Friedensschluss in Manila in weiter Ferne
Einigung zwischen Rebellen und philippinischer Regierung vom Obersten Gericht gestoppt
Von Thomas Berger, Bangkok *
Die Friedensbemühungen zwischen der Regierung und den islamischen Rebellen auf den
Philippinen scheinen wieder einmal gescheitert. Der Oberste Gerichtshof des Landes verwarf eine
Einigung Manilas mit der Islamischen Befreiungsfront der Moros (MILF) als Verfassungsbruch.
Es war eine denkbar knappe Entscheidung. 8 der 15 Richter des Supreme Court setzten sich aber
am Ende durch: Der Vertrag, der dem muslimisch dominierten Süden der Insel Mindanao endlich
hätte Frieden bringen sollen, widerspreche in dieser Form der aktuellen Verfassung, so die
Quintessenz des auf 89 Seiten Papier ausgeführten Urteils.
Scharf wurden die Regierung und ihr Unterhändler, General a. D. Hermogenes Esperon, dafür
kritisiert, nicht vorher juristischen Rat eingeholt zu haben, um das jetzige Debakel zu verhindern. Als
nicht möglich sieht es der Oberste Gerichtshof, wie geplant einige Verfassungsartikel entsprechend
zu ändern, um bestehende Widersprüche zu den Punkten des Abkommens zu beseitigen.
Damit ist wieder völlig offen, wie es in dem nun schon seit rund vier Jahrzehnten andauernden
Konflikt weitergeht, der bislang etwa 120 000 Todesopfer gefordert hat.
Beide Seiten zeigten sich in ersten Stellungnahmen bitter enttäuscht. Sprecher der Regierung
erklärten beinahe trotzig, aus ihrer Sicht alles richtig gemacht zu haben. Für Präsidentin Gloria
Macapagal Arroyo, deren Amtszeit nächstes Jahr endet, ist es auch eine persönliche Niederlage.
Sie hätte sich mit einem echten Friedensschluss nicht nur in den Geschichtsbüchern verewigt,
sondern auch ihre aktuelle Bedrängnis durch innenpolitische und wirtschaftliche Schwierigkeiten ein
wenig mildern können.
Auf Seiten der MILF, die Schätzungen zufolge 11 000 Kämpfer unter Waffen hält, ist es ein schwerer
Rückschlag für das Lager der moderaten Kräfte. Mohagher Iqbal, Chefunterhändler der Rebellen,
warnte denn auch schon, dass nun alle internen Kritiker der Einigung wieder Oberwasser
bekommen könnten.
Die jeweiligen Radikalen dürften in der Tat frohlocken, und von ihnen gibt es nicht gerade wenige. In
der einflussreichen katholischen Kirche ebenso wie im politischen Establishment waren immer
wieder Stimmen zu vernehmen, die vor zu vielen Zugeständnissen an die Aufständischen warnten.
Umgekehrt ist den Moros und ihren Vorkämpfern das Scheitern der beiden früheren
Friedensschlüsse in der Umsetzung der vereinbarten Punkte genau im Bewusstsein.
Erstmals hatte sich die Regierung 1973 im sogenannten Abkommen von Tripolis mit der anderen
großen Rebellenbewegung, der Nationalen Befreiungsfront der Moros unter Professor Nur Misuari,
auf ein Regelwerk verständigen können. Jedoch dauerte es fast ein weiteres Vierteljahrhundert, bis
1996 schließlich ein Autonomiepakt zustande kam.
Sechs Provinzen mit islamischer Mehrheitsbevölkerung erhielten in dem Papier als Region gewisse
Selbstbestimmungsrechte, Nur Misuari wurde als Gouverneur eingesetzt. Das von Libyen,
Indonesischen und der Islamischen Konferenz vermittelte Abkommen zeigte aber bald neue
Schwächen. Zudem rächte sich, dass die MILF als zweite Gruppe nicht beteiligt war, und 1999/2000
trat zudem die radikale Abu Sayyaf, der enge Bindungen zu Al Qaida nachgesagt werden, auf den
Plan. Der Konflikt weitete sich unter Arroyos Amtsvorgänger Joseph Estrada damit wieder zum
regelrechten Krieg aus.
Noch immer wagt eine sechsstellige Zahl von Flüchtlingen nicht, in ihre Heimatdörfer
zurückzukehren. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte diese Zahl der durch die Kämpfe
Entwurzelten sogar fast eine Million betragen. Süd-Mindanao ist nach wie vor eine der ärmsten
Regionen des Landes, und ihre muslimischen Bewohner, anders als die sonst meist katholischen
Filipinos, fühlen sich durch die Mehrheitsgesellschaft diskriminiert. Eine kulturelle
Gleichberechtigung beispielsweise im Bildungssystem hatte auch nach dem Friedensschluss von
1996 nicht Einzug gehalten. Zudem hat der globale »Krieg gegen den Terror« der USA, als
ehemalige Kolonialmacht bis heute ein wichtiger Verbündeter der Regierungen in Manila, etliche
Moros unter Generalverdacht der Unterstützung von Terroristen gestellt.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2008
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