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Todesschwadronenpolitik

Am 14. Mai finden in den Philippinen Wahlen statt. Ein Ergebnis steht bereits fest: Präsidentin Arroyo will weiterhin mit großer Brutalität "gegen den kommunistischen Terror" vorgehen

Von Rainer Werning, Den Haag *

Marie Hilao-Enriquez, eine schmächtige Mitfünfzigerin, ist ein Energiebündel, wenn es darum geht, die Machenschaften der Mächtigen ihres Landes anzuprangern. Das war während der Marcos-Diktatur (1966–1986) so und das trifft erst recht seit Januar 2001 zu, als Gloria Macapagal-Arroyo in den Präsidentenpalast Malacanang in Manila einzog. »Allein seit dem Amtsantritt der Präsidentin«, sagt Hilao-Enriquez im Gespräch mit jW, »haben wir 839 Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen dokumentiert. Die Opfer waren allesamt Menschen, die sich für die sozialen Belange unseres Volkes einsetzten: Bauernführer, die für Land kämpften; Arbeiter- und Gewerkschaftsführer, die für angemessene Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen eintraten; engagierte Kirchenleute, Rechtsanwälte, Journalisten, sogar Ärzte in abgelegenen Provinzen, die einfachen Menschen Rechtsbeistand leisteten und sie gegen staatliche Willkür und militärische Übergriffe schützen wollten.«

»Unter Marcos«, erklärt Hilao-Enriquez, die seit 1995 der philippinischen Menschenrechtsorganisation Karapatan als Generalsekretärin vorsteht, »saß ich selbst knapp zwei Jahre lang im Gefängnis. Während dieser Zeit kam dort mein erstes Kind zur Welt. Eine meiner Schwestern wurde entführt, vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Zahlreiche meiner Freunde verloren damals ihr Leben. Die Verantwortlichen dieser Verbrechen wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Das darf nicht vergessen werden. Wenn wir den Kampf für Gerechtigkeit preisgeben, geben wir uns selbst auf.« Seit Marcos’ Sturz hat sie sich, die unter anderen Umständen gern Therapeutin geworden wäre, der Menschen- und Bürgerrechtsarbeit in ihrem Land verschrieben. Mitte März, gerade rechzeitig zur Eröffnung der zweiten Philippinen-Sitzung des Ständigen Tribunals der Völker in Den Haag (siehe Beitrag unten), ist sie aus Washington angereist. Dort war sie als Zeugin in einem US-Senatshearing über politische Morde in den Philippinen geladen. Und in Den Haag trat sie ebenfalls, zusammen mit anderen politisch aktiven Landsleuten, als eine Zeugin der Anklage auf.

Unterstützt von den USA

Außergerichtliche Hinrichtungen, allgegenwärtige politische Repression, wachsende Militarisierung, anhaltende Straffreiheit und Täterschutz für (para-)militärische Einheiten in einem Land, dessen Bevölkerung heute ärmer ist als am Ende der Marcos-Diktatur, sind mittlerweile zum Markenzeichen der Regierung Arroyo geworden. Lange Zeit schaute man im Ausland weg, begnügte sich mit dem Gedanken, die Präsidentin sei durch demokratische Wahlen bis Mai 2010 gewählt. Unkenntnis und Fehleinschätzungen der Lage waren für Ausrichter und Jury des Den Haager Tribunals mitverantwortlich dafür, daß die Regierung in Manila in enger Abstimmung mit der Regierung ihres transpazifischen Mentors, der einstigen Kolonialmacht USA (1898–1946), ungeniert und unter Mißachtung der Menschen- und Bürgerrechte den »Kampf gegen den Terror« und heute den »Feldzug gegen den kommunistischen Terror« exekutiert.

Unmittelbar nach den Anschlägen vom 11.September 2001 verstärkten die US-Truppen auch ihre Präsenz im Süden der Philippinen, wo Washington Anfang 2002 offiziell die nach Afghanistan »zweite Front im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus« eröffnete. Zunächst sollte dort gemeinsam mit Einheiten der philip­pinischen Streitkräfte (Armed Forces of the Philippines, AFP) gegen die Abu-Sayyaf-Gruppe vorgegangen werden. In Washington und Manila gilt sie als Ableger der in Südostasien operierenden Jemaah Islamiyah, die ihrerseits der Al Qaida zugerechnet wird. Gleichzeitig existieren in der Region mit der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) und der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), zwei Organisationen, die Manila und Washington seit langem ein Dorn im Auge sind. Kopfzerbrechen bereitet deren Strategen die taktische Kooperation zwischen MILF und NPA, die gemeinsam über mindestens 25000 Kombattanten verfügen.

Seit Anfang 2002 ist eine ständig fluktu­ierende, nicht genau bekannte Zahl von US-Spezialeinheiten im Süden des Landes stationiert, um philippinische Sonderkommandos auszubilden oder deren Truppen im Rahmen gemeinsamer Militärübungen, sogenannter Balikatan(Schulter-an-Schulter)-Manöver, effektivere Methoden im »Kampf gegen den kommunistischen Terrorismus« zu lehren. Was dort erprobt wurde, wird seit nunmehr fünf Jahren auch gezielt in anderen Regionen des Archipels praktiziert. Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) ist das Gebot der Stunde, und ihr wohlklingender Name lautet Oplan Bantay Laya, (Operationsplan Freiheitswacht, OBL). Diese Art des »Sicherheitsbeistands« ließ sich Washington bislang über 300 Millionen Dollar kosten. Am 23. Juni 2006 erklärte Frau Arroyo in ihrer Eigenschaft als Oberkommandierende der Streitkräfte vor Offizieren, binnen zwei Jahren werde der »kommunistische Aufruhr« besiegt sein. Dies, so die innenpolitisch höchst umstrittene Präsidentin wörtlich, »ist der Kitt, der uns eint«. Umgehend machte sie zusätzlich 20 Millionen Dollar für den OBL locker. Zur Freude des Militärs, das in der Präsidentin eine Gewährsfrau ihrer Interessen sieht, wie sich im Gegenzug die Präsidentin, gestützt auf die Bajonette des Militärs, an der Macht zu halten vermag. Ihre Kritiker müssen seit Anfang März unter dem Damoklesschwert des Antiterrorgesetzes leben, das beschönigend »Human Security Act of 2007« heißt.

Neutralisierung legaler Vereinigungen

»Knowing the Enemy« (»Den Feind kennen«) heißt der Titel einer Powerpoint-Präsentation, die im AFP-Hauptquartier erstellt wurde und seit Anfang 2005 landesweit die Runde macht – eingesetzt von manisch-repressiven Offizieren, die ihre Lebensaufgabe und Karrierechancen ausschließlich in der »Ausrottung des kommunistischen Terrors« sehen. Wie kein anderer AFP-Offizier verkörperte Generalmajor Jovito Palparan bis zu seiner Pensionierung im September 2006 den Garanten einer Haudegenpolitik, die Regierungskritiker in den Philippinen und in den USA als »Todesschwadronendemokratie« bezeichnen. Der General schwadroniert noch heute öffentlich, »mit Aufständischen, Terroristen und Kommunisten kurzen Prozeß zu machen«. Wenngleich es der Präsidentin bislang nicht glückte, Palparan zum Vizevorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates zu machen, lobt sie unumwunden dessen »Verdienste für die nationale Sicherheit« und läßt sich von dem General gern beraten. Die von Palparan maßgeblich mitgestaltete Powerpoint-Präsentation ist eine umfangreiche »order of battle«, eine Art Gefechtsanweisung und Auflistung jener Personen, die das Militär ins Visier genommen und als »Kommunisten« beziehungsweise »CPP-Sympathisanten« buchstäblich zum Abschuß freigegeben hat.

Betroffen sind nicht nur tatsächliche oder vermeintliche Anhänger der CPP. »Oplan Bantay Laya zielt eindeutig auf die Dezimierung der nichtmilitärischen Segmente der kommunistischen Bewegung«, schrieb der landesweit bekannte Kolumnist Amando Doronila bereits am 21. Juni 2006 in der auflagenstärksten Tageszeitung Philippine Daily Inquirer: »Dieser Plan«, so Doronila weiter, »ist nicht etwa dazu ausersehen, der NPA im offenen Kampf auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten. Dieser Plan sieht vielmehr das Abschlachten wehrloser Nichtkombattanten vor. Es ist dies deshalb ein verabscheuenswürdiger Plan, weil er sich gezielt gegen Zivilisten richtet, um eigene Verluste im Militär und in der Polizei so gering wie möglich zu halten. Oberstes Ziel dieser Strategie ist es, legale Organisationen zu ›neutralisieren‹. Dies erklärt, warum die Opfer der vergangenen fünf Jahre unbewaffnete Mitglieder der Linken waren.« Dabei verfahren die Täter stets nach eingespielten Mustern: Maskierte Personen auf Motorrädern erschießen ihre Opfer aus kurzer Entfernung, um dann unerkannt davonzupreschen. Oder aus Geländewagen ohne Kennzeichen und mit abgedunkelten Scheiben wird auf ausgemachte Opfer gefeuert. Die meisten solcher Anschläge geschahen unweit von gut bewachten Militärcamps oder Polizeiposten.

Aktivisten der im Kongreß vertretenen linken Gruppierungen Bayan Muna (Das Volk zuerst) und Anakpawis (Kinder des Schweißes) bilden daher die Hauptzielscheibe im Vorgehen gegen »unbewaffnete Mitglieder der Linken«. Satur Ocampo, ein 67jähriger Veteran des Anti-Marcos-Kampfes und heute der angesehenste unter den wenigen linken Kongreßabgeordneten, wurde als Führer von Bayan Muna Mitte März in einer Nacht-und-Nebel-Aktion inhaftiert. Gegen ihn und 50 weitere exponierte Regierungsgegner hatte ein Provinzgericht eine Anklage konstruiert, er sei vor 22 Jahren – Ocampo saß zu der Zeit als politischer Häftling des Marcos-Diktatur in Haft – mitverantwortlich für tödliche Säuberungen innerhalb der CPP gewesen. Als Sicherheitskräfte versuchten, den Inhaftierten nachts aus der Zelle zu entführen, um ihn aus der Stadt zu fliegen, bangten Freunde Ocampos mit Recht um sein Leben. Im letzten Moment glückte es Ocampos Anwälten, beim Obersten Gerichtshof eine Eilverfügung zu erwirken, woraufhin er in Manila bleiben durfte und gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde. Weniger Glück hatte bislang Ocampos Kollege von den Anakpawis. Der große alte Mann der philippinischen Gewerkschaftsbewegung, der 75jährige Arbeiterführer und Kongreßabgeordnete Crispin Beltran, ist seit Anfang 2006 im Hospital eines Militärgefängnisses unter dem Verdacht eingesperrt, vor einem Vierteljahrhundert, noch während der Marcos-Diktatur, eine Rebellion angezettelt zu haben. In diesem Zusammenhang bezeichnete die in Hongkong ansässige Asian Human Rights Commission das philippinische Strafrechtssystem im Februar dieses Jahres als »verrottet«.

Bereits im Herbst letzten Jahres erhoben neben Amnesty International und Human Rights Watch, Botschafter von EU-Ländern in Manila, Kirchen in den USA und Kanada, sogar strikt antigewerkschaftlich eingestellte Großunternehmen wie WalMart und Gap Inc. sowie andere in den Philippinen tätige internationale Großunternehmen schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Manila und forderten einen Stopp der Tötungen. Im Februar war es Professor Phillip Alston, der als UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche Hinrichtungen in den Philippinen nach Manila reiste und sich noch kritischer äußerte. Alston sprach von strukturellen Schwächen der staatlichen Sicherheitskräfte, Zeugenschutz zu gewährleisten, Straffreiheit für Täter aufzuheben und die Verbrecher zu ergreifen.

* Rainer Werning ist Mitherausgeber des im vergangenen Jahr im Horlemann Verlag erschienenen »Handbuch Philippinen – Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur« (384 Seiten, 14,90 €)

Aus: junge Welt, 12. Mai 2007



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