Philippinen: Misuaris letztes Gefecht
Ex-Chef der Moro Nationalen Befreiungsfront festgenommen. Gewalteskalation auf Südphilippinen
Von Rainer Werning
Nur Misuari, Gründungsvorsitzender der ältesten, Ende der
1960er Jahre gegründeten und lange Zeit bedeutendsten
muslimischen Widerstandsorganisation auf den Südphilippinen,
der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF), ist politisch am
Ende. Sein letztes Gefecht begann am Montag vergangener
Woche auf der Insel Jolo und endete unzeremoniell im
Morgengrauen am Samstag im ostmalaysischen Bundesstaat
Sabah, wohin er sich mit einem Schnellboot abgesetzt hatte.
Malaysische Grenzpolizisten griffen ihn und sechs seiner
Gefolgsleute auf und halten ihn zur Zeit in Sabahs Hauptstadt,
Kota Kinabalu, fest. Obgleich zwischen Malaysia und den
Philippinen kein Auslieferungs-Abkommen besteht, dürften
Misuari und die anderen Festgenommenen wohl in wenigen
Tagen den philippinischen Behörden übergeben werden. In
Manila droht ihnen der Prozeß wegen Rebellion. Ein bitteres
Finale für einen Mann, der sich große historische Verdienste um
die muslimische Bevölkerung der Philippinen erworben hatte
und sich gern in der Rolle eines »Arafat der Moros« gesehen
hätte. Letztlich aber scheiterte er auf der ganzen Linie: Selbst
innerhalb seiner Organisation war er zum Schluß isoliert, als
»Opportunist« und »Verräter« geächtet.
Die Politisierung des aus Kabingaan (Tapul-Gruppe in der
Sulu-See) stammenden Nur Misuari erfolgte in der linken
Studenten- und Jugendorganisation Kabataang Makabayan
(Patriotischen Jugend; gegründet Ende 1964 von dem
späteren Gründungsvorsitzenden der Kommunistischen Partei,
CPP, José Maria Sison) in Manila, wo er Politik studierte und
zeitweilig lehrte. Anfang der siebziger Jahre setzte er sich ins
Ausland ab und verbrachte die Jahre bis 1986/87 vorwiegend
in Libyen und anderen Ländern des Nahen und Mittleren
Ostens. Politisch-diplomatisch unterstützt wurde die MNLF
seitdem von der Organisation der Islamischen Konferenz
(OIC), in der sie Beobachterstatus hat. Das Tripolis-Abkommen
vom 23. Dezember 1976 und das sogenannte Endgültige
Friedensabkommen vom 2. September 1996 markierten die
Abwendung der MNLF von ihrem ursprünglichen Maximalziel,
auf den Südphilippinen eine unabhängige »Bangsa Moro
Republik« zu schaffen. Misuari wurde zwar Vorsitzender des
südphilippinischen Friedens- und Entwicklungsrates sowie
Gouverneur der lediglich aus vier Provinzen bestehenden
Autonomen Region in Moslem Mindanao (ARMM) – über die
Neubesetzung des Gouverneursposten wird am heutigen
Montag in Wahlen entschieden. Gleichzeitig gingen Musuaris
Gefolgsleute von einst auf Distanz und ziehen ihn der
»Kapitulation«, weshalb er auch als Vermittler im Geiseldrama
auf Jolo im Sommer letzten Jahres scheiterte. Als Administrator
hatte Misuari wenig vorzuweisen. Überdies zog Misuari
Auslandsreisen und das Verweilen in Fünf-Sterne-Hotels in
Manila einem Leben in seiner Residenz von Cotabato City vor.
Im Frühjahr 2001 erklärte schließlich ein 15köpfiges
Exekutivkomitee der MNLF ihren Gründungsvorsitzenden für
abgesetzt und stufte Misuari zum »Chairman Emeritus« herab.
Ende Oktober 2001 unterzeichneten die Misuari-kritischen
Elemente der MNLF und die bereits in den 70er Jahren von ihr
abgespaltene, heute indes einflußreichste Moro-Organisation,
die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF), eine Vereinbarung,
künftig stärker zu kooperieren und den Vereinigungsprozeß
beider Organisationen zu beschleunigen. Eine Politik, die
gegenwärtig tatkräftig seitens des libyschen Botschafters in
Manila, Salem Adem, unterstützt und offensichtlich auch von
der aus 56 Mitgliedstaaten bestehenden OIC befürwortet wird.
Aus Verbitterung über dieses jähe Ende seiner politischen
Laufbahn griff ein Misuari noch ergebenes Kontingent von
etwa 400 bewaffneten Kämpfern, unterstützt von Mitgliedern
der Abu-Sayyaf-Gruppe, im Morgengrauen des 19. November
Stellungen der philippinischen Streitkräfte in Jolo City an,
wobei mindestens 120 Soldaten und Zivilisten den Tod fanden.
Misuaris Recken mußten in die nahegelegenen Berge
ausweichen, während er selbst mit einem Schnellboot nach
Malaysia entkommen, doch dort nur wenige Tage in Freiheit
verbringen konnte.
Zwischenzeitlich wurde in Zamboanga City der
Ausnahmezustand verhängt und der Schulunterricht bis auf
weiteres eingestellt. Statt Friedensperspektiven herrscht auf
den Südphilippinen erneut (Bürger-)Kriegsstimmung. Für die
erklärtermaßen enge Waffenbrüderschaft zwischen Manila und
Washington eine höchst willkommene Chance, stärker denn je
mit den Säbeln zu rasseln und den »bedingungslosen Kampf
gegen den Terrorismus« zu schüren. Präsidentin Gloria
Macapagal-Arroyo, erst Ende vergangener Woche von einem
Staatsbesuch aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, ist
in Kriegslaune. 100 Millionen US-Dollar hat sie dort an
zusätzlicher Militärhilfe eingeheimst und das sogenannte
Mutual Logistics Support Agreement (MLSA) eingefädelt. Dieses
Abkommen, dessen Vorläufer, das Acquisition Cross-Servicing
Agreement (ACSA), noch im Jahre 1997 gescheitert war, gibt
den USA auf den Inseln weitreichende Vollmachten und
garantiert ihren Streitkräften größtmögliche logistische
Unterstützung vom philippinischen Counterpart. Bis Ende
November, so die gleichermaßen von Manila und Washington
gesetzte Frist, soll die Abu-Sayyaf-Gruppe ausgemerzt sein.
Die Eskalation von Gewalt ist mithin programmiert.
Aus: junge welt, 26. November 2001
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