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Das Tor zum Osten

4. Juli 1902: Vor 110 Jahren endete der Amerikanisch-Philippinische Krieg

Von Rainer Werning *

»Geradewegs hinter den Philippinen liegen Chinas schier unermeßliche Märkte. Wir werden unseren Teil in der Mission unserer von Gott geschützten Rasse bei der Zivilisierung der Erde beitragen. Wo werden wir die Abnehmer unserer Produkte finden? Die Philippinen geben uns einen Stützpunkt am Tor zum Osten.«
(Der aus dem US-Bundesstaat Indiana stammende republikanische Senator Albert Jeremiah Beveridge am 9. Januar 1900 in seiner Rede vor dem US-Kongreß)

Ende des 19. Jahrhunderts waren amerikanische Siedler bis an die Westküste vorgedrungen. Seit etwa 1890 wurde es laut um den Stillen Ozean. Sollten die Amerikaner dieses Meer zur amerikanischen See machen? Diese Streitfrage spaltete die Vereinigten Staaten in sogenannte Isolationisten und Interventionisten beziehungsweise Imperialisten. Erstere meinten, die USA genügten sich selbst und ihr Territorium stelle einen ausreichend großen Binnenmarkt dar. Die Befürworter einer imperialistischen Strategie waren Leute unterschiedlicher Provenienz – Geistliche, Politiker, Geschäftsleute und Intellektuelle –, die im Wettstreit mit den europäischen Kolonialmächten nicht zu kurz kommen wollten.

Der Drang in den »Wilden Westen« beruhte auf der ungestümen wirtschaftlichen Entwicklung an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Industrialisierung beschleunigte die Konzentration und Expansion von Kapital, das lukrative Anlagemöglichkeiten und neue – notfalls auch fremde – Märkte suchte. Einziger ernst zu nehmender Konkurrent der aufstrebenden Vereinigten Staaten war Spanien, das sich seit dem 16. Jahrhundert in Südamerika, in der Karibik und auf den Philippinen als Kolonialmacht festgesetzt hatte. Um 1900 jedoch war Spaniens Imperium bereits beträchtlich geschrumpft; frühere Kolonien wie Mexiko und Argentinien waren längst unabhängig geworden. Lediglich Puerto Rico, Kuba, die Inseln Guam und die Philippinen im Pazifischen Ozean befanden sich noch in spanischem Besitz. Doch auch in diesen Regionen schwächten antikoloniale Revolten die einst sieggewohnten Konquistadoren.

Anschlag auf »USS Maine«

Am 15. Februar 1898 erhitzte ein ungeheuerlicher Vorgang in den Gewässern vor der kubanischen Hauptstadt Havanna die Gemüter in den Vereinigten Staaten. Das amerikanische Kriegsschiff »USS Maine« flog in die Luft. Für amerikanische Militärs und Politiker stand außer Frage: Die Spanier hatten einen Sabotageakt verübt. Jedenfalls lieferte das Schicksal der Maine den Vorwand, endlich gegen die spanische Kolonialmacht loszuschlagen. »Remember the Maine!« – »Erinnert Euch an die Maine!« – wurde zum gängigen Schlachtruf der Interventionisten. Innerhalb weniger Wochen erlangten US-amerikanische Marineverbände und Bodentruppen die Oberhoheit über Kuba und verleibten sich Puerto Rico ein. Gleichzeitig annektierten sie im Pazifik das bisher unabhängige Hawaii und die Insel Guam, während das Pazifikgeschwader unter dem Befehl von Kommodore George Dewey die spanische Flotte in der Bucht von Manila aufrieb. Die Hoffnungen der antispanischen Revolutionäre, die mächtigen USA stünden ihnen in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit zur Seite, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Die Vereinigten Staaten avancierten selbst zu einer Kolonialmacht.

Glühende Imperialisten wie Senator Beveridge interessierte nicht, daß der philippinische General und damalige Revolutionär Emilio Aguinaldo bereits am 12. Juni 1898 die erste Republik Asiens ausgerufen hatte. (Später legte derselbe Aguinaldo den Treueid auf das Sternenbanner ab, der Auftakt einer Serie fataler Kollaborationen.) Pech für die Filipinos; diese Unabhängigkeit war kurzlebig. Die Fern­ostflotte der U.S. Navy hatte zwar einige Wochen zuvor binnen weniger Stunden am 1. Mai 1898 die maroden spanischen Kriegsschiffe in der Manila-Bucht außer Gefecht gesetzt. Doch erst Ende Juni betraten US-amerikanische GIs philippinischen Boden und damit faktisch ein schon unabhängiges Land.

Kolonialmassaker

Die Filipinos leisteten auch den neuen Kolonialherren erbittert Widerstand. Um diesen zu brechen, begannen amerikanische Truppen mit der »Befriedung« der Inseln: Die Folge war der Amerikanisch-Philippinische Krieg. Er begann am 4. Februar 1899 und endete offiziell am 4. Juli 1902.

In dem bis dahin größten Kolonial­massaker in Südostasien wurde die damals gut sechs Millionen Menschen zählende Bevölkerung der Philippinen dezimiert. Einige Schätzungen sprechen sogar von über einer Million niedergemetzelter Filipinos. Es war der erste Guerillakrieg in Asien, in den insgesamt etwa 150000 GIs der US-amerikanischen Streitkräfte verstrickt waren und in dem auch knapp 4200 Mann ihrer Truppen getötet wurden. Während des Krieges erprobte die neue Kolonialmacht sämtliche Methoden der »Aufstandsbekämpfung«, die später in Korea und Vietnam »verfeinert« werden sollten – von Nahrungsmittelblockaden bis hin zum »Strategic Hamletting«, der Errichtung »strategischer Weiler«. Dadurch sollten die Außenkontakte von Menschen in einer bestimmten Region eingeschränkt beziehungsweise genau überwacht werden. Zu diesem Zweck wurde in dem Gebiet streng patrouilliert, es wurde mit Stacheldraht umzäunt und die Bevölkerung angewiesen, eine Seitenwand ihrer – meist aus Bambus oder Nipa gefertigten – Häuser zu entfernen, um diese »durchsichtig« zu machen. Ziel war es, die Zivilbevölkerung von potentiellen »Aufrührern« zu trennen. Später nannte man dies: »der Guerilla das Wasser abgraben«.

Im »Mutterland« selbst war diese Art Außenpolitik keineswegs unumstritten. Scharfe politische Proteste gegen den Krieg in den Philippinen hagelte es seitens der rührigen Antiimperialistischen Liga. Deren Vizepräsident war von 1901 bis zu seinem Tode 1910 der mittlerweile berühmte Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens alias Mark Twain. Er begründete seine Haltung mit den Worten: »Noch vor einem Jahr war ich kein Antiimperialist. Ich dachte, es sei eine großartige Sache, den Filipinos ein großes Stück an Freiheit zu geben. Heute allerdings glaube ich, es ist besser, daß die Filipinos sich selbst darum kümmern.« Nachdem bis Frühjahr 1902 die meisten Generäle des philippinischen Widerstands Niederlagen erlitten oder kapituliert hatten, wähnte sich die US-Regierung unter Theodore Roosevelt stark genug, den Krieg am 4. Juli 1902 offiziell für beendet zu erklären. Doch im vorwiegend muslimisch geprägten und von »Moros« besiedelten Süden der US-Kolonie dauerte der amerikanische »Befriedungsfeldzug« bis 1912 beziehungsweise 1916 an. Nach dem dort als »Schlächter der Moros« bekanntgewordenen US-General John J. Pershing wurden Jahrzehnte später jene Raketen benannt, die von der NATO in Westeuropa disloziert wurden, um die Sowjetunion von einem vermeintlich bevorstehenden militärischen Erstschlag abzuhalten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. Juli 2012

Messianisches Sendungsbewußtsein

Bevor US-Präsident William McKinley am 21. Dezember 1898 die Annexion der Philippinen öffentlich als »Wohlwollende Assimilierung« (Benevolent Assimilation) proklamierte, hatte er vier Monate zuvor in einer Ansprache an eine Gruppe protestantischer Geistlicher begründet, warum sich die USA des Archipels bemächtigen mußten:

»In Wahrheit wollte ich die Philippinen nicht, und als wir sie als Geschenk der Götter bekamen, wußte ich nichts mit ihnen anzufangen. Ich lief Abend für Abend bis Mitternacht im Weißen Haus umher; und ich schäme mich nicht zu gestehen, daß ich niederkniete und den Allmächtigen mehr als einmal um Licht und Führung anging. Und eines Abends spät dämmerte es mir: Erstens, daß wir sie nicht an Spanien zurückgeben könnten – das wäre feige und unehrenhaft; zweitens, daß wir sie nicht Frankreich oder Deutschland – unseren Handelsrivalen im Osten – überlassen konnten; das wäre schlechter Geschäftsstil und diskreditierend; drittens, daß wir sie nicht einfach sich selbst überlassen konnten; sie waren nicht reif für die Selbstregierung, sie hätten dort bald Anarchie und eine schlimmere Mißwirtschaft gehabt, als es die spanische war; viertens, daß uns nichts übrig blieb, als die Filipinos zu erziehen, sie emporzuheben, zu zivilisieren und zu christianisieren und mit Gottes Gnade das Beste für sie zu tun wie für unsere Mitmenschen, für die Christus ebenso gestorben ist. Dann ging ich zu Bett und schlief ein und hatte einen gesunden Schlaf. Am nächsten Morgen ließ ich dann den Chefingenieur des Kriegsministeriums, unseren Kartographen, rufen und befahl ihm, die Philippinen auf die Landkarte der Vereinigten Staaten zu setzen, und dort sind sie, und dort werden sie bleiben, solange ich Präsident bin.«

Zitiert nach: Bernard A. Weisberger: Reaching for Empire. New York: Time, 1964. (The Life History of the United States, Vol 8: 1890–1901), S. 138f.




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