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Bleiernes Erbe

Philippinen: Gedenken an 40. Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts durch Präsident Marcos

Von Dominik Hammann (Manila) und Rainer Werning *

Zahlreiche politische Organisationen und Parteien erinnern am heutigen Freitag auf den Philippinen an den 21. September 1972. An diesem Tag, auf dem Höhepunkt der US-Aggression gegen Vietnam, Laos und Kambodscha, hatte der damalige philippinische Präsident Ferdinand E. Marcos landesweit das Kriegsrecht verhängt. Er begründete diesen Schritt damit, der »kommunistischen Subversion« und dem »muslimischen Sezessionismus« einen Riegel vorzuschieben und die Privatarmeen mächtiger Politiker zu zerschlagen. Die jeweils Ende der 1960er Jahre gegründete Kommunistische Partei (CPP) und ihre Guerillaorganisation Neue Volksarmee (NPA) sowie die Nationale Moro-Befreiungsfront (MNLF) im Süden des Landes hatten gegen Marcos mobil gemacht, der 1969 in einem Klima von Gewalt und Betrug wiedergewählt worden war. Der Ausnahmezustand verschaffte den Streitkräften den rechtlichen Rahmen, um ungezügelt gegen alles vorzugehen, was ihrer Meinung nach »links« und »umstürzlerisch« war. Eine auffällige Konstante in der Landespolitik ist bis heute das »Red-Baiting«, die Kommunistenhetze, geblieben. Dieser Begriff wurde in der einstigen Kolonialmacht USA geprägt, wo Senator Joseph McCarthy im Zuge des Kaltes Krieges eine von Paranoia gegenüber dem Kommunismus geprägte Epoche eingeleitet hatte. So mußten sich in den 50er Jahren Intellektuelle, Kunst- und Kulturschaffende und selbst die US-Bundesangestellten im Rahmen demütigender Untersuchungen im Kongreßausschuß für »unamerikanische Umtriebe« auf mögliche Verbindungen zur Kommunistischen Partei der USA überprüfen lassen. Die Behörden schufen innerhalb der Bevölkerung eine Atmosphäre der Furcht und Unsicherheit, um ein hartes Vorgehen gegen tatsächliche oder vermeintliche linksorientierte Staatsfeinde zu legitimieren.

Dieselbe Strategie ist seit der Marcos-Ära auch ein wesentlicher Bestandteil der Innenpolitik auf den Philippinen geblieben. Dazu gehören das öffentliche Anprangern mutmaßlicher Linker in ländlichen Gegenden, das Überwachen von Organisationen oder das Versenden von Todesdrohungen per SMS. Und noch immer gibt es zahlreiche Fälle des »Verschwindenlassens«, von Folter und außergerichtlichen Hinrichtungen. Selbst unter dem seit gut zwei Jahren amtierenden Präsidenten »Noynoy« Aquino sind bereits über 100 Personen Opfer solcher in der Regel ungesühnten Morde geworden. Unter Nutzung einer vagen Definition von Terrorismus im Rahmen des beschönigend »Human Security Act« genannten Gesetzes werden Verdächtigte überwacht, verhört oder auf unbestimmte Dauer inhaftiert.

Prominente Architekten dieser staatlichen »Sicherheitspolitik« sitzen auch heute noch unbehelligt an den Schalthebeln der Macht. Der 88jährige Juan Ponce Enrile, der unter Marcos Verteidigungsminister und eine der wichtigsten Stützen des Kriegsrechtsregimes war, ist gegenwärtig Senatspräsident. Im Oberhaus parliert er unter anderen mit Ferdinand »Bongbong« Marcos junior, der 2010 zum Senator gewählt wurde. Die umtriebige Witwe des Diktators, Imelda Romuáldez Marcos, ist seit Ende Juni 2010 Kongreßabgeordnete des zweiten Distrikts in Ilocos Norte, der Heimatprovinz ihres verstorbenen Mannes. Als Gouverneurin amtiert dort ihre älteste Tochter Imee. Auch eine Rückkehr in das höchste Staatsamt wollen die Marcos nicht ausschließen. Gefragt, ob auch sein Sohn oder Enkel eines Tages Präsident werden könnte, antwortete »Bongbong« erst kürzlich: »Alles ist möglich.« Eine Drohung an alle, die heute an den düsteren 21. September vor 40 Jahren erinnern. Deren Losungen sind deshalb brandaktuell: »Nie wieder Kriegsrecht«, »Aufklärung aller politischen Morde« und »Freilassung aller politischen Gefangenen!«

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. September 2012


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