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Unheilige Allianzen

Philippinen: Regierung läßt Anklage gegen Massaker-Beschuldigte fallen

Von Thomas Berger, Manila *

Kritische Senatoren, Medienvertreter, Bürgerrechtsgruppen und sogar katholische Geistliche sind sich in ihrer Sorge einig: Gerechtigkeit und vollständige Aufklärung im Fall des Massakers von Maguindanao wird es wahrscheinlich nicht geben. Das Justizministerium hat offiziell die Mord- und Aufstandsanklage gegen zwei der Beschuldigten aus dem Ampatuan-Clan fallenlassen.

57 Personen, darunter 32 Medien­vertreter, waren am 23. November 2009 bei einer Aktion getötet worden, die offensichtlich aus dem Machtkampf zweier Familien resultierte. Die Ampatuans wollten einem anderen, früher mit ihnen verbündeten Clan eine Lektion erteilen, der gewagt hatte, ihre Vorherrschaft in der Autonomen Region des Muslimischen Mindanao (ARMM) im Süden des Landes in Frage zu stellen. Familienoberhaupt Andal Ampatuan Sr., ein enger Verbündeter von Präsidentin Gloria Arroyo, soll mit Verwandten und weiteren Vertrauten den Hinterhalt geplant haben. Er sowie seine drei Söhne Andal Jr., Zaldy (suspendierter Gouverneur von ARMM) und Sajid (Gouverneur von Maguindanao) gehören zu sechs Familienmitgliedern, die verhaftet wurden – insgesamt stehen 23 Angehörige des Clans auf der Beschuldigtenliste. Zaldy Ampatuan kann zwar für den Tag des Massakers ein Alibi vorweisen; er war an jenem 23. November in der Inselhauptstadt Davao. Mindestens ein Zeuge ist sich aber sicher, daß auch dieser Sohn des Patriarchen an der Planungsrunde für das Blutbad am Vortag teilgenommen habe. Insgesamt wurde 197 Angeklagten eine Beteiligung an der Verschwörung, der Planung und Ausführung des Massakers zur Last gelegt.

Ein Aufschrei der Empörung war die Reaktion auf die Nachricht aus dem Justizministerium, handelt es sich doch augenscheinlich um eine politisch motivierte Entscheidung. Über enge Vertraute habe die scheidende Staatschefin Gloria Macapagal-Arroyo persönlich eingegriffen, um die Ermittlungen zu einem der schlimmsten Blutbäder der jüngeren philippinischen Gesichte zu sabotieren und Mitverantwortliche vor einer Bestrafung zu bewahren, so der allgemeine Vorwurf.

Daß Justizminister Alberto Agra, ein enger Vertrauter der Präsidentin, an dieser vorbei gehandelt haben soll, kann sich niemand vorstellen. Arroyo selbst habe hinter den Kulissen zugunsten von Zaldy eingegriffen, um sich für die am 10. Mai anstehenden Wahlen die Hilfe der Ampatuans zu sichern. Die Eile, mit der die Anklagen fallengelassen wurden, sei in Verbindung zum bevorstehenden Wahltermin »mehr als eigenartig«, so ein Senator. Auch Bischof Deogracias Iniguez, Sprecher der Katholischen Bischofskonferenz der Philippinen, äußerte erhebliche Zweifel, daß es bei der Entscheidung mit rechten Dingen zugegangen sei.

Während der Vertreter des Klerus und kritische Politiker sich in der Wortwahl noch zurückhalten, kennt die Empörung bei den Hinterbliebenen der Opfer des Massakers und ihren Anwälten keine Grenzen. »Vergeßt Gerechtigkeit. Vergeßt das Gesetz. Vergeßt Demokratie«, lautet ein Statement der philippinischen Journalisten-Union (NUJP). Drei ihrer Vertreter gehörten zu den Sprechern einer Protestveranstaltung, die am Sonnabend stattfand. Auch Julius Mariveles, Präsident des Negros Presseclubs, warnte vor der Signalwirkung der Entscheidung des Justizministeriums. »Sie sendet gerade jetzt vor der Wahl die Botschaft, daß Warlords willkürlich und ohne Angst vor Verfolgung töten können.«

* Aus: junge Welt, 22. April 2010


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