Philippinen: Zweite "Antiterrorfront" eröffnet
Washington und Manila erhöhen Druck auf kommunistische Kräfte im Norden des Inselstaates
Nachfolgend dokumentieren wir - leicht gekürzt - einen Artikel des Südostasien-Experten Rainer Wernig, der am 21. August 2002 in der Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien.
Von Rainer Werning
... In der philippinischen Politik gibt es eine Konstante. Seit der
Unabhängigkeit im Juli 1946 sind die
Sicherheitskräfte des südostasiatischen Landes mehr oder minder intensiv
mit
»Counterinsurgency« (Aufstandsbekämpfung) beschäftigt. Zielten die
Maßnahmen zunächst auf die
Zerschlagung der Volksbefreiungsarmee, die sich in den 40er Jahre gegen
die damalige japanische
Besatzung formiert hatte, gerieten Ende der 60er Jahre die
Kommunistische Partei der Philippinen
(CPP) und ihr bewaffneter Arm, die Neue Volksarmee, ins Visier der
Behörden.
Seit dem 11. September 2001 verstärkt sich die Aufstandbekämpfung wieder
– diesmal mit Hilfe
US-amerikanischer Spezialeinheiten. Irak-Kriegsgeschrei hin,
Somalia-Interventionsgerede her, es
sind die Philippinen, wo die »zweite Front gegen den weltweiten Terror«
eröffnet wurde. »Seitdem
die Philippinen aktiv in den Kampf gegen Osama bin Ladens
Al-Qaida-Netzwerk einbezogen sind«,
sagt Joel Virador, Mitglied der Menschenrechtsorganisation Karapatan im
südlichen Mindanao,
»häufen sich landesweit die Fälle, bei denen Leute ohne Haftbefehl
hinter Gefängnismauern
verschwinden oder schikaniert werden.« Und nicht nur im Süden des
Inselstaates – auf Mindanao,
Basilan und Jolo –, sondern auch in der Hauptstadt Manila wurden
Menschen unter dem Verdacht,
»Terroristen« zu unterstützen, verhaftet.
Karapatan hat allein seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Arroyo
im Januar letzten Jahres
125 Gewaltakte dokumentiert – darunter 50 mit tödlichem Ausgang. Darüber
hinaus wurden 2.600
Fälle untersucht, bei denen Mitglieder politischer Organisationen und
Bürgerrechtsgruppen
drangsaliert wurden. Die im Parlament vertretene linke Partei Bayan Muna
(Das Volk zuerst) hat
bereits 23 getötete Mitglieder zu beklagen, die von Sicherheitskräften
oder paramilitärischen
Verbänden umgebracht wurden. Schon Arroyos Vorgänger Joseph Estrada
hatte den »totalen
Krieg« gegen »die muslimischen Rebellen und Kommunisten« verkündet.
Anfang August
verschärfte Arroyo die Drohung noch einmal und erklärte der
kommunistischen Guerilla »den
allumfassenden, unerbittlichen Krieg«.
Trotz der deutlichen Worte äußerte sich Arroyos Berater Ex-General
Eduardo Ermita
zuversichtlich, mit der kommunistischen Dachorganisation – National
Demokratische Front der
Philippinen (NDFP) – eine umfassende Friedensregelung zu finden. Doch
Tatsache ist, dass
Verhandlungen längst gescheitert sind. Auch die bereits 1998 zwischen
beiden Seiten
ausgehandelten Abkommen über die Respektierung der Menschenrechte sowie
Immunitätsgarantien für die Unterhändler bilateraler Gespräche sind nur
noch Makulatur.
Arroyos Kriegserklärung erfolgte nicht zufällig, denn USA-Außenminister
Colin Powell hatte auf
seinem »Antiterror«-Swing durch Südostasien auch in Manila Station
gemacht. Kaum nach
Washington zurückgekehrt, setzte das State Department in arbeitsteiliger
»Counterinsurgency« die
philippinische Neue Volksarmee auf seine Liste ausländischer
Terrororganisationen. Das wiederum
veranlasste Manila, seinen Terrorismus-Vorwurf zu erweitern: Neben dem
Kampf gegen die
»muslimischen Rebellen« der Abu Sayyaf im Süden soll nun verstärkt gegen
die kommunistische
Guerilla im Norden vorgegangen werden. Opfer dieser Politik könnten
jedoch all jene (noch) legalen
und fortschrittlichen Organisationen werden, die öffentlich Position
gegen die Politik Manilas
beziehen.
Die im Süden für Unabhängigkeit eintretende Moro Islamische
Befreiungsfront befürchtet, als
nächste Organisation auf die Terror-Liste der USA gesetzt zu werden.
Immerhin unterhält sie enge
Kontakte zur NDFP und kooperiert mit Einheiten der Neuen Volksarmee in
taktischen Fragen. Die
bewaffneten Kader beider Gruppen – die Regierung schätzt die Stärke der
Verbände auf rund 12.500
Mann – sind noch immer eine formidable Kraft, die militärisch kaum zu
besiegen wäre.
Nachdem Außenminister Powell die Neue Volksarmee auf die Terror-Liste
seines Ministeriums
setzen ließ, reiste der philippinische Verteidigungsminister Angelo
Reyes nach Washington. In
Gesprächen mit seinem Kollegen Donald Rumsfeld ging es unter anderem um
eine langfristige
Militärkooperation zwischen beiden Ländern. Bereits im vergangenen Jahr
sind von den Vereinigten
Staaten 55 Millionen US-Dollar an sofortiger Militärhilfe zugesagt
worden, die nunmehr aufgestockt
werden dürften. Zudem sind seit Jahren Militärberater in dem Inselstaat
tätig, und USA-Einheiten
beteiligen sich aktiv an Kampfeinsätzen. Waren diese bis dato im Kampf
gegen die Abu Sayyaf im
Süden des Landes im Einsatz, soll ab Oktober ein Kontingent auf die
nördliche Hauptinsel Luzon
entsandt werden.
Fast zeitgleich mit dem Besuch von Verteidigungsministers Reyes in den
USA setzte Washington
alle diplomatischen Hebel in Bewegung, um seinerseits den Druck auf die
NDFP zu erhöhen. Im
Visier haben Powell und Rumsfeld nunmehr deren im niederländischen
Utrecht lebende Exilführung
– allen voran José Maria Sison. Der 63-jährige Sison war 1968 eines der
Gründungsmitglieder der
CPP und ihr erster Vorsitzender. Nach langjähriger Haft im Frühjahr 1986
von der damaligen
Präsidentin Corazon Aquino auf freien Fuß gesetzt, floh Sison mit seiner
Familie ins Ausland, da er
in seiner Heimat um Leib und Leben fürchten musste. Mehrere seiner
Vertrauten wurden bereits
von den philippinischen Sicherheitskräften erschossen. In einem
langwierigen Verfahren ersuchte
Sison in den Niederlanden um politisches Asyl. Und laut Aussagen der
niederländischen Behörden
habe der Oberste Gerichtshof gegen eine Auslieferung Sisons entschieden,
um die sich Manila
bemüht hatte.
Philippinische Geheimdienste gehen davon aus, Sison sei unter dem Namen
Armando Liwanag
noch immer Vorsitzender der CPP. Sein Konto sowie die Konten der
National Demokratische Front
will Washington nun sperren lassen und hat den niederländischen Behörden
eine entsprechende
Note zugeleitet. Roilo Golez, Sicherheitsberater von Präsidentin Arroyo,
schätzt die von der NDFP
zwischen 1999 und 2001 akquirierten Gelder auf jährlich rund 100
Millionen Pesos (etwa zwei
Millionen US-Dollar).
Das niederländische Außenministerium scheint dem Druck aus Washington
nachzugeben. Aus
Den Haag verlautete, es werde der Bitte aus den USA entsprechen. Im
vergangenen Jahr habe der
UNO-Sicherheitsrat zudem sämtliche Mitgliedsstaaten verpflichtet, Konten
von »terroristischen
Organisationen« einzufrieren. Den Haag sieht sich unter Zugzwang. Noch
vor wenigen Wochen
wurde im USA-Kongress laut darüber nachgedacht, notfalls mit
Spezialeinheiten zu intervenieren,
sollte ein US-amerikanischer Bürger vor den jüngst eingerichteten
Internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag zitiert werden. Es muss also befürchtet werden, dass es bald
eine niederländische Form
der »Counterinsurgency« geben wird.
Aus: Neues Deutscland, 21. August 2002
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