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Späte Genugtuung

Nach sieben Jahren wurde José Maria Sison, Gründungsvorsitzender der KP der Philippinen, von der EU-Terrorliste gestrichen. Ein Sieg über Denunziation und Willkür

Rainer Werning *

Am 30. September hat das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) in Luxemburg entschieden, den seit 1987 im niederländischen Utrecht im Exil lebenden Filipino José Maria Sison endgültig vom Terror-Stigma zu befreien. Auf diese Liste war Sison vom EU-Ministerrat 2002 auf Antrag der Niederlande gesetzt worden. Die zieh ihn der Führerschaft der KP der Philippinen (CPP) und ihrer Guerillaorganisation, der Neuen Volksarmee (NPA), und machte ihn für Auftragsmorde an Ex-Genossen verantwortlich. Die Richter des EuG begründeten ihr Urteil damit, es sei nicht bewiesen, dass der Angeklagte in terroristische Aktivitäten verwickelt ist. Auch hätten Sisons Konten nicht eingefroren werden dürfen, solange der Inhaber nicht rechtskräftig wegen terroristischer Handlungen verurteilt worden sei.

Für den 70-jährigen Sison bedeutet das Urteil aus Luxemburg späte Genugtuung. In seiner ersten Stellungnahme aus dem niederländischen Utrecht zeigte er sich hoch erfreut, nach sieben Jahren kafkaesker Behandlung durch Behörden endlich wieder ohne psychischen Dauerdruck leben zu können. Sisons belgischer Chefanwalt, Jan Fermon, kündigte an, die Konsequenzen dieser „modernen Inquisition“ zu beenden. Sein Mandant sei einzig aufgrund von Verdachtsmomenten von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrates auf die Terrorliste gelangt. Mit der fatalen Folge, dass ihm die niederländische Regierung seit Ende 2002 die Sozialhilfe sowie die Kranken- und Rentenversicherung strich und seine Konten sperren ließ. „Wir werden alles daran setzen“, erklärte Fermon, „dass der Schaden, der Herrn Sison über all die Jahre entstanden ist, voll ersetzt und ihm Schmerzensgeld gezahlt wird.“

Von Aquino begnadigt

Kein lebender Filipino genoss in den vergangenen vier Jahrzehnten eine solche Publicity und sah sich einer solchen Vielzahl von Prozessen ausgesetzt wie José Maria Sison. In den Augen seiner weltweit zahlreichen Bewunderer zählt er zu den herausragenden Marxisten des 20. Jahrhunderts. Für seine vielen Feinde verkörpert er das Böse schlechthin. Was sie besonders stört, ist Sisons Beharrlichkeit, der sich bis heute offen zum Kommunismus und zur Revolution bekennt. Ende 1968, auf dem Höhepunkt der im nördlichen Nachbarland China geführten „Großen Proletarischen Kulturrevolution” und der US-Aggression gegen Vietnam, avancierte Sison zum Gründungsvorsitzenden der auf maoistischer Grundlage reorganisierten CPP. Als er Ende März 1969 auch noch zu den Mitinitiatoren der NPA, des bewaffneten Arms der CPP, gehörte, wurde er quasi über Nacht zur meistgesuchten Person der damaligen Marcos-Diktatur. 1977 spürten dessen Häscher Sison auf und sperrten ihn bis zum Fall des Diktators Ende Februar 1986 in Einzelhaft. Während dieser Zeit wurde Sison gefoltert und blieb Monate lang an sein Bett gefesselt. Anfang März 1986 endlich wurde er durch die Marcos-Nachfolgerin Corazon C. Aquino begnadigt.

Ideeller Gesamtterrorist

Danach erhielt er einen Lehrauftrag am Asian Studies Center der staatlichen University of the Philippines. Im September 1986 begann er eine Vortragsreise, die ihn nach Ozeanien, Ost-, Südost- und Südasien und schließlich nach Europa führte. In seine Heimat konnte er nicht mehr zurückkehren, die philippinische Regierung hatte ihm 1988 den Pass entzogen, zwischenzeitlich stand er dort auch auf Todeslisten. Sison fand in den Niederlanden politisches Asyl, wo er schließlich zum Chefberater des von der CPP geführten Bündnisses, der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), wurde, die bis 2004 Friedensverhandlungen mit der Regierung in Manila führte.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 galt Sison für die Regierungen in Washington und Manila gleichermaßen als ausgemachter „Terrorist”. In vorauseilendem Gehorsam gegenüber den USA und aufgrund massiver Wirtschaftsinteressen in den Philippinen setzte sich schließlich auch Den Haag dafür ein, Sison ein solches Etikett zu verpassen und ihn politisch zu neutralisieren. Am 13. August 2002 brandmarkten die niederländische Regierung Sison als „Terroristen“, just 24 Stunden nachdem die US-Regierung ihn zusammen mit der CPP auf die „Liste ausländischer terroristischer Organisationen“ gesetzt hatte. 2007 sperrte man ihn nach einer Nacht-und-Nebel-Aktion ins Staatsgefängnis von Scheveningen. Er sollte, so der Vorwurf, von Utrecht aus die Ermordung zweier ehemals hochrangiger CPP-Genossen, die später für den philippinischen Militärgeheimdienst arbeiteten, angeordnet haben. Sison wurde jedoch im März vorigen Jahres mangels Beweisen freigesprochen. Bedenkt man, wie es fast unmöglich ist, jemals wieder von einer Terrorliste gestrichen zu werden, bedeutet das Luxemburger Urteil einen Sieg beharrlicher internationaler Solidarität für Sison und seines hochkarätigen Rechtsbeistands.

* Aus: Freitag (online), 5. Oktober 2009


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