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Helfer suchen Hilfe

Drei Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes seit fast zwei Monaten auf der südphilippinischen Insel Jolo entführt

Von Rainer Werning *

Mitte Januar meldete sich die südphilippinische militante Untergrundorganisation Abu Sayyaf (ASG) publicityträchtig zurück. Auf der Insel Jolo entführte sie drei Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Deren Schicksal ist knapp zwei Monate nach ihrer Entführung ebenso ungewiß wie die Sicherheitslage in der Region prekär bleibt.

Am 15. Januar hatten der Schweizer Andreas Notter, der Italiener Eugenio Vagni und die Filipina Mary Jean Lacaba im Auftrag des IKRK gerade eine Wasser- und Sanitäranlage des Provinzgefängnisses in Patikul auf Jolo inspiziert, als sie von bewaffneten Männern gekidnappt wurden. Wenig später zeigten philippinische Medien die drei Geiseln zusammen mit Albader Parad, einem auf Jolo agierenden Führungsmitglied der ASG. Parad war gerade 17 oder 18 Jahre alt, als er bereits vor neun Jahren an der Geiselnahme mehrerer westeuropäischer Touristen (darunter auch die Göttinger Familie Wallert) auf der ostmalaysischen Ferieninsel Sipadan beteiligt war. Am Ostermontag 2000 waren die Geiseln in einer spektakulären grenzüberschreitenden Aktion nach Jolo verfrachtet und erst nach monatelangem diplomatischem Gerangel, medialem Voyeurismus und Lösegeldpoker -- insgesamt sollen elf Millionen US-Dollar an Lösegeldern gezahlt worden sein -- wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Alain Aeschlimann, verantwortlich für die IKRK-Operationen in Ost- und Südostasien sowie im Pazifik, zeigte sich in ersten Stellungnahmen besorgt über das Schicksal der drei Entführten. Anfänglich, so Aeschlimann, hätten diese telefonisch Kontakt zu ihren Familien und dem IKRK-Hauptsitz in Genf halten und zumindest benötigte Medikamente empfangen können. Doch über den genauen Aufenthaltsort der Geiseln werde lediglich spekuliert, erklärte der IKRK-Funktionär im einem Interview Ende Februar. Am 28. Februar berichtete die auflagenstarke Tageszeitung Philippine Daily Inquirer im Aufmacher über das Los der Entführten. »Es ist mittlerweile sehr hart und schmerzhaft -- körperlich und emotional... Tun Sie bitte alles, damit unser Leiden so schnell wie möglich ein Ende findet«, berichtete Lacaba der Reporterin in einem Telefoninterview.

Nicht nur erschweren gebirgiges Dschungelterrain, Hitze und extreme Luftfeuchtigkeit das Leben von Außenstehenden auf Jolo. Wie bei zig anderen Geiselnahmen zwangen die Kidnapper ihre Geiseln zu langen Fußmärschen, um militärische Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitskräften zu vermeiden oder sie anderen Gesinnungsgenossen »zur Verwahrung« zu überlassen. Da Albader Parad in der Hierarchie der in zahlreichen Orten Jolos operierenden ASG-Anhängerschaft, deren aktuelle Größe ungewiß ist (Schätzungen des philippinischen Militärs schwanken zwischen knapp 200 und über 1 000 ASG-Mitgliedern), keine Spitzenfunktion innehat, kann es sehr wohl sein, daß sich die IKRK-Geiseln mittlerweile in der Gewalt höherrangiger ASG-Kader wie Gumbahali Jumdail alias Dr. Abu Pula, Radulan Sahiron oder Yasser Igasan befinden. Diese Personen genießen als Exmitglieder der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) beträchtlichen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung. Von der MNLF unter Führung des ebenfalls aus der Region stammenden Nur Misuari wandten sie sich in den 1990er Jahren ab, als letzterer mit der Regierung in Manila Verhandlungen aufnahm und mit ihr schließlich Anfang September 1996 einen Friedenspakt schloß. Da die ASG in der Sicht US-amerikanischer Militärstrategen als Teil der in Südostasien operierenden Jemaah Islamiyah gilt, die ihrerseits dem Al-Qaida-Netzwerk angehören soll, vermutet man, daß sie auf Jolo mit Umar Patek und Dulmatin auch zwei international gesuchte Jemaah-Islamiyah-Mitglieder hofiert. Beide gelten als Drahtzieher des Anschlags auf der indonesischen Ferieninsel Bali am 12. Oktober 2002, bei dem 202 Menschen, hauptsächlich australische Touristen, ums Leben kamen.

Bislang, das jedenfalls behauptet die Vizegouverneurin der Provinz Sulu, Anne Sahidullah, sei seitens der Kidnapper kein Lösegeld für die Freilassung der drei IKRK-Mitarbeiter gefordert worden. Die Kidnapper hätten lediglich darauf gedrängt, die vor Ort massierten Militärtruppen abzuziehen, bevor überhaupt »mit irgendeiner Person oder einer Gruppe« über das Schicksal der Geiseln verhandelt würde. Während Provinzgouverneur Abdusakur Tan (im Sommer 2000 war er ebenfalls Gouverneur, dessen Privatresidenz damals als eine Art Clearing-Stelle bei der Lösegeldzahlung und Freilassung der ASG-Gefangenen diente) als oberster Krisenmanager und Verteidigungsminister Gilbert Teodoro eine starke Militärpräsenz vor Ort befürworten und Lösegeldzahlungen strikt ablehnen, kritisiert die gegenwärtig größte und bedeutendste muslimische Widerstandsorganisation, die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF), dies als heuchlerisch und gefährlich. »Eine solche Haltung«, erklärte Khaled Musa, stellvertretender Vorsitzender des MILF-Informationskomitees, Ende Februar, »könnte man allenfalls verstehen, wenn die Regierung in der Vergangenheit noch nie mit Kidnappern verhandelt oder Lösegeld gezahlt hätte... Jetzt aber setzt man leichtfertig das Leben der Opfer aufs Spiel zu Lasten einer Staatspolitik, die in der Vergangenheit nie gefruchtet hat«, sagte Musa. Und er fügte hinzu, daß die Regierung letztlich Lösegeldzahlungen an Kidnapper leistete oder duldete, wenngleich sie öffentlich und kompromißlos eine »Kein Lösegeld-Politik« propagiert hatte.

* Aus: junge Welt, 9. März 2009


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