Ein anderer Gründer, Angeles, war ein philippinischer Militär. Ein anderer Teil der Gruppe setzt sich aus Leuten zusammen, die nicht mit dem Friedensprozess der größten Moro-Organisation der MNLF einverstanden waren. Die Abu Sayyaf waren immer in kriminelle Aktionen verwickelte, die die geistlichen islamischen Führer stets verurteilt haben. Die Milf-Rebellen haben nichts mit den Abu-Sayyaf-Leuten zu tun.

Gibt es Zeichen der Hoffnung?

Wir sind in der Sackgasse und keiner weiß, wie wir rauskommen. Im Süden der Philippinen herrscht Krieg, der Moslems und Christen noch mehr polarisiert hat. Seit die Armee alle Milf-Camps besetzt hat, sind die Rebellen zur Guerilla-Taktik übergegangen und verkünden den Heiligen Krieg. Es gibt immer mehr Tote - und mit Estrada keine Friedensvisionen mehr.
Aus: Frankfurter Rundschau, 30.09.2000

Zurück zur Ausgangsseite "Philippinen"

Zurück zur Homepage