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Blutkaffee und Wasserlilien

David gegen Goliath: Seit sechs Jahren streiken Arbeiter des Nestlé-Werks im philippinischen Cabuyao. Ein ungleicher Kampf, zumal Manila vor dem Weltkonzern lieber kuscht als aufmuckt

Von Rainer Werning *

»Nestlés alles überspannendes Prinzip ist es, jedem Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, sein oder ihr Potential in höchstem Maße zu entwickeln.« (Aus dem firmeneigenen The Nestlé People Development Review, CH-Vevey, März 2003, S. 5)

Wir werden weiter kämpfen!«, hieß es trotzig auf mitgebrachten Spruchbändern und Plakaten, und die etwa 140 Arbeiter der Nestlé-Fabrik im 40 Kilometer südlich der philip­pinischen Manila gelegenen Cabuyao stimmten Kampflieder an. Am Nachmittag dieses Streiktages im Januar 2008 demonstrierten sie zur nahe gelegenen Nationalstraße, wo sie weitere Spruchbänder entrollten und die Porträts von Meliton Roxas und Diosdado Fortuna zeigten, zweier ermordeter Kollegen. Derweil riegelten Polizisten, unterstützt von Einheiten des Regionalen Sondereinsatzkommandos in Kampfuniform, die Werkstore 1 und 2 hermetisch ab – offensichtlich, um den Bau von Barrikaden zu verhindern.

Schließlich erreichte der Protestmarsch Tor 1. Die Abschlußkundgebung begann. »In diesen sechs langen Jahren des Kampfes«, sagte Luz Fortuna, die Witwe von Diosdado, mit zittriger Stimme, »haben wir gelernt, sich vor nichts mehr zu fürchten. Wir kämpfen für unsere Belange, bis endlich Gerechtigkeit herrscht.« Grußbotschaften aus dem In- und Ausland wurden verlesen; Gewerkschaftsmitglieder von Nissan Motors, Yarn Ventures Resources sowie anderer Firmen bekundeten ihre Solidarität.

Dann sprach Noel Alemania. Der Präsident der Nestlé-Gewerkschaft Union of Filipro Employees (UFE) und stellvertretender Generalsekretär von PAMANTIK, des regionalen Ablegers der militanten Gewerkschaft Kilusang Mayo Uno (Bewegung 1. Mai, KMU), ging mit der Präsidentin der Philippinen hart ins Gericht. »Jeder, der über einen klaren Verstand verfügt«, so Alemania, wisse, »daß sich Gloria Macapagal-Arroyo nie ernsthaft um die Belange der Menschen gekümmert hat. Sie hofiert das große Kapital, anstatt Gesetze zu befolgen, die, wie es allein zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vorsehen, den Streikenden in der Auseinandersetzung mit dem Nestlé-Management geholfen hätten.«

Nach sechsjähriger Auseinandersetzung, so Alemania weiter, bleibe »keine andere Wahl, als unseren Kampf bis zum Sieg fortzuführen«. Weiterhin werde man sich gegen das Nestlé-Management sowie die arbeiter- und menschenverachtende Politik des Arroyo-Regimes wehren. Viele Opfer seien gebracht worden. Die meisten Kinder der Streikenden mußten den Schulbesuch abbrechen, weil ihn die Eltern nicht mehr bezahlen konnten. Und drei Viertel aller Streikenden hätten bereits ihre Häuser verlassen müssen, weil sie die Miete oder aufgenommene Darlehen nicht mehr aufbringen konnten. 2003 im Juni war es zudem zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, als Sicherheitskräfte und von der Firmenleitung angeheuerte Schläger wahllos auf die Streikenden eindroschen und 50 von ihnen teils schwer verletzten.

Am 14. Januar 2002 waren die etwa 700 Beschäftigten von Nestlé Philippines in den Streik getreten, um ihre Forderung nach einer betrieblichen Altersrente durchzusetzen. Der Ausstand wurde, nachdem sich die gegnerische Seite nicht bewegte, erbittert geführt – bis heute. Tatsächlich scheint eine Einigung oder glimpfliche Lösung des Konflikts noch während der Amtszeit von Frau Arroyo kaum möglich.

Die wegen massiver Manipulationen bei vergangenen Wahlen und Korrup­tionsaffären heftig in die Kritik geratene und in der Bevölkerung zunehmend unpopulärer werdende Präsidentin hat offiziell noch eine Amtszeit von zwei Jahren vor sich. Dabei stützt sie sich, gedeckt vom Militär und unterstützt von der einstigen Kolonialmacht USA, immer mehr auf den Einsatz knüppelnder Polizisten und schießwütiger Todesschwadronen.

Straffreiheit für Mörder

Im »Kampf gegen den Terror« sind Manila alle Mittel recht, »Ruhe und Frieden« im Innern zu sichern. Offener Krieg gegen »muslimische Rebellen« im Süden des Archipels werden landesweit ergänzt durch »Befriedungsaktionen« gegen fortschrittliche und linke politische Gruppierungen, Arbeiter-, Gewerkschafts- und Bauernführer, kritische Journalisten und engagierte Ordensleute. Nahezu 900 Menschen sind seit dem Amtsantritt von Frau Arroyo am 20. Januar 2001 Opfer sogenannter »außergerichtlicher Hinrichtungen« geworden. Die Täter – sie werden in den meisten Fällen Militär- oder Polizeieinheiten zugerechnet – befinden sich fast alle auf freiem Fuß, eine Strafverfolgung erfolgt, sofern überhaupt, nur halbherzig, und rechtskräftige Verurteilungen sind illusorisch.

In einer solchen von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wiederholt beklagten Kultur der Straffreiheit verwundert es nicht, daß Demonstrationen, Protestmärsche und Streiks immer häufiger gewaltsam aufgelöst oder gar nicht erst genehmigt werden. Bürgerliche Rechte werden immer stärker beseitigt. Der nationale Vorsitzende der militanten KMU-Gewerkschaft, Elmer Labog, weiß davon ein Lied zu singen: »Der vermeintliche Industriefrieden, den das Arbeitsministerium so großspurig als tugendhaft begrüßt, ist keineswegs das Resultat zufriedener Arbeiter, sondern er wird vielmehr mit vorgehaltenen Gewehren erzwungen. Um uns herum werden Aktivisten getötet, und wie ein Damoklesschwert schwebt über unseren Köpfen Straffreiheit für die Täter.« Während der Amtszeit Arroyos, so Labog, seien allein 76 Gewerkschafts- und Arbeiterführer ermordet worden. »Unter den Opfern war auch Diosdado Fortuna. Die Killer sind bekannt und doch auf freien Fuß, weil sie von mächtigen Personen geschützt werden.«

Diosdado Fortuna, von seinen zahlreichen Freunden liebevoll »Ka Fort« (Kamerad oder Genosse Fort) genannt, war als Gewerkschaftsvorsitzender bei Nestlé am 22. September 2005 buchstäblich hingerichtet worden. Er hatte gerade den Streikposten in Cabuyao verlassen, um sich um seinen kranken Enkel zu kümmern, als zwei maskierte Männer auf Motorrädern heranpreschten und ihn mit zwei gezielten Brustschüssen töteten. Der 50jährige war knapp 30 Jahre seines Lebens in der militanten Gewerkschaftsbewegung aktiv und gehörte aufgrund seines beherzten Engagements auch dem Nationalrat der KMU an. Seine Witwe Luz mitsamt drei Kindern und Freunden sind davon überzeugt, daß die Nestlé-Firmenleitung für den Mord mitverantwortlich ist. Das sieht auch Elmer Labog so: »Wir sind sicher, daß dieser Mord politisch motiviert ist. Arroyos Hände wurden wieder einmal mit Blut befleckt.« Bereits am 20. Januar 1989 war »Ka Forts« Amtsvorgänger, Meliton Roxas, während des ersten großen Streiks ermordet worden.

Nach »Ka Forts« Tod initiierten die Streikenden in Cabuyao die Kampagne »There’s Blood in Your Coffee! Boycott Nestlé!« (»Da ist Blut in Ihrem Kaffee! Boykottiert Nestlé!«), um auf ihre Belange aufmerksam zu machen und die Firmenleitung zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Vorrangig geht es den Streikenden um die Durchsetzung einer betrieblichen Altersvorsorge im Rahmen eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV), ein Kampf, der bereits 1987 seinen Anfang nahm.

Urteil mit Haken

Die Nestlé-Geschäftsleitung hingegen möchte Pensionsansprüche flexibel und nach eigenem Ermessen handhaben und beharrte in der Vergangenheit auf ihrem Standpunkt, diese Ansprüche seien überhaupt kein Thema im Rahmen des GAV. Doch sowohl die Nationale Kommission für Arbeitsbeziehungen und ein Berufungsgericht als auch zwei Urteile des Obersten Gerichtshofes hatten klargestellt, daß die betriebliche Altersvorsorge durchaus Bestandteil eines GAV sei und beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren sollten.

Allerdings hatte der Urteilsspruch vom August 2006 einen Haken; darin nämlich befand der Oberste Gerichtshof, die Nestlé-Tochter hätte mit ihrer beharrlichen Ablehnung von Verhandlungen nicht gegen geltendes Gesetz verstoßen. Da auch das Arbeitsministerium in dieselbe Kerbe schlug und den Ausstand als Verstoß gegen »nationale Sicherheitsinteressen« wertete, blieb den Streikenden kein anderer Weg, als mit ihren Aktionen auf ihre Rechte zu pochen, die in einem Entscheid des Obersten Gerichtshofs ausdrücklich anerkannt worden waren. Eine vertrackte Situation, die der sozialpolitisch stets agile, 2003 verstorbene Altbischof von Bacolod (Insel Negros), Antonio Y. Fortich, gegenüber dem Autor einmal trefflich so formuliert hatte: »Wir haben eine lange und wunderbare Verfassung. In unserem Lande gibt es wohlklingende Gesetze und wohlfeile Bestimmungen. Doch diese werden letztlich nicht durchgesetzt oder einseitig ausgelegt. Sie gleichen Wasserlilien – lieblich anzuschauen, doch ohne Halt und Verwurzelung.«

Die Streikenden von Cabuyao, die das Nestlé-Management nicht mehr länger als Beschäftigte seines Unternehmens ansieht, gehen schweren und unsicheren Zeiten entgegen. So ist die von ihnen initiierte Blut-Kampagne gegen Nestlé ein verzweifelter Versuch, dem Weltkonzern an der Medienfront entgegenzutreten. Denn was im philippinischen Showbusineß Rang und Namen hat, läßt sich bereitwillig und hoch dotiert für die Produktwerbung von NPI einspannen. Stars und Starlets tingeln in Fernsehspots und werben auf breit gestreuten Anzeigen für den werteorientierten und gleichzeitig kommerziell ausgeschlachteten Kurs »Choose Wellness, Choose Nestlé« – »Wählen Sie Wohlbefinden, wählen Sie Nestlé«.

Nestlé Philippines – Gute Nahrung, gutes Leben, gutes Geschäft

Für Nestlé Philippines Inc. (NPI) war es ein geglückter Neujahrs- und Medienauftritt – und für die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo eine höchst willkommene Aufwartung. Am 9. Januar 2008, fast auf den Tag genau sieben Jahre nach dem Amtsantritt von Frau Arroyo, wurde Paul Bulcke, designierter Nestlé-Konzernchef und Nachfolger von Peter Brabeck-Letmathe, zusammen mit NPI-Firmenchef Nandu Nandkishore eigens im Präsidentenpalast Malacanang empfangen. Die gleichzeitige Präsenz von Handels- und Industrieminister Peter Favila unterstrich die Bedeutung des Besuchs. Bulcke nutzte seine Stippvisite zur Imagepflege des weltweit größten Nahrungsmittelkonzerns aus der Schweiz und lobte das Gastgeberland als den elftgrößten Markt der Nestlé-Welt.

Im Jahre 2006 betrug der Umsatz von NPI 66,1 Milliarden Peso (umgerechnet 1,63 Milliarden US-Dollar), wobei zehn Prozent aus dem Exportgeschäft kamen. »Nestlé wird hier auch künftig und stark präsent sein. Uns geht es darum«, so der Belgier Bulcke, »den Philippinen beim Wachstum ihrer Wirtschaft und den philippinischen Konsumenten dabei behilflich zu sein, ihren Ansprüchen einer guten Ernährung und Gesundheit und ihrem Wohlbefinden zu genügen.« In den vergangenen fünf Jahren (2003–2007) habe Nestlé S.A. knapp zehn Milliarden Peso (250 Mio. US-Dollar) in den Philippinen investiert.

NPI unterhält insgesamt vier Fabriken: Neben dem in Cabuyao (Provinz Laguna) gelegenen Werk gibt es noch Fabriken in Lipa City (in der Nachbarprovinz Batangas), in Quezon City (Metro Manila) sowie in Cagayan de Oro im Norden der südlichen Insel Mindanao. Das Werk in Cabuyao ist gleichzeitig die Hauptproduktionsstätte für Kindernahrung und Milchprodukte in der gesamten ASEAN, der aus zehn Ländern bestehenden Vereinigung südostasiatischer Nationen. In Lipa werden für denselben Markt Frühstücksmüsli hergestellt und Nescafé in Gläser abgefüllt. Die Fabrik in Cagayan de Oro ist die Hauptfertigungsstätte der lokalen und regionalen Nescafé-Produktion, während das Werk in Quezon City Eiscreme und andere Tiefkühlprodukte herstellt.

Die Philippinen dienen dem Nestlé-Konzern, der in seinem Jahresbericht 2007 einen selbst ausgewiesenen Nettoprofit in Höhe von 10,6 Milliarden Schweizer Franken verbuchte (ein Jahr zuvor betrug dieser 9,2 Milliarden SFr), auch als Ausbildungszentrum für Personal im Finanz- und Beschaffungswesen aus ihren Firmen in Südostasien sowie in Australien und Neuseeland.

* Aus: junge Welt, 5. April 2008 (Wochenendbeilage)

Zum Streik gegen Nestlé siehe auch:
"Zwei Morde bisher". Von Pit Wuhrer (2006).


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